© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/02 15. Februar 2002

 
An der Regierung, aber nicht an der Macht
Ungarn: Der Axel-Springer-Verlag macht mit seinen Zeitungen Front gegen die Budapester Mitte-Rechts-Koalition
Alexander Barti / Jörg Fischer

Der Axel-Springer-Verlag, der durch das Leo-Kirch-Debakel und das Abrutschen in die roten Zahlen bereits mit seinem deutschen Stammhaus in schwere See geraten ist, befindet sich nun auch mit einem seiner außerdeutschen Ableger mitten in einer unliebsamen Kontroverse.

Es geht um den Verlag „Axel Springer Magyarország“ (AS-M), der dort nach der Wende neun Provinzzeitungen gekauft hat, die vorher im Besitz der Ungarischen KP (MSZMP) waren. Der publizistische und wirtschaftliche Einfluß dieser von „rot“ zu „Springer“ gewendeten Blätter ist beträchtlich. Laut „Axel Springer Network“ lesen täglich 996.000 Menschen die ungarischen Springer-Zeitungen - bei rund zehn Millionen Einwohnern ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor.

Dies bekommt auf unliebsame Weise die zur Zeit in Budapest amtierende Mitte-Rechts-Koalition von Viktor Orbán zu spüren. Eine „Kontrollgruppe“, die offiziell nichts mit der Regierung zu tun hat, jedoch offenbar im Sinne der gegenwärtigen Parlamentsmehrheit handelt, hat, wie die regierungsnahe Budapester Zeitung Magyar Nemzet berichtet, unlängst die Schreibweise und politischen Tendenzen der neun in den Hauptstädten der Komitate (Regierungsbezirke) erscheinenden Springer-Blätter untersucht - und kam dabei zu erstaunlichen Ergebnissen. „Der Axel-Springer-Verlag in Deutschland vertritt traditionell konservative Einstellungen“, meint Magyar Nemzet (in Verkennung der wirklichen Lage, denn das Verlagshaus ist auch hier schon längst kräftig nach links gerutscht). Doch die ungarischen Redaktionen von AS-M spiegeln laut Magyar Nemzet „sowohl in ihrer Themenauswahl als auch in der Formulierung ihrer Meinungen die Einstellung der linken Opposition wider.“

AS-M ist heute der zweitgrößte Pressekonzern Ungarns. Der ungarische Verlegerverband habe die Art und Weise der Privatisierung im Pressewesen und in den Medien kritisiert: An die Stelle des (kommunistischen) Monopols sei eine „durch ausländisches Kapital bedingte Abhängigkeit“ getreten.

Die „Kontrollgruppe“ weist auf eine paradoxe Situation hin: das Haus Axel Springer, zu Lebzeiten des 1985 verstorbenen Verlegers als „antikommunistisch“ bekannt, zeichnet sich in Ungarn dadurch aus, daß es - so schreibt Magyar Nemzet - KP-Kader in seinen Zeitungen weitgehend beibehalten und mit lukrativen Redakteursverträgen ausgestattet habe.

Ob diese Art der „roten“ Personalpolitik beabsichtigt war (sei es aus ideologischen Anpassungsgründen, sei es um des angeblich besseren Profils willen) - oder ob schlichte Unkenntnis im Spiel ist, bleibt dahingestellt. Für die Hamburger Verlagsfunktionäre, die mit der „Einbringung“ der ungarischen Ernte betraut sind, könnte gewiß zutreffen, was der Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung über einen beträchtlichen Teil der heute in Budapest tätigen westlichen Korrespondenten bemerkte: „Bei den ausländischen Journalisten, die über Ungarn schreiben, wimmelt es nicht gerade von solchen, die über gründliche Kenntnisse des Landes verfügen.“

Ungarns dynamischer Regierungschef Orbán ist - nicht zuletzt dank Springer - in eine prekäre, jedenfalls aber seltsame Situation geraten: Jene Medien, von denen er normalerweise eine wohlwollende, zumindest aber unvoreingenommene Schreibweise über seine nicht-linke Koalition erwarten dürfte, bekämpfen seinen Kurs mit Klauen und Zähnen. Auf dem Mediensektor könnte für Orbán also zutreffen, was seinerzeit schon über die der Linken gleichfalls nicht genehme ÖVP/FPÖ-Koalition in Österreich gesagt wurde: „Er ist zwar an der Regierung, aber nicht an der Macht“ - weil die publizistische und mediale Macht sich in den Händen seiner Gegner befindet.

Der Machtfaktor „Axel Springer“ jedenfalls kommt in Ungarn den Linken - vor allem den „gewendeten“ Sozialisten (MSZP) - zugute, die in den AS-M-Zeitungen ihnen nahestehende Genossen - teilweise noch aus der Zeit des „Gulasch-Kommunismus“ - sitzen haben. Diese Kader haben sich darauf spezialisiert, in den Regional- und Provinzzeitungen eine Stimme des Pessimismus und Nihilismus zu verbreiten. Da ist, wenn über die Regierung berichtet oder kommentiert wird, von „vollendeter Schande“ die Rede. In Kommentaren wird vor einer „neuen Diktatur“ - natürlich von rechts - gewarnt. Die Republik Ungarn wird als „Staat der Gewalt“ bezeichnet. Während Auftritte und Reden linker Oppositionspolitiker extensiv zitiert werden, fertigt man - so heißt es im Bericht der „Kontrollgruppe“ - Regierungspolitiker allenfalls mit kurzen Meldungen ab. „Die Kommunisten waren schon immer Meister der Desinformation und der raffinierten Meinungsmanipulation, man denke nur an die Friedensbewegung - oder an die seinerzeitige linke Anti-Springer-Kampagne in der Bundesrepublik“, meinte ein Kenner der ungarischen und deutschen Verhältnisse zum Problem der AS-M-Zeitungen.

So kommt die „Kontrollgruppe“ zu einem bedrückenden Ergebnis: Siebzig Prozent der Kommentare in den Springer-Zeitungen Ungarns seien gegen die gegenwärtige bürgerliche Regierung in Budapest gerichtet. Um nur eines unter vielen angeführten Beispielen zu zitieren: In der westungarischen AS-M-Zeitung Új Dunántúli Napló (Neues Tageblatt Transdanubiens) sei das Verhältnis ausgesprochen regierungsfeindlicher gegenüber einigermaßen „neutraler“ Berichte neun zu eins! Angesichts der Tatsache, daß die Ungarn am 7. April in einem ersten Wahlgang ein neues Parlament wählen, bliebe die Feststellung: Sollte es in Ungarn demnächst zu einem Machtwechsel kommen, hätten die ungarischen Ableger Axel Springers daran maßgeblichen Anteil.


 
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