© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Das Gesicht der eisernen Garde
Berlins PDS-Kultursenator Thomas Flierl wird das öffentliche Klima in der Stadt verändern
Doris Neujahr

Vor einem halben Jahr, in Hubertus Siegerts rasantem Filmessay „Berlin Babylon“, erhob das sozialistische Ost-Berlin sein graues Haupt. Es trug die Züge des damaligen PDS-Bezirksstadtbaurats Thomas Flierl, der die als sozialistischen Prachtboulevard konzipierte Karl-Marx-Allee im altbewährten Geist weiterbauen wollte. Ihm widersprach Hans Stimmann, ein ähnlich bewährter, altgedienter Senatsrepräsentant und Vertreter des Konzepts vom „steinernen Berlin“, das der Stadt bis zum Erbrechen serielles Mittelmaß beschert hat. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, daß der Ost-West-Gegensatz in Berlin kein schöpferisches Potential mehr enthält. Hier stießen nur das Gewerkschaftsmilieu des Westens, dessen Spitzen sich mit dem rheinischen Großkapital verbandelt haben, mit dem des Ostens, das seine Herkunft aus den SED-Niederungen bis heute nicht überwunden hat, zusammen.

Diese beiden Milieus haben jetzt zusammengefunden und bestimmen die Kulturpolitik der Hauptstadt, die immerhin ein - wenn nicht das - intellektuelle Zentrum des Landes sein möche. Die Berliner SPD - korrekt: die West-Berliner SPD, denn im Osten kommt die Partei als gesellschaftspolitischer Faktor kaum vor - hat auf diesem Gebiet nichts beizusteuern. Auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, in dem noch vor Monaten viele einen neuen Politikertypus erkennen wollten, hat kein As aus dem Ärmel gezogen, sondern sich als Star des Berliner Amüsierpöbels profiliert.

Vor dieser Oberflächlichkeit wirkte das angejahrte Modernisierungsvokabular der PDS direkt erfrischend: In der Kultur sollten „Bürokratie“ und „Mehltau“ beseitigt, „intelligente Lösungen“ gefunden, „Wissensvorsprünge“ ermöglicht und eine „kreative Atmosphäre“ geschaffen werden.

Nun regiert Rot-Rot, die PDS stellt den Kultursenator, doch der Kulturhaushalt, der auf keinen Fall bluten, sondern Hoffnung und Zukunft in die bankrotte Stadt holen sollte, wurde von 766 auf 714 Millionen Mark gekürzt. Dabei stehen neue Aufgaben an: So wird demnächst die Akademie der Künste am Pariser Platz eröffnet, die unterhalten werden muß. Eine Anhebung der Tarifverträge um zwei Prozent kostet jährlich weitere elf Millionen Euro, die Forderungen der Gewerkschaft dürften indes bei sechs Prozent liegen. Der einzige Ausweg wäre die Unterstützung durch den Bund, die notfalls durch eine Verfassungsklage erzwungen werden müßte, zumindest aber der Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag. Doch davor seien bei SPD und PDS die Parteidisziplin und die Klientelpolitik.

Die Geldnot ist bekannt, die Ideenlosigkeit der Linkskoalition im Umgang mit ihr verblüfft dennoch. Eben noch war es ein Glaubenssatz, daß Kultur und Wissenschaft die einzigen Zukunftschancen Berlins sind, nun aber soll die Universitätsklinik der Freien Universität (FU) in ein normales Stadtkrankenhaus umgewandelt werden und die FU ihren Status als Volluniversität verlieren.

Der langjährige PDS-Vorsitzende und Filmwissenschaftler Lothar Bisky, der zuerst für den Posten des Kultursenators ins Gespräch gebracht wurde, war sich für dieses Harakiri zu schade. Für ihn ist Bezirksstadtbaurat Thomas Flierl eingesprungen. Warum er dieses unmögliche Amt übernommen hat? Um „die Verantwortung der PDS für die Stadt deutlich zu machen“, sagte er in einem Interview. Anders gesagt: Die Hauptsache ist die Macht!

Flierl wurde 1957 in Ost-Berlin geboren. Er studierte Philosophie und Kulturwissenschaft, 1985 promovierte er. Bis 1990 war er im DDR-Kulturministerium tätig . Der SED trat er 1976 bei, zu einem Zeitpunkt, als in der DDR infolge der Biermann-Ausbürgerung die letzten Illusionen über die Reformierbarkeit des Systems über Bord gingen. Der Parteieintritt hat also nichts mit fehlgegangenem Idealismus, aber auch nichts mit naiver Unkenntnis zu tun. Denn sein Vater, Bruno Flierl, war in der DDR der Chefkritiker und -theoretiker für Architektur und besaß mithin Herrschaftswissen, das er seinem Filius gewiß nicht vorenthalten hat. Flierl ist vielmehr ein intelligenter Streber. Sein gelegentlicher Widerspruch zur Baupolitik der DDR änderte nichts an seiner Staatstreue. Das sahen die zuständigen Organe genauso und machte ihn zu einem der seltenen Reisekader.

Es ist sonst unfair, den Sohn für den Vater in Haftung zu nehmen, doch in diesem Falle ist es unvermeidlich, weil die mündlichen und schriftlichen Äußerungen von Thomas Flierl wie eine Fortsetzung der Schriften von Vater Bruno anmuten. Von Bruno Flierl stammen unvergeßliche Werke wie die „Thesen zum sozialistischen Wohnungsbau“. An entlegener Stelle finden sich sogar Spitzen gegen die Unwirtlichkeit der sozialistischen Plattenbauweise. Die Texte sind nicht unintelligent, aber unmöglich zu lesen. In ihnen treffen sich der Technokraten-Slang des Westens mit dem „Kaderwelsch“ (Brecht) der DDR.

Thomas Flierl ist Dialektiker. Er ist klug genug zuzugeben, daß der „Palast der Republik“ architektonisch unbedeutend ist und würde ihn daher, anders als sein Vater, gegen Abrißgelüste nicht als ein „Haus des Volkes“ verteidigen. Doch retten möchte er ihn auch. Er hat vorgeschlagen, ihn als „Haus der Kulturen der Welt“ in ein „Bürgerforum“ zu integrieren. So kann die DDR doch noch dazu beitragen, den ungeliebten, kapitalistischen, gesamtdeutschen Nationalstaat von innen heraus zu verändern. Was Flierl vorschwebt, ist die Erfüllung der enttäuschten Träume der Vätergeneration durch ihre dialektische Aufhebung. Er ist ein Vertreter der gar nicht mehr so lustigen, eisernen Garde der PDS, die nach Gysi kommt.

Auch und gerade konservative Feuilletonautoren halten ihm zugute, daß er der Okkupation des öffentlichen Raumes durch die Spaßkultur Einhalt gebietet. Er ist ein Gegner der Love Parade, als Baustadtrat verbot er der bettelarmen Marienkirche am Alexanderplatz, das Baugerüst an ihrem Turm für ein Werbeplakat zu vermieten, den Bayern untersagte er ein überdimensioniertes Bierzelt auf dem Gendarmenmarkt, und die Pläne für den gehobenen Wohnungsbau in innerstädtischer Wasserlage fegte er mit dem Argument vom Tisch: „Kitschiger Rückbau in die vorindustrielle Vergangenheit.“

Jeder Einwand ist für sich genommen diskutabel. Doch kommt stets das Gefühl auf, daß es Flierl nicht um die Sache geht, daß er seine Intelligenz in den Dienst tiefsitzender Ressentiments gestellt hat. Praktikable Gegenentwürfe oder umfassende Kultur- und Stadtkonzepte hat er nie vorgelegt, und Berlin als Ganzes und als deutsche Hauptstadt hat ihn bisher nie interessiert.

Seine Anweisung an das Adlon-Hotel, einen zu groß geratenen Baldachin über dem Gehsteig zu entfernen, begründete er so: „Das Vorhaben dient nicht der Allgemeinheit, da es einer privilegierten Schicht vorbehalten ist, das Hotel zu besuchen.“ Das ist ganz lustig und irgendwie auch richtig, doch zur Sanierung seines kaputten Sozialgefüges braucht Berlin gerade auch diese privilegierte Schicht. Nur ein Bruchteil der vielen Berliner Maler kann von den Künstlerhonoraren leben. Ein Grund ist der, daß es noch immer zu wenig gebildetes und finanzkräftiges Stadtbürgertum gibt, das als Kundschaft in Frage kommt.

Im Westen wird befürchtet, daß Flierl ihm jetzt mal zeigen will, wie es ist, abgewickelt zu werden. Da überschätzt man wohl seine politischen Möglichkeiten. Fachlich kann er seinen Vorgängern Christoph Stölzl und Adrienne Goehler nicht das Wasser reichen. Er wird versuchen, öffentliche Räume zu besetzen, sie mit einem bestimmten Geist zu erfüllen und so langfristige, psychologische und politische Fakten zu schaffen. Das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Rosa-Luxemburg-Denkmal ist erst der Anfang.

Er wird weiterhin eine eiskalte Kaderpolitik betreiben, ihm nützlich scheinende Leute fördern, strategisch wichtige Posten mit Gesinnungsgenossen besetzen, Seilschaften knüpfen, die auch dann noch halten, wenn er längst aus dem Amt geschieden ist. Er und seine klug plazierten Leute werden unmerklich das öffentliche Klima in der Stadt verändern. Es wird noch ein bißchen trister, noch ein bißchen giftiger und miefiger werden.


 
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