© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
„Berlin ist eine belastete und naive Provinz“
Interview: Der Geheimdienstexperte Andreas von Bülow über die Geostrategie der USA und die selbstverschuldete Ohnmacht der Europäer
Moritz Schwarz

Herr Dr. von Bülow, im ersten, innenpolitischen Teil Ihres Interviews in der vergangenen Woche haben Sie beschrieben, wie die USA beinahe seit Gründung der Bundesrepublik aus der rechtsradikalen Szene in Deutschland eine Terrorgruppe aufgebaut, finanziert, ausgerüstet und sogar bewaffnet haben. In Ihrem Buch „Im Namen des Staates“ ist sogar von Todeslisten mit „gegebenenfalls zu ermordenden linken und sozialdemokratischen Politikern“ die Rede.

Bülow: Diese Vorbereitungen, die mit Geldern und Waffen der CIA Anfang der fünfziger Jahre überall in der Bundesrepublik getrofffen wurden, geschahen mit Wissen einiger weniger Beamter des Bundeskanzleramtes, des Bundesinnenministeriums und des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Der Verfassungsschutz wußte davon?

Bülow: Durchaus, allerdings nur der Stellvertreter des Präsidenten, der vom damals noch sehr Nazi-durchsetzten Bundesnachrichtendienst kam. Bei Geheimdiensten ist oft von Bedeutung, daß der Hauptverantwortliche jederzeit leugnen kann, etwas gewußt oder geahnt zu haben. Dann kann man die Stellvertreter bei Bedarf in den vorzeitigen Ruhestand schicken. Im übrigen richtete sich die damalige amerikanische Führung auf eine jederzeit ausbrechende militärische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion ein und wollte im Ernstfall der anderen Seite die denkbaren Kooperationspartner nehmen.

Also gab es auch in Deutschland ein Gladio-System, wie in Italien, wo CIA, Secret Service und Nato 1956 die paramilitärische Geheimtruppe „Gladio“ aufstellten, die im Falle eines kommunistischen Wahlsieges dort einen rechtsradikalen Putsch hätte auslösen sollen?

Bülow: Das Gladio-Netzwerk gab es nicht nur in Italien, sondern in allen Nato-Ländern, in Frankreich, Belgien, Holland etc. und sogar in Schweden und der Schweiz. Die Souveränität der Bundesrepublik wie der meisten europäischen Staaten war während des Ost-West-Konfliktes nur begrenzt.

Gibt es in der Bundesrepublik bei der Unterstützung rechtsradikaler Organisationen durch die Geheimdienste eine Kontinuität von den fünfziger Jahren bis heute?

Bülow: Zwar wurde unter Horst Ehmke mit gewissen Aktivitäten des BND „über Scheinfirmen aufgeräumt“, aber eine richtige Zäsur gab es nicht. Allerdings bin ich nicht sachkundig genug, um das im Ergebnis voll beurteilen zu können. Die NPD wurde zwar erst 1964 gegründet, doch mit Sicherheit hatten die Geheimdienste schon unter dem Gründungspersonal und dessen Anhang ihre Spitzel.

Sie behaupten, auch heute noch würde der Rechtsradikalismus in Deutschland vom Ausland unterstützt und eingesetzt.

Bülow: Die amerikanische rechtsradikale Szene ist weitgehend von den dortigen Geheimdiensten unterwandert. Aus dieser Szene der Weißen Überlegenheits-Arier (White Aryan Supremacists), des Ku-Klux-Klan, der rassistischen Haßgruppen und der Nazipartei wird Einfluß auf die deutsche Szene genommen. So rühmte sich beispielsweise ein zuvor bei den Marines und einer Geheimdiensttruppe beschäftigter Überlegenheits-Arier in einer amerikanischen Fernsehsendung, nach der Wende in 20 deutschen Städten Skinheads im Guerillakampf und für Anschläge gegen Asylanten und Ausländer ausgebildet zu haben. Die amerikanischen Dienste aber, obgleich tief in der Szene „drin“, weigern sich mit dem deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz zusammenzuarbeiten.

Als Beispiel dafür, daß die Deutschen geradezu „rechtsradikal“ provoziert werden, führen Sie in Ihrem Buch die Kurdenproteste Mitte der neunziger Jahre an.

Bülow: Was bezweckt die Führung der Kurden in Deutschland mit der im Freitagsverkehr öffentlichkeitswirksam inszenierten Totalblockade der wichtigsten Autobahn in Deutschland? Sie wußte, daß dies von den Deutschen als grobe Verletzung des Gastrechtes aufgefaßt werden mußte und somit der kurdischen Sache nur schaden konnte. Die vermutlich verdeckt arbeitenden Designer der Aktion müssen entweder die gezielte Beschädigung der deutschen Sympathien für die kurdische Sache oder das Herausfordern deutscher Ausländerfeindlichkeit zum Ziel gehabt haben.

Mit welchem Zweck?

Bülow: Skinheadbrutalitäten, Schändung jüdischer Friedhöfe oder Synagogen, Jagen von Ausländern - das Bild des häßlichen, beschränkten, karikaturhaft dumm daherkommenden, allzeit nazi-anfälligen Deutschen soll das Deutschlandbild prägen. Ein ganz und gar unattraktives Land. Gerade auch für die besten Köpfe der Welt.

Man will uns also in Schach halten?

Bülow: Der Sicherheitsberater Präsident Carters, Zbigniew Brzezinski schreibt in seinem Buch, „Die einzige Weltmacht“, die Welt beherrsche, wer die Kontrolle über Eurasien - den Kontinent zwischen den britischen und den japanischen Inseln - habe und damit den Zugriff auf die dortigen unendlichen Bodenschätze. Herausfordern könnten die USA zur Zeit nur Großbritannien, Japan, Frankreich und Deutschland. England aber, so Brzezinski, sei ein in Sachen Geopolitik müde gewordenes Land, nutzbar für die USA als Partner für verdeckte Operationen. Frankreich sei zwar intellektuell in der Lage, geopolitsch weitreichende Zielsetzungen zu verfolgen, jedoch wirtschaftlich zu schwach. Deutschland sei zwar ökonomisch stark, könne seine Führungsaufgabe mit Rücksicht auf den Holocaust jedoch nur beschränkt wahrnehmen. Das Tandem Frankreich-Deutschland werde von den eigenen Nachbarn in die Schranken gewiesen. Man kann daraus schließen, wie derartige Vordenker amerikanischer Außen- und Geheimdienstpolitik mit uns Europäern und nicht zuletzt Deutschland umzugehen vorschlagen. Ich bin kein Anhänger dieser geopolitischen Monopoly-Spielchen, aber sie treten uns derzeit eben in Gestalt der amerikanischen Außenpolitik und der US-Geheimdienste entgegen - da hilft es nicht, davor die Augen zu verschließen. Die USA sind darauf aus, den Zugriff auf die Ressourcen dieser Welt, in Eurasien und dem eurasischen Balkan für sich zu sichern, als Ausgleich für die Weltpolizistenrolle und Prämie die einzige Weltmacht zu sein, was Brzezinski auch unverblümt zum Ausdruck bringt. Im Augenblick geht es vor allem um das erdöl- und -erdgashaltige kaspische Becken der früheren Sowjetunion mit den Zu- und Abfuhrwegen. Das uralte geopolitische Ziel, aus der Masse des alten russischen Kolonialreiches unabhängige Kleinstaaten herauszubrechen, war nach der Revolution 1917 zwar gescheitert, wird jedoch derzeit von Amerika mit aller Macht betrieben.

Wie beurteilen Sie dann die deutschen Politiker, die doch mit ihrem Verhalten alles tun, um Deutschland in dieser moralischen Würge-Situation zu halten?

Bülow: Wir verdanken den USA die Niederwerfung des Nationalsozialismus, den wirtschaftlichen, zivilisatorischen Wiederaufstieg und nicht zuletzt die aktive Unterstützung bei der Widervereinigung 1990. Aber daß wir schon vor 1945 durchaus auch Instrument angelsächsischer Politik waren und bis 1990 blieben, hat das historische Bewußtsein der Deutschen noch nicht erreicht. Doch Deutschland muß im Verband mit den europäischen Völkern eine gewisse Emanziaptionsleistung erbringen. Amerika hat klare eigene wirtschaftliche und politische Interessen, die es knallhart und zum Teil durchaus völkerrechtswidrig durchsetzt, und darüber wacht, daß ihm in Europa kein Konkurrent erwächst. Wir Deutschen dürfen vor lauter Dankbarkeit nicht das Denken sein lassen.

Wie wollen Sie einem Geopolitik betreibenden Akteur begegnen? Realistisch gesehen, bleibt doch nur die Wahl, entweder betreibt man selbst Geopolitik, oder es wird mit einem Geopolitik betrieben.

Bülow: Zuallererst muß das Spiel durchschaut werden. Das internationale Recht steht gegen die geopolitischen Zielsetzungen einer Großmacht, die bislang mit verdeckten Methoden der Drogenfinanzierung und Bewaffnung von Minderheiten das Initiieren von Aufständen inklusive Terror usw. verfolgt hat. Diesem Treiben kann Europa nur in seiner Gesamtheit widerstehen. Man kann nicht genug vor einer Vereinzelung einer angemaßenden Sonderrolle Deutschlands warnen! Berlin ist eine belastete und naive Provinz. Erst wenn London und Paris zusammen mit uns die gemeinsame Antwort auf die derzeitige Politik der USA formulieren und umsetzen, gibt es eine Chance, aus dem Gedankenkorsett der Geopolitik auszubrechen.

Läßt sich dies mit Ihrem sanftmütigen Appell, Kulturgroßmacht zu werden, tatsächlich bewerkstelligen? Muß man Ihnen - angesichts Ihrer eigenen Analyse - nicht den Vorwurf machen, daß Sie offenbar die Hitze des zunächst innenpolitischen, später außenpolitischen, Gefechtes scheuen, die mit einem ernsthaften Eintreten für Ihre Ansichten verbunden wäre?

Bülow: Nein, ich möchte nicht in Gegensatz zu Amerika geraten, ich träume immer noch davon, es könnte eine friedliche Lösung geben. In Amerika könnte eine Diskussion darüber beginnen, was Amerika in der Welt außenpolitisch angerichtet hat: Nämlich die Freiheitsbewegungen in aller Welt zerstört, deren Führer liquidiert und durch korrupte Regime ersetzt zu haben. Das wurde getan in der Annahme, die Führer der dritten Welt würden sich alle früher oder später auf die Seite der Sowjetunion schlagen. Das war die Rechtfertigung, die kommunistische Gefahr, noch bevor sie auftreten konnte, zu bekämpfen und die Befreiungsbewegungen regelrecht zu enthaupten.

Wahrscheinlicher als eine Emanzipation Europas ist, daß wir in Zukunft noch tiefer in das geopolitische System der USA und damit auch in deren Kriege verstrickt werden: Etwa gegen den vermutlichen Herausforderer des 21. Jahrhunderts, die Chinesen?

Bülow: 1952 haben die Amerikaner Kämpfer nach Tibet geschickt, um dort Aufstände auszulösen. Daraufhin haben die Chinesen zurückgeschlagen. Die ganze Brutalität der Unterdrückung Tibets ist also kausal eine Folge der verdeckten amerikanischen Einmischungspolitik. Afghanistan war lange Zeit die Pufferzone zwischen den Einflußsphären Großbritanniens, Rußlands und Chinas. Dieses Niemandsland haben die USA nun besetzt, nicht nur weil die Taliban die Unocol-Pipeline zum Indischen Ozean nicht schützen konnten, sondern auch um Militärbasen zur Kontrolle des asiatischen Raumes aufzubauen. Denn China wird sich weiter organisieren und kann dann tatsächlich zum großen Herausforderer werden. Es geht in Afghanistan nicht nur darum, den Terror zu bekämpfen. So wie man den Kuwait-Krieg genutzt hat, um in Arabien, wie man den Bosnien- und Kosovokrieg genutzt hat, um auf dem Balkan US-Militärpräsenz zu organisieren, nutzt man nun den Krieg gegen den Terror, um sich in Zentralasien ein militärisches Standbein zu verschaffen. Und nicht nur in Zentralasien, sondern wo immer sonst es sich lohnt und man einige al-Quaida-Kämpfer, Finanziers und Gastgeber meint ausmachen zu können.

Dann ist der Islam nur ein Vorwand für den Griff nach der Weltmacht?

Bülow: Der Terroranschlag am 11. September 2001 war vermutlich nicht das Werk von Muslimen.

Sondern?

Bülow: Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Es ist Sache der Strafverfolgungsbehörden, dem nachzugehen.

Wie kommen Sie dann zu dieser Annahme?

Bülow: Wenn sich die Theorie anhand der Fakten nicht verifizieren läßt, dann muß man eben mit der Fahndung von vorne beginnen. Tatsache ist, daß von den 19 angeblichen Selbstmordpiloten sieben nachweislich noch leben. Außerdem befindet sich nicht ein arabischer Name auf den veröffentlichten Passagierlisten der vier gekaperten Flugzeuge. Die offizielle Darstellung in den USA wie in Europa ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit schlicht falsch, bzw. besser gesagt gefälscht. Im übrigen eignet sich der Kampf gegen den weltweiten Terror wunderbar als Vorwand, gegen nahezu alle sich querstellenden Staaten vorzugehen. Einige Spitzenleute der Administration in Washington sprechen von 60 in Frage kommenden Staaten. Ausgewählt werden die vermutlich nach ihrer strategischen Lage und den zu erschließenden Bodenschätzen.

Sie vermuten doch nicht ernstlich die CIA selbst hinter der Aktion?

Bülow: Briten und Amerikaner haben schon nach dem Zweiten Weltkrieg damit begonnen, Verfahren zu entwickeln, Flugzeuge vom Boden aus fremdzusteuern. Es gelang ihnen, nicht nur Start und Landung zu bewältigen, sondern sogar Formationsflüge. Die Profis, die den 11. September organisierten, könnten sich dieser Technik bemächtigt und zur Desinformation der Kriminalisten die Muslim-Spur gelegt haben. Ich kann die Annahme des britischen Luftfahrtingenieurs nicht beurteilen. Ich sehe nur, daß den Hinweisen nicht nachgegangen wird, ja, daß deren Erörterung in den Medien unterlassen, und so der Administration in Washington der Durchmarsch mit der bin-Laden-Verschwörungstheorie ermöglicht wird. Das hartnäckige Verschweigen bestätigt mein Mißtrauen.

Bin Laden hat den USA den Kampf angesagt. Ist seine Urheberschaft nicht immer noch die heißeste Spur?

Bülow: Man hat oft den Eindruck, die US-Geheimdienste hassen sich gegenseitig mehr als die Gegner ihres Landes. Und auch dem Mossad kann daran gelegen sein, dem Westen zu bedeuten, daß die muslimische Bedrohung ihn genauso betrifft wie Israel selbst. Auf jeden Fall war das eine hochprofessionelle Aktion, so etwas kommt nicht aus den Höhlen von Afghanistan, ausgeschlossen. Und was bin Laden betrifft, der erscheint mir als ein wundervolles Kunstprodukt der amerikanischen Dienste. Ohne die verdeckte Operation der CIA in Afghanistan zur Destabilisierung der Sowjetunion und späteren Bekämpfung der sowjetischen Truppen wären nicht 30.000 muslimische Kämpfer aus allen muslimischen Ländern als Söldner ins Land gekommen, gäbe es nicht den Verband der Afghanis, genannt al-Quaida, hätte es nicht die Herrschaft der Talibane in Afghanistan gegeben. Amerikanische und saudische Gelder und nicht zuletzt die Duldung des Drogenhandels in den USA und Europa haben den fundamentalen Islamismus in der moslemischen Welt erst zur Blüte gebracht. Es waren die westlichen Geheimdienste, inklusive des Mossad, die uns den Islamismus eingebrockt haben.

 

Andreas von Bülow war von 1969 bis 1994 SPD-Bundestagsabgeordneter, von 1976 bis 1980 Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und von 1980 bis 1982 Bundesforschungsminister. Heute arbeitet er als Rechtsanwalt in Bonn. Er ist Autor des Buches „Im Namen des Staates. CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste“ (Piper, München 2000).

 

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