© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Brummifahrer im Zwielicht
EU-Verkehrspolitik: 80 Prozent der Tansportfirmen arbeiten illegal / Lkw-Fuhrpark in Luxemburg stillgelegt
Ronald Gläser

Letzten Freitag stoppte der Bundesrat die geplante Einführung einer Maut für Lastwagen auf deut-schen Autobahnen. Die Bundesländer forderten, daß die geplante Verwendung der Einnahmen für Investitionen in die Verkehrs-Infrastruktur bereits im Gesetz festgeschrieben wird. Bisher hätte dies separat erfolgen sollen. Die Länder riefen deshalb den Vermittlungsausschuß an. Die Bundesregierung will ab 2003 auf Autobahnen eine streckenabhängige Abgabe für Lastwagen über zwölf Tonnen einführen. Je nach Größe und Schadstoffausstoß eines Lkws soll sie durchschnittlich 0,15 Euro pro Kilometer betragen. Der Bundestag hat das Gesetz bereits beschlossen.

In welcher Form die Lkw-Maut auch kommen mag - Bund und Länder können in jedem Fall mit höheren Einnahmen rechnen. Der Lkw-Verkehr wird zunehmen, da sind sich alle Prognosen einig. Über die sozialen Ursachen und Folgen des anwachsenden Frachtverkehrs wird hingegen nur selten diskutiert. Für die dort Beschäftigten verursacht die EU-weite Abschaffung immer weiterer staatlicher Barrieren fundamentale Veränderungen.

Besonderes Aufsehen erregt zum Beispiel in Österreich seit geraumer Zeit die Situation der Fracht- und Logistikwirtschaft. Transportunternehmen arbeiten zwangsläufig grenzübergreifend und können als Archetypen der Globalisierung angesehen werden. Die in dieser Branche Tätigen müssen zu den ersten Opfern der neuen Wirtschaftsordnung gezählt werden.

Unter den alpinen Transportfirmen hat es sich eingebürgert, ausländische Fahrer zu beschäftigen. Diese sind bereits mit einem Stundenlohn von fünf Euro zufrieden. Zusätzlich werden in großem Stil die nationalen Sozialgesetzgebungen umgangen. Schließlich ermöglichen EU-interne Briefkastenfirmen eine Verschleierung der Geschäftspraxis.

Die Fahrer werden vorwiegend in Osteuropa rekrutiert. Falls überhaupt Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, dann werden die zugrundeliegenden Bruttogehälter modifiziert. Abgabenfreie Zuschläge übertreffen daher oftmals das eigentliche Gehalt. Meistens wird aber auf die Versicherungspflicht des Arbeitnehmers in seinem Heimatland verwiesen, was durch die Polizei oder Straßenverkehrsbehörden im EU-Bereich nicht überprüft werden kann. Nationale Behörden können sich nicht einmal der vermeintlichen Versicherung in einem anderen EU-Land vergewissern.

Unabhängig von ihrer Herkunft wird Lkw-Fahrern ohnehin meist ein illegales Arbeitspensum von bis zu einhundert Stunden in der Woche auferlegt. Überhöhte Geschwindigkeiten, Kapazitätsüberschreitungen und Nichteinhalten der Ruhezeiten gehören dazu. Tachometer werden manipuliert, und gefälschte Urlaubsscheine täuschen über die Arbeitsüberlastung hinweg. Wer sich als Arbeitnehmer nicht den Anweisungen seines Arbeitsgebers unterwirft, hat schlechte Karten.

Eine langjährige Ausbildung muß ein Lkw-Fahrer eigentlich nicht absolvieren. Wenn es um billige Arbeitskräfte geht, werden Unternehmer gerne einfallsreich. So bemängelte ein Vertreter des österreichischen Fachverbands der Transportindustrie vor kurzem, das Gewerbe finde nicht ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte. Und die hohe Kfz-Steuer sei an der Malaise der Branche schuld.

Die Zwänge des Wettbewerbs lassen keinem Unternehmer die Wahl. Wer sich strikt an die Gesetze hält, wird verdrängt. So äußerte ein Leiter einer Tiroler Frachtfirma, daß es unmöglich sei, auf dem Markt zu bestehen, wenn „man sich an Recht und Ordnung“ halte. Da wundert es nicht, wenn der Dachverband der österreichischen Gewerkschaften achtzig Prozent der Transportfirmen unsauberer Geschäftspraktiken beschuldigt.

Seit zwei Jahren wachsen die Bemühungen staatlicher Behörden, grenzüberschreitend der chaotischen Zustände Herr zu werden. Im Sommer 2000 hoben bayerische und österreichische Behörden eine Liechtensteiner Briefkastenfirma aus, die illegal Ausländer im EU-Gebiet beschäftigt hatte.

Als noch größeres Paradies für Scheindependancen europäischer Transportfirmen gilt aber Luxemburg. Niedrige Steuern und unkontrollierbare Beschäftigungsverhältnisse erleichtern Geschäftemachern ihr Treiben. Und in Luxemburg kam es nun auch zum Eklat, der für Spannungen in der EU sorgt. Dorthin hatte der aus Niederösterreich stammende Karl Kralowetz seine Unternehmenszentrale verlagert. Er wurde verhaftet und seine Büros durchsucht. 2500 Ordner werden von Behörden genauestens studiert.

Kralowetz soll rund dreihundert Lkws und fast vierhundert Fahrer kommandiert haben. Nur drei der Fahrer waren EU-Bürger, die meisten Brummifahrer kamen aus der Slowakei. Sozialabgaben, die einen zweistelligen Millionenbetrag ausmachen dürften, wurden nicht abgeführt. Die betroffenen Fahrer, rund 140 Osteuropäer, sitzen jetzt mittellos auf der Straße, weil auch alle Konten gesperrt worden sind.

Ihre Gewissensbisse wegen der jahrelangen Untätigkeit therapieren die Luxemburger nun durch Großmut. Die Fahrer erhalten einen Heimflug und eintausend Euro in bar, damit sie nicht mit leeren Händen zu Hause ankommen. Von weiteren Sonderabkommen mit Weißrußland oder der Ukraine möchten die Luxemburger jetzt lieber absehen. Dagegen sind die Österreicher den deutschen Behörden für ihr Einschreiten dankbar. Die Münchener Staatsanwaltschaft hatte den Fall aufgegriffen.

In Deutschland sind die Gesetze härter als im Alpenland. Illegale Beschäftigung gilt als Ordnungswidrigkeit. Einen Ausweg sehen die staatlichen Behörden jetzt in einer Neudefinition des Tatbestandes. Diese neue Form des Sozialtourismus soll als Schlepperei verfolgt werden, worauf fünf Jahre Haft stehen.

Max Weber hat schon vor Jahrzehnten die Globalisierungsfolgen erahnt: „Wir haben ein Stadium kapitalistisch ungeordneten Wirtschaftens erreicht, in dem nicht mehr die höher stehende Kultur sich durchsetzt, sondern im Existenzkampf mit den niedrigeren Kulturen unterliegt.“


 
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