© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Weichenstellung
Karl Heinzen

Rolf-E. Breuer hat seine These, daß sich die Kreditwirtschaft hierzulande in einer schweren Strukturkrise befin­det, durch den dramatischen Gewinnein­bruch, den die Deutsche Bank im letzten Geschäftsjahr unter seiner Führung vorzuweisen hatte, untermauern können. Was er seinem Nachfolger Josef Ackermann außerdem mit auf den Weg zu geben vermag, ist die Erkenntnis, daß unterneh­merisches Planen über die kurze Frist hinaus heutzutage kaum mehr seriös möglich ist. Die Marktzusammenhänge sind zu komplex und ihre Dynamik, zu der die technische Innovation ja beileibe nicht alleine beiträgt, zu unberechenbar, als daß ein Entscheider noch eine vernünftige Vorstellung davon entwickeln könnte, mit was für einer Situation sein Unternehmen beispielsweise in zwei Jahren konfrontiert sein wird. Entsprechend sinnlos sind Versuche, heute Vorkehrungen dafür zu treffen, daß man später gut dasteht.

Die Eigentümer und immer wieder auch die Beschäftigten oder sogar die Öf­fentlichkeit erwarten jedoch genau solche Entscheidungen ohne jegliche Planungsgrundlage, weil sie Untätigkeit mehr beunruhigt als eine Weichenstellung, die heute plausibel dargestellt werden kann und sich erst später, wenn längst schon wieder andere Probleme drängen, als absurd herausstellt. Für diese psychische Entlastung in der Gegenwart nehmen sie nicht allein bereitwillig Kosten, sondern sogar eine strategische Schlechterstellung in der Zukunft in Kauf.

Manager handeln also in eigenem Inter­esse und damit rational, wenn sie Vi­sionen entwickeln, die sich über kurz oder lang als Schimäre entpuppen. Ihr Prestige kann sogar wachsen, wenn sie den Eindruck zu erwecken verstehen, sie könnten sich von ihnen am Herzen liegenden Vorstellungen verabschieden, sobald die Zeit dafür gekommen ist. Wenn Rolf-E. Breuer und Josef Ackermann in einem Augenblick, in dem ihr Unternehmen in Ermangelung von Gewinn sozusagen zum Selbstzweck geworden ist und die Menschen statt einer Kontinuität der Zahlen doch wenigstens eine solche der Worte erwarten, unisono ein Bekenntnis zum Finanzplatz Frankfurt ablegen, sollte dies also nicht als eine unverhoffte Perspektive für diesen mißverstanden werden. Mehr als das „klassische“, aber eben gewinnschwache Bankgeschäft mit dem hiesigen Pöbel wird die Deutsche Bank von der „Mainmetropole“ aus nämlich kaum noch steuern wollen und können.

Die Dresdner Bank und die Commerzbank fallen international nicht ins Gewicht. Die Deutsche Börse AG hat auch dank technologischer Neuerungen ihre Standortgebundenheit überwunden. Die Deutsche Bundesbank verwaltet die Erinnerung an eine hegemoniale Geldpolitik von einst. Selbst die Europäische Zentralbank wird sich Gedanken machen müssen, der neuen Finanzprovinz rechtzeitig zu entkommen. Mit ihrer Entscheidung für Frankfurt hat sie den Deutschen den Abschied von der Mark versüßt. Warum sollte sie mit einer Weichenstellung für London den Briten nicht ähnliches bieten können


 
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