© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002


Embryonenforschung
Der Fluch unserer Epoche
Dieter Stein

Fasziniert starren junge Eltern bei einer Schwangerschaft auf die verwackelten Ultraschall-Fotos, die der Frauenarzt in den ersten Wochen und Monaten vom wachsenden Leben im Mutterleib macht. Aufgeschreckt vom hämmernden Geräusch des Ultraschalls bewegt sich das zunächst nur wenige Millimeter messende Wesen lebhaft.

Vom Moment der Befruchtung an steht der werdende Mensch unter regelmäßiger Überwachung, die im Ergebnis fortschreitender medizinischer Forschung immer umfassender wird. Im Rahmen der pränatalen Diagnostik werden frühzeitig Fehlentwicklungen und Risiken ermittelt. Die Erkenntnisse, die daraus gewonnen werden können, setzen die Eltern unter Zugzwang. Daß man das Geschlecht des Kindes vor der Geburt erfahren kann, ist noch das Harmloseste.

„Durch die Arbeit kenne ich eine Reihe Eltern, die sich immer wieder die Frage gefallen lassen müssen, ob denn ein Kind mit Behinderungen ‚heutzutage wirklich nötig gewesen wäre‘. Das hätte man - der pränatalen Diagnostik sei Dank - ja nun vorher abklären können.“ Dies schrieb vor wenigen Tagen Claudia Kaminski, Ärztin und Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, in der FAZ.

Die wachsenden Möglichkeiten, in die Entwicklung des menschlichen Lebens, von der Zeugung über den Verlauf der Schwangerschaft bis zur Geburt einzugreifen, sind nur ein vermeintlicher Segen, der sich als Fluch unserer Epoche entpuppen könnte. Die Verfeinerung der Fertigkeiten, im Bauplan des Lebens herumzufuhrwerken, bringen nicht zufällig Gesellschaften hervor, die demographisch im Sterben begriffen sind. Indem wir das Leben beherrschen, wird es uns genommen. Der Sündenfall war die Freigabe der Abtreibung. Die Konsequenz ist heute die Degradierung der Embryonen zum medizinischen Ersatzteillager und zur Ware des „medizinisch-industriellen Komplexes“.

Die typisch deutsche Nicht-Entscheidung des Bundestages vom 30. Januar stößt das Tor zu Verwertung menschlicher Embryonen weit auf. Es wird der Einstieg in eine systematische Ausweitung der verbrauchenden Embryonenforschung sein. Wenn das Publikum sich an die nun beschlossenen Tatsachen gewöhnt hat, wird man in Bälde einen erweiterten Beschluß nachschieben. Die Ausweitung der Forschung nach der Entscheidung des Bundestages ist eine ethische Zeitbombe. Die Biotechnologie-Lobby hat die Gegner an die Wand gespielt, indem sie ungeahnte medizinische Segnungen versprach und das Leid von Kranken instrumentalisierte. Der Rest ist Zynismus:

„Es läßt sich eh’ nicht aufhalten, dann sollten wir wenigstens beim Geschäft mit dabei sein“, lautet die entwaffnend pragmatische Formel vieler Kommentatoren. Deutschland ist zwar in der Lage, aus dem Milliardengeschäft der Kernenergie auszusteigen, einer noch bis in die siebziger Jahre gefeierten „Schlüsseltechnologie“ - aber bei den jetzt favorisierten biotechnologischen Experimenten soll dies nicht möglich sein? Es wäre jedoch richtig.


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