© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
BLICK NACH OSTEN
Der „Dschihad“ aus Bosnien
Carl Gustaf Ströhm

Daß Europa von den Folgen des 11. September nicht verschont bleibt, bestätigt sich jetzt drastisch im „befriedeten“ Bosnien-Herzegowina. Es begann damit, daß der Oberste Gerichtshof in Sarajevo kürzlich sechs Algerier, die als Mudschaheddin auf der Seite der bosnischen Moslems gekämpft hatten, von der Anklage des Terrorismus freisprach. Die Araber waren vom US-Geheimdienst verdächtigt worden, Anschläge auf die britische und die US-Botschaft in Sarajevo geplant zu haben.

Die Ausgelieferten sind inzwischen Familienväter und bosnische Staatsbürger, denn sie haben bosnisch-moslemische Mädchen geheiratet. Zwar klagen katholische bosnische Kroaten seit langem über Drangsalierungen durch fanatische arabische Moslems - das aber nahmen Exponenten des Westens vor dem Einsturz der WTC-Türme nicht ernst. Nach ihrem Freispruch von der Anklage des Terrorismus - der CIA weigerte sich, dem bosnischen Höchstgericht irgendwelche Beweise vorzulegen - kam es zum Eklat: Die Freigesprochenen wurden nicht nach Hause geschickt, sondern den US-Streitkräften übergeben.

Über einen US-Stützpunkt in Deutschland wurden sie zur Marinebasis Guantánamo ausgeflogen, wo sie inzwischen in den bekannten Käfigen gehalten werden.

Weder ihre Familien noch Anwälte wurden über den Verbleib der sechs informiert. Eine Protestdemonstration mit weinenden Ehefrauen und Menschenrechtsaktivisten wurde von gleichgeschalteten Medien als Zusammenrottung von „Extremisten“ abgetan.

Die weinenden islamischen Frauen von Sarajevo markieren nicht nur das Ende der Zusammenarbeit (und der Sympathien) von Moslems und Amerikanern in Bosnien. Die UN-Menschenrechts-Beauftragte vor Ort, Madeleine Rees, meinte: Der Westen predige den Bosniern den Rechtsstaat - wenn es ihm aber passe, setze er sich über alle Normen und Gesetze hinweg. Er zwinge die bosnische Regierung, die Urteile ihrer eigenen Justiz zu mißachten: Eine seltsame Einführung in die Demokratie. Diese US-Aktion dürfte schwerwiegende Folgen für das ohnedies labile bosnische Klima zeitigen.

Wie nahe der Nahostkonflikt und der - laut Samuel Huntington - „Kampf der Kulturen“ an die europäische Haustür rückt, zeigte der Besuch einer israelischen Parlamentarierdelegation in Kroatien - zur gleichen Zeit, da sich besagte Ereignisse in Sarajevo abspielten. Die Gäste aus dem Heiligen Land hatten ihre Gastgeber vor möglichen Terrorakten auch auf kroatischem Boden gewarnt. Darauf kam es zu einem diplomatischen Zwischenfall. Ein bosnischer Regierungssprecher verlangte, Israel solle sich für Äußerungen des (in Jugoslawien geborenen) Knesset-Abgeordneten Tommy Lapid entschuldigen. Der Chef der liberalen Shinui-Partei hatte gewarnt, Kroatien werde durch einen „Dschihad“ aus Richtung Bosnien bedroht. Der Chef der Organisation kroatischer Moslems, Mirsad Baksic, attackierte den kroatischen Präsidenten Stipe Mesic, weil dieser solchen Äußerungen der Israelis nicht entgegengetreten sei: „Die israelischen Parlamentarier haben alle Anhänger des islamischen Glaubens als Terroristen bezeichnet und direkt zu religiösem Haß aufgerufen.“ Mesic hatte zuvor davon geschwärmt, daß Zehntausende von Israelis bald ihre Ferien in Dalmatien verbringen könnten.

Ein skeptischer Beobachter meinte allerdings: „Als Israeli würde ich meine Ferien nicht an einem Strand verbringen, der nur zwanzig Kilometer von der bosnischen Grenze entfernt ist.“ Trotz SFOR und Dayton droht der „bosnische Kessel“ zu platzen.


 
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