© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Stille Hilfe aus dem Vatikan
Anmerkungen zu einer „unterschlagenen“ Enzyklika
Lothar Groppe S.J.

Noch Jahre nach seinem Tod 1958 galt Papst Pius XII. als Anwalt der Menschenrechte und Gegner des Nationalsozialismus und Kommunismus. Dies änderte sich schlagartig mit dem „Christlichen Trauerspiel“ von Rolf Hochhuth, das als „Der Stellvertreter“ weltweite Verbreitung fand. Hochhuth bezeichnete Pius XII. als „Verbrecher“, weil er nicht „die Stimme seines Schmerzes ... zu einem Fluch, der noch den letzten Menschen dieser Erde erschauern läßt“, gegen die Deportation und Ermordung von zahllosen Juden erhoben habe. Hochhuth will glauben machen, ein Wort des Papstes hätte Hitler zurückschrecken lassen und unzählige Juden gerettet. Der jüdische Historiker und Theologe Pinchas E. Lapide verweist solche Annahme ins Reich der Phantasie. In seinem Werk „Rom und die Juden“ weist Lapide aus vorwiegend jüdischen Quellen nach, daß die katholische Kirche unter Pius XII. mehr Juden gerettet hat als alle anderen Kirchen und die westlichen Demokratien zusammengenommen.

Seit bekannt wurde, daß Papst Pius XI. den amerikanischen Jesuiten LaFarge beauftragt hatte, den Entwurf einer Enzyklika gegen Rassismus und Nationalismus vorzubereiten, meinten einige Kritiker, sein Nachfolger Pius XII. habe nach seinem Amtsantritt 1939 diese Enzyklika „unterschlagen“. Ist dieser Vorwurf begründet? LaFarge erbat vom General der Jesuiten die Unterstützung durch Fachleute, weil er sich allein dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlte. Ihm wurden zwei renommierte Mitbrüder an die Seite gestellt, der Franzose Desbuquois und der deutsche Jesuit P. Gundlach. Letzterer war ein anerkannter Sozialwissenschaftler, dessen Beitrag ganz wesentlich in den Entwurf der geplanten Enzyklika einfloß. Die Arbeit wurde um die Jahreswende 1938/39 dem Ordensgeneral übergeben, der sie noch von unabhängigen Fachleuten begutachten lassen wollte.

Nachdem die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von 1937 zwar in Deutschland heftigste Reaktionen ausgelöst hatte, weltweit aber kaum beachtet wurde, kam es darauf an, Formulierungen zu finden, die zwar das Verbrecherische der NS-Rassenlehre klar herausstellten, aber nicht zu verschärften Maßnahmen gegen die Betroffenen führten. Im Februar 1939 starb Pius XI. Ihm folgte im März Pius XII. Damals war die drohende Gefahr eines weltweiten Krieges das beherrschende Thema. Die Juden waren für niemanden das eigentliche Problem. Zwar hatte es Ausschreitungen gegen sie gegeben, aber kein Mensch dachte an ihre systematische Vernichtung. Auf der Konferenz von Evian 1938, die eigens wegen der bedrohlichen Lage der Juden in Deutschland einberufen worden war, weigerten sich die Vertreter sämtlicher 32 anwesenden Länder, deutsche Juden aufzunehmen.

Man mag im Nachhinein das Nichterscheinen der Enzyklika bedauern, an den Realitäten hätte sie nichts geändert. Und nicht nur Katholiken war bekannt, daß die katholische Kirche den Antisemitismus scharf verurteilte. Noch im Mai 1938 hatte die Päpstliche Studienkommission ein Schreiben an alle Rektoren der katholischen Universitäten gerichtet, das jegliche Form von Rassismus als mit der Lehre der katholischen Kirche für unvereinbar verurteilte. Deshalb wurden biologistisch-rassistische Weltanschauungstheoreme strikt abgelehnt. Das Schreiben sollte die Grundlage für den Entwurf der geplanten Enzyklika bilden.

Wenn der Herausgeber erst nach so vielen Jahren die Hintergünde und Zusammenhänge des Schicksals der geplanten Enzyklika gegen Nationalismus und Rassismus offenlegt, so liegt der Hauptgrund hierfür in der irrigen Annahme, er sei an die Sperrfristenregelung des Vatikanischen Geheimarchivs gebunden. Tatsächlich gelangte der Entwurf nie dorthin und auch seitens der Ordensleitung bestanden keine Bedenken gegen eine Veröffentlichung des Textes.

Papst Pius XII., der als Kardinalsstaatssekretär seines Vorgängers von der geplanten Enzyklika wußte, setzte gleich nach seiner Thronbesteigung alle Hebel in Bewegung, um den drohenden Weltkrieg zu verhindern. Nach den Erfahrungen, die der Vatikan seit Hitlers Amtsantritt mit den neuen Machthabern in Deutschland gemacht hatte - zum Beispiel wurden von den 55 Protestnoten, die der Heilige Stuhl zwischen 1933 und 1939 nach Berlin schickte, nur elf überhaupt beantwortet - rang sich Pius XII. dazu durch, daß es wichtiger sei, alle Möglichkeiten stiller Hilfe auszuschöpfen, als durch öffentlichen Protest die Nazis herauszufordern, ohne den Verfolgten helfen zu können.

Sein Nachfolger im Petrusamt, Nuntius Roncalli - der spätere Johannes XXIII. - sagte zu Lapide: „Ein doktrinärer Papst hätte vielleicht ostentativ gehandelt; ein humaner mußte die stille Rettung der Verfolgten dem Posaunenruf einer leeren Enzyklika vorziehen.“


 
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