© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
Der letzte Mandarin
Nachruf auf Pierre Bourdieu
Angelika Willig

Zu einer Zeit, als das Bildungsbürgertum abdankte, schleuderte Bourdieu ihm seinen Fluch nach. Das ist schon ärgerlich. Doch über Tote nichts Böses - denn Pierre Bourdieu ist am Mittwoch, den 23. Januar, an Krebs gestorben. Also versuchen wir, ihn zu verstehen. Statt das Ordinäre und Mediokre zu kritisieren, was inzwischen frech und laut den Platz der „großen Mandarine“ à la Max Weber, Carl Schmitt oder Martin Heidegger und ihres distinguierten Hofstaats eingenommen hat, greift er die Autorität und deren Abzeichen gerade auf dem Felde des Geistes an. Sein Verdacht ist, daß die „großen Männer“ gar nicht viel zu bieten haben, aber durch ihren besonderen „Habitus“ einzuschüchtern verstehen.

1930 in einem kleinen Ort in den Pyrenäen geboren, kam Pierre Bourdieu Anfang der fünfziger Jahre nach Paris an die Elite-Universität. Zuerst machte er alles falsch. Nicht im Unterricht, denn dafür ist er ja unter einer riesigen Anzahl von Bewerbern ausgewählt worden. Doch das andere, seine Sprechweise, seine Kleidung und Lieblingsspeisen, die Musik, die er hörte, alles zeugte von seiner einfachen Herkunft. Kann ein Aufsteiger diese unsichtbare Schranke durchbrechen?

Bourdieu selbst ist der Beweis dafür. Er starb als weltbekannter Soziologe, als Professor des berühmten Collège de France und nicht zuletzt als Kultfigur jener Intellektuellen, die sich weiterhin als links verstehen.

Sein Buch „Die feinen Unterschiede“ von 1979 bestätigte all die kulturlosen Absolventen der Massenuniversitäten darin, den offenkundigen Niveauverlust als humanen Fortschritt aufzufassen. Mit dem Buch schaffte Bourdieu seinen Durchbruch. Es ehrt ihn, um noch etwas Gutes zu sagen, daß er sich in den neunziger Jahren einem lebendigeren Gegner zuwandte, dem Neoliberalismus. Hier kommt der Post-Marxist auf seine Wurzeln zurück. Entscheidend sind nicht mehr die „feinen“, sondern die finanziellen Unterschiede.


 
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