© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002

 
„Damals bei Schwichi-Schwaloche...“
Der Film „So weit die Füße tragen“ fällt einer Pressekampagne und dem Desinteresse der Zuschauer zum Opfer
Moritz Schwarz

Kurz vor dem Bankrott stehe seine Firma mittlerweile, gibt Jimmy Gerum, Inhaber des Münchner Filmverleihs „Angel Falls“, unumwunden zu. Nicht weniger als die Neuverfilmung des Bestsellerromans „So weit die Füße tragen“ von Josef Martin Bauer, der Ende der fünfziger Jahre zum heimlichen Nationalepos der geschlagenen Deutschen avancierte, hatten sich der unabhängige Filmproduzent und sein Nachwuchsregisseur Hardy Martins vorgenommen (JF berichtete). An den Kinokassen bleibt dem Film nun jedoch der dringend benötigte finanzielle Erfolg versagt.

Für politische Anfeindungen „gibt es in unserem Film doch gar keine Angriffspunkte“, hatte Bastian Clevé, Ko-Produzent und Drehbuchautor, noch beim Start des Films am 27. Dezember in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 2/02) geäußert. Immerhin wagten es Clevé, Gerum und Martins mit der Wahl ihres Stoffes, der auf einem Tatsachenbericht beruhenden Geschichte eines 1949 aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager flüchtenden Landsers und dessen dreijährigen Fußmarsch quer durch die Sowjetunion bis nach Persien, einen deutschen Soldaten zum Helden ihres Filmepos zu machen. Und das auch noch weitgehend ohne die für solche Filme heutzutage moralisch verpflichtenden historischen Betroffenheitsbekundungen und Selbstanklagen.

Prompt reagierten diverse Filmkritiker mit heftigen politischen Anfeindungen und Verrissen. Bereits die Wahl des Themas schien verdächtig, meinte die Stuttgarter Zeitung. „Hier finden die Täter in die Opferrolle, hier schlugen die Besiegten den Siegern ein Schnippchen, hier zeigte der deutsche Landser noch einmal, daß er der Roten Armee überlegen war“, schrieb das Blatt und fragte sich, ob bei der Neuverfilmung solch „revanchistischen“ Stoffes nicht „die Alarmglocken schrillen“ müßten. Dem Schwesterblatt Stuttgarter Nachrichten erscheint gar nur noch das Mittel der Pöbelei als angemessene Reaktion, der Film sei vom Schlage „Opi erzählt“: „Damals bei Schwichi-Schwaloche, als die Neunte eingeschlossen war und der Iwan ...“

Auch der Münchner Merkur reduzierte das schwere Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen auf die polemische Formel „Ein braver Deutscher, der von Führer und Russen immer nur betrogen wurde, schlägt sich durch“. Und urteilt abschließend „unerträglich“. Die Westdeutsche Zeitung kritisiert, daß sich der Film zu sehr an die Romanvorlage halte, „statt (an die) Wehrmachtsausstellung“. Sie versucht, den Film als „Stubenmief und Musikantenstadl“ zu diskreditieren. Die Chemnitzer Freie Presse bemängelt, „daß die Taten der Deutschen in Rußland im Dunkeln bleiben“ und erinnert daran, „daß allein im ersten Kriegsjahr drei Millionen Rotarmisten in deutscher Gefangenschaft umkamen“. Laut Ruhr Nachrichten folgt der „von Haß erfüllte“ Film der „verlogenen Logik“, „das Leid der deutschen Soldaten“ in russischer Gefangenschaft, „dem der Juden“ gleichzustellen. „Gefeiert“ würden „deutsche Tugenden wie Härte und Zähigkeit, die im Dritten Reich hoch im Kurs standen, während Russen und Moslems als brutal, niederträchtig und verkommen gezeichnet werden“. Da hilft es dem Film auch nicht, daß (wie im Roman) ein Jude als beinahe übermenschlich gütig und der sowjetische Antagonist (vom Drehbuch eingefügt) am Ende als ritterlich dargestellt wird.

Auch der Branchenführer Cinema, Europas größte Filmzeitschrift, sieht linientreu nur einen „Kalten-Krieg-Film - hochprozentig ... voller diabolischer Sowjets und wackerer Teutonen“. Trotz des historischen Grauens des Gulags, der verbürgten Brutalität der sowjetischen Sieger und der geschichtlichen Tatsache, daß etwa 1,3 Millionen deutsche Soldaten in der Gefangenschaft umkamen, werden die im Film nur angedeuteten Sowjet-Verbrechen nicht als historische Realität, sondern als antikommunistisches Feindbild gewertet: „Treten, Schreien, Schlagen, Schießen“, sind gemäß des Films, so der Berliner Tagesspiegel, „noch immer die Lieblingsbeschäftigungen der Sowjets“. Kurze „Vielleicht sind wir selber schuld?“-Dialoge unter den Landsern werden von der FAZ als „Phrasendrescherei“ abgetan.

Auch wenn der Film inzwischen aus den meisten großen Kinos verschwunden ist, will Bastian Clevé nicht von einem Boykott der Kinobesitzer sprechen, die hätten sich im Gegenteil eher positiv über den Film geäußert. Dennoch weiß die JUNGE FREIHEIT wenigstens von einem Fall, in dem Kinogänger an der Kasse des Berliner Zoo-Palastes vom Kartenverkäufer vor dem „rechtsradikalen Film“ gewarnt und statt dessen zum Besuch von „Harry Potter“ aufgefordert worden seien. Die Pressesprecherin des Zoo-Palastes äußerte inzwischen auf Nachfrage der JF ihr Bedauern, „sollte es tatsächlich zu einem solchen Vorfall gekommen sein“ und versicherte der Sache nachzugehen.

Allerdings stellt Clevé klar, daß er den Film beileibe nicht als Opfer einer Pressekampagne sehen möchte. Er habe auch erkennen müssen, daß das Zielpublikum - die Betroffenengeneration und ihre Kinder, die historisch und politisch interessierten Erwachsenen mittleren Alters - trotz eines regen Interesses am Thema „einfach nicht ins Kino gehen“. Damit scheint nun auch Clevés nächstes Projekt, ein großer Spielfilm, der den Untergang Ostpreußens und die Katastrophe der „Wilhelm Gustloff“ ins historische Gedächtnis der Deutschen zurückholen sollte, nicht mehr realisierbar zu sein.


 
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