© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Authentizität
Karl Heinzen

„Bundeskanzler Schröder legt Wert auf die Feststellung, daß seine Haare weder gefärbt noch getönt sind”, meldet die Nachrichtenagentur ddp und dementiert damit eine entsprechende Unterstellung, die sie ungeprüft verbreitet hatte. Nicht anders als die „Bild“-Zeitung, dort hatte sich Boulevard-Zombie Franz Josef Wagner in seiner Guter-Alter-Onkel-Kolumne mit einer vagen Andeutung vorgewagt, war sie durch den Kanzler-Anwalt Michael Nesselhauf dazu aufgefordert worden, in dieser Frage in Zukunft mehr journalistische Sorgfalt walten zu las­sen, da anderenfalls mit einer Unter­lassungsklage zu rechnen sei.

Frühzeitig hat Gerhard Schröder auf diese Weise klargestellt, daß er Verleumdungen, die darauf abzielen, seine Eignung für das Kanzleramt in Frage zu stellen, entschieden entgegentreten wird. In einem Wahlkampf wie dem nun­mehr angelaufenen ist dies auch erfor­derlich, wenn unsere Demokratie insge­samt nicht durch ein Zerrbild eines ih­rer wichtigsten Repräsentanten beschädigt werden soll. Die atmosphärischen Voraussetzungen sind nämlich leider grundverschieden von jenen des Jahres 1998. Damals galt es, sich gemeinsam eines Alpdrückens zu entledigen, des schlimmsten, das unsere Republik bis dahin gekannt hatte. Nicht nur die Sieger, auch die Verlierer der Wahl waren letztlich froh, daß die furchtbare Zeit nunmehr hinter ihnen lag.

In diesem Jahr hingegen gibt es keine Veranlassung, eine Regierung abzulösen. Der Union wird es auch nicht mehr gelingen, sich all jene Positionen, mit denen SPD und Grüne die Wähler der Mitte überzeugen, noch rechtzeitig vor der Wahl zu eigen zu machen. Um so unsachlicher dürfte der Lagerwahlkampf entbrennen. Die Union wird dabei noch weniger Skrupel als 1980, als sie mit Franz Josef Strauß antrat, an den Tag legen. Damals konnte noch mancher aus ihren Reihen witzeln, daß Helmut Schmidt schon der richtige Kanzler wäre, aber bloß das falsche Parteibuch besäße. Dieser Respekt war jedoch nur möglich, weil man Vertrauen in die eigene Substanz haben durfte.

Wer sich mit dieser Union im Wahlkampf auseinandersetzen muß, kann einem leid tun. Inhalte sind von ihr kaum zu er­warten, es sei denn, mit solchen ließen sich, wie etwa seinerzeit in Hes­sen, dumpfe Masseninstinkte ansprechen. Auf dieser Basis käme es einer Verhöhnung des Wählers gleich, über Themen, die ihm nahegehen, mit dem Stoiber-Lager zu debattieren, so als hätte dieses wirklich an ihnen Interesse. Die Regierung entwertet ihre Reformpolitik, wenn sie sie zum Wahlkampfthema macht. Dem Unflat, der auf sie niederprasseln wird, kann sie sich also nicht durch Argumente, wohl aber durch menschliche Integrität entziehen. Diese wiederum gilt es energisch zu behaupten. Es ist daher nicht die Eitelkeit eines alten Mannes, der nur wenig jünger als sein Herausforderer ist, wenn Gerhard Schrö­der auf einer fairen Berichterstattung über seine Haare beharrt. Es geht um Werte wie Ehrlichkeit und Authentizität.


 
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