© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/02 01. Februar 2002


Anstand und Moral
von Steffen Königer

Wenn den Vereinigten Staaten Gesetze nicht in das Konzept passen oder Verträge geplante Projekte behindern, scheint die Supermacht versucht, bestehende Gesetze zu umgehen oder Verträge kurzerhand für ungültig zu erklären. Schon nach der Kündigung des ABM-Vertrages war kaum ein Murren zu vernehmen. Nun schlagen nicht nur die Zustände auf dem US-Stützpunkt Guantanamo Bay in Kuba dem Faß den Boden aus.

Nachdem sich die USA über die Genver Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen hinwegsetzt hatten, brach der Nahost-Vermittler Anthony Zinni seine Mission im Nahen Osten ab. Nicht ohne vorher noch Arafat als „unreformierten Lügner“ und „Mafia-Boss“ zu desavouiren. Haben die USA ihr Interesse an einer friedlichen Lösung verloren? Die neuesten Pläne der US-Regierung, Teile der Fatah auf die Liste der Terrororganisationen zu setzen, sprechen dafür. Man kann der schwedischen Außenministerin Anna Lindh, die den Schritt als „falsch, dumm und gefährlich“ bezeichnete, nur zustimmen.

Reaktionen aus der israelischen Regierung geben Einblick in die Hintergründe dieser folgenschweren Entscheidung: „Zufrieden“ sei Sharon (von Zinni liebevoll als „Papa Bär“ bezeichnet) über den Abbruch der Mission, ließ sein Büro verlautbaren. Amerika erweist sich ein weiteres Mal als unfähig, in diesem Konflikt zu vermitteln - dazu bräuchte gerade eine Supermacht die Fähigkeit, sich mit Anstand und Moral an ihre einstigen Zusagen und Verträge zu halten.


 
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