© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Manche Opfer sind keine Opfer
Norwegen: Deutsch-norwegische Kinder wurden nach 1945 sadistisch gequält / Erste Klage in Oslo gescheitert
Hans-Joachim von Leesen

Am 30. Oktober des vergange nen Jahres wollte der deutsch- französische Kulturkanal Arte den Fernsehfilm „Hitlers Wunschkinder“ ausstrahlen, in dem gezeigt werden sollte, wie im deutsch besetzten Norwegen 12.000 Kinder gezeugt wurden. Norwegische Mütter sollen laut Pressetext „von blonden, blauäugigen deutschen Soldaten vergewaltigt“ worden sein - „auf Befehl Himmlers“. Die Kinder seien nach der Geburt zur Adoption freigegeben worden, und zwar für „Adoptiveltern, die Nationalsozialisten waren“, so Arte.

Am Abend des 30. Oktober wartete man vergebens auf die Enthüllung. Anfragen ergaben die pauschale Antwort, aus urheberrechtlichen Gründen habe man den Film kurzfristig absetzen müssen.

Offensichtlich wollte man sich in dem Film vor dem Hintergrund der Klage von Norwegern, die während des Zweiten Weltkriegs in Heimen des „Lebensborn“ geboren worden waren, auf diese NS-Einrichtung berufen. Die Väter der Kinder waren deutsche Soldaten, ihre Mütter Norwegerinnen. Als „Deutschen-Kinder“ wurden sie nach der Niederlage vielfältigen, teils sadistischen Verfolgungen ausgesetzt, die dazu führten, daß manche heute physisch oder psychisch stark geschädigt sind.

In der ersten von ihnen angestrengten Klage werfen die Opfer dem norwegischen Staat vor, ihre Verfolgung zugelassen zu haben. Die Kläger berufen sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Darin wird die Folter ebenso verboten wie Diskriminierung und Eingriffe in die Privatsphäre - alles Vergehen, denen die „Deutschen-Kinder“ nach 1945 ausgesetzt waren.

Nach der Klage der ersten sieben besonders schwer betroffenen Opfer werden weitere Sammelklagen eingereicht. Sie, die sich mit weiteren 700 Betroffenen in dem Verein „Krigsbarnforbundet Lebensborn“ (Kriegskinderverband Lebensborn) zusammengeschlossen haben, vertreten 8.000 bis 10.000 norwegische Kinder deutscher Soldaten, von denen nur wenige den Verfolgungen entkommen konnten, wie etwa Annafried Lyngstad, eine der Sängerinnen der Gruppe ABBA, deren Mutter und Großmutter mit ihr nach Schweden geflohen waren.

Das menschliche Verhältnis zwischen Norwegern und den deutschen Soldaten war generell nicht gespannt. Zwar wurde nach Beendigung der Kampfhandlungen auf norwegischem Boden von Großbritannien aus eine norwegische Partisanenbewegung ins Leben gerufen und mit Waffen versorgt, doch war die Zahl jener Norweger, die sich auf deutscher Seite freiwillig zum Kriegsdienst gegen die Sowjetunion meldeten größer als die Zahl der norwegischen Widerstandskämpfer.

Ein weiterer Beleg für das gute Verhältnis zwischen Bevölkerung und deutschen Soldaten mag die große Zahl der Kinder sein, die aus der freiwilligen Verbindung zwischen Norwegerinnen und Wehrmachtsoldaten stammten. Das kam Heinrich Himmler, Reichsführer SS, nicht ungelegen. Er vertrat die Ansicht, Menschen mit dem Blut der Nordgermanen in den Adern seien besonders tüchtige Träger europäischer Kultur. So beraumte er im Herbst 1940 eine Besprechung an. Es wurde die Frage diskutiert, wie man mit den Kindern aus deutsch-norwegischen Verbindungen umgehen solle. Zu jener Zeit waren 15 Fälle von Norwegerinnen bekannt, die uneheliche Kinder von deutschen Soldaten erwarteten. Der Wehrmachtoberbefehlshaber in Norwegen, Generaloberst von Falkenhorst, hatte jede Heirat zwischen deutschen Soldaten und Norwegerinnen aus Gründen der Spionageabwehr untersagt.

Physische Merkmale waren nicht entscheidend

Das war Himmler nicht recht, der „den zu erwartenden Nachwuchs wertvollen Blutes dem Deutschtum sichern“ wollte, wie der Aktenvermerk über jene Besprechung aussagt. Außerdem störte es ihn, daß die Befehle der Wehrmacht „nicht nur jede Heirat mit Norwegerinnen unmöglich machen, sondern auch die norwegischen Mütter, selbst besten Blutes, diffamieren und das Verantwortungsbewußtsein des deutschen Soldaten gegenüber der Frage des Kindes störend beeinflussen“. So wurde beschlossen, daß von höchster Stelle auf die Aufhebung des Heiratsverbotes hingewirkt werden solle, daß man für die Betreuung sowohl der norwegischen Mütter als auch der deutsch-norwegischen Säuglinge in mehreren norwegischen Städten Mütterberatungsstellen schaffen und darüber hinaus ein „Lebensborn-Heim“ errichten werde.

Aus dem einen „Lebensborn-Heim“ wurden im Laufe des Krieges allein in Norwegen acht, so in Drontheim, Stalheim, Bergen, Geilo, Hordalsverk, Klekken, Oslo und Godthaab. In dem Aktenvermerk über die Besprechung ist außerdem festgehalten worden, daß dort „ohne Rücksicht auf besondere rassische Bewertung“ alle norwegischen Mütter aufgenommen werden können, die Kinder von deutschen Soldaten (also nicht nur die der Waffen-SS) erwarten. Zur Deckung der Kosten behielt man sich den Rückgriff auf die Väter vor. Nur wenn die Mütter es wünschten, übernahm der „Lebensborn“ die Vormundschaft oder vermittelte eventuell auch Adoptiveltern, sofern die natürlichen Eltern nicht heirateten oder die Mutter mit dem Kind gegebenenfalls zu den Schwiegereltern nach Deutschland zog.

Der „Lebensborn“ wurde angesichts der Tatsache, daß Deutschland am Ende der Weimarer Republik die niedrigste Geburtenrate Europas aufwies, auf In-itiative Himmlers 1935 ins Leben gerufen. Laut Satzung hatte der Verein die Aufgabe, „jede Mutter guten Blutes zu schützen, zu betreuen und für sie zu sorgen“. Unter „guten Blutes“ verstand man Eltern, die keine Erbkrankheiten hatten und die möglichst den damaligen Idealvorstellungen des „nordischen Menschen“ weitgehend entsprachen. Daß man dabei nicht streng vorging, kann man aus der Tatsache schließen, daß nach einer damaligen Erhebung nur zwei Drittel der Mütter „den rassischen Ausleseprinzipien der SS“ entsprachen. Wenn gewünscht, konnten Entbindungen in „Lebensborn-Heimen“, die über eigene Standesämter verfügten, auch geheim gehalten werden. 1944 gab es ausweislich einer Studie (1992) des Professors für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr, München, Franz W. Seidler, „insgesamt zwanzig „Lebensborn-Heime“, davon sieben in Norwegen. Hinzu kam je ein Heim in Frankreich und eines in Belgien. Nach einer Statistik von 1941/42 waren fast 60 Prozent der „Lebensborn-Mütter“ unverheiratet. Nur 6,3 Prozent der Neugeborenen wurden zur Adoption freigegeben. In den „Lebensborn-Heimen“ des Reichsgebietes wurden zwischen 1936 und 1945 rund 12.000 Kinder geboren.

Nach Kriegsende wurde von dem US-Militärgericht in Nürnberg die Organisation „Lebensborn e.V.“ mit ihren führenden Mitarbeitern angeklagt, unter anderem wegen der angeblichen „Entführung von Kindern fremder Völker und wegen der Wegnahme von Kindern zum Zwecke der Ausrottung oder Eindeutschung von Ostarbeiterinnen“. Die Organisation und ihre Mitarbeiter wurden freigesprochen.

Fürsorge und rechtlicher Schutz waren gesichert

In der Urteilsbegründung des amerikanischen Militärgerichts heißt es unter anderem: „Aus dem Beweismaterial geht klar hervor, daß der Verein Lebensborn eine Wohlfahrtseinrichtung und in erster Linie ein Entbindungsheim war. Von Anfang an galt seine Fürsorge den Müttern, den verheirateten sowohl wie den unverheirateten, den ehelichen wie auch den unehelichen Kindern. Aus dem Beweismaterial geht weiter klar hervor, daß der Lebensborn unter den zahlreichen Organisationen Deutschlands, die sich mit ausländischen nach Deutschland verbrachten Kindern befaßten, die einzige Stelle war, die alles tat, was in ihrer Macht stand, um den Kindern eine angemessene Fürsorge zuteil werden zu lassen und die rechtlichen Interessen der unter seiner Obhut gestellten Kinder zu wahren.” Die Behauptungen, die „Lebensborn-Heime“ seien „Zuchtanstalten für arische Edelmenschen“ gewesen, gehören zur bis heute verfolgten Geschichtspolitik. Mit historischen Tatsachen haben sie nichts zu tun.

1945 wurden die „Lebensborn-Heime“ in Norwegen aufgelöst und die Kinder in staatliche Heime gesteckt. Wenn Kinder deutscher Soldaten von dessen Angehörigen in Deutschland adoptiert worden waren, veranlaßte die norwegische Regierung das Internationale Rote Kreuz, diese Kinder den Familien wegzunehmen, um sie in norwegische Heime zu bringen. Dort wurde eine große Anzahl von ihnen auf das schändlichste mißhandelt, wie jetzt im Prozeß in Oslo ans Tageslicht kam. Es liegen erschütterte Zeugnisse vor, wie man damals die Mütter wie auch deren Kinder malträtierte. Kinder wurden in Heilanstalten gesperrt und für geistig behindert erklärt, da sie „von minderwertigen Frauen zur Welt gebracht worden seien, die sich mit Besatzern eingelassen hatten“; ihnen wurde „das Deutsche herausgeprügelt“ und sie wurden Opfer von Vergewaltigungen. Vor Gericht wurde ein Fall geschildert, in dem einem kleinen Mädchen mit einem Nagel ein Hakenkreuz in die Stirn geritzt wurde. Kinder wurden Opfer pädophiler Heimerzieher, und das alles, ohne daß die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Bekannt wurde jetzt auch, daß manche der Kinder von den Heimen zur Verfügung gestellt wurden, um an ihnen im Auftrage des US-Geheimdienstes Experimente mit der Droge LSD vorzunehmen. Dabei seien mehrere gestorben. Die Mütter wurden nach dem Kriege unter Schlägen und Schmähungen durch die Straßen getrieben, in Lager gesteckt, kahl geschoren und jahrzehntelang als „Deutschenhuren“ beschimpft.

Nun verlangen zunächst 122 von insgesamt ca. 700 Mitgliedern von „Krigsbarnforbundet Lebensborn“ vom norwegischen Staat nicht nur eine Ehrenerklärung, sondern auch eine Entschädigung. Als Muster ziehen sie die Entschädigungen heran, die Norwegen vor kurzem jüdischen Opfern zugesprochen hat. In der ersten Instanz wurde die erste klagende Gruppe abgewiesen mit der Begründung, die EU-Menschenrechtskonvention sei erst 1953 in Kraft getreten, galt also noch nicht, als die meisten Quälereien an Kindern vorgenommen wurden. Außerdem seien die Taten verjährt; auch bestünde „kein übergeordnetes rechtliches Interesse“ an der Verfolgung der Täter. Die Deutschen-Kinder wollen sich damit nicht zufrieden geben. Weitere Klagen werden folgen. Die Abgewiesenen gehen vor die nächste Instanz, das Oberlandesgericht. Es wird erwogen, auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.

Am 7. Januar 2002 hat ARTE überraschend und ohne Ankündigung den Fernsehfilm „Himmlers Wunschkinder“ gesendet, der in der französischen Fassung „Die Bastarde des Reichs“ lautete. Geschildert wurde das schreckliche Schicksal der Kinder aus deutsch-norwegischen Verhältnissen in der feindlichen Umwelt der Sieger. Daneben aber konnten die Macher des Filmes nicht umhin, wider besseren Wissens zu behaupten, daß zwar viele Kinder das Ergebnis deutsch-norwegischer Liebschaften waren, aber auch viele das Produkt von Vergewaltigungen norwegischer Frauen durch deutsche Soldaten gewesen seien. Außerdem erfuhr der Zuschauer, „Lebensborn“ sei das „abscheulichste Menschenzuchtexperiment des Nazi-Reiches“ gewesen, das geschaffen worden war, um die darin geborenen Kinder „zu Gebärmaschinen und Soldaten“ zu erziehen. Die historischen Tatsachen sagen etwas ganz anderes, aber das interessiert die Psychokrieger offenbar nicht.


 
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