© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Rührender Moralismus
Kino: „Ein letzter Kuß“ von Gabriele Muccino
Ellen Kositza

Carlo (Stefano Accorsi), gutaussehender und erfolgreicher Werbemensch, ist 31 Jahre, als seine Freundin Giulia (Giovanna Mezzogiorno) ein Kind erwartet. Bald überdecken Zweifel Carlos Freude über den Nachwuchs, im Zusammensein mit seinen Freunden, die entweder ein wildes, ungebundenes Leben führen oder unglücklich liiert sind, gerät er in eine Art Torschlußpanik. Fluchttendenzen zeichnen sich deutlicher ab, als er die junge Schülerin Francesca kennenlernt, die sich heiß in ihn verliebt. Ein letzter Kuß vor der Bindung auf ewig sollte ihm doch gewährt sein, denkt Carlo und stürzt sich in ein amouröses Abenteuer.

Gleichzeitig erleben nicht nur Carlos Freunde Liebes- und Lebenskrisen, auch die Ehe von Giulias Eltern steht vor dem Scheitern. Nach Jahrzehnten des Zusammenseins ist der Umgang von verletzender Lieblosigkeit geprägt, dabei sehnt sich Giulias Mutter Anna wie die jungen Leute danach, Beachtung und Begehren zu finden. Der italienische Filmstar Stefania Sandrelli spielt als werdende Großmutter den Typ Frau, der man niemals sein möchte, in ihrer Schwäche und Unbeholfenheit peinlich und vollkommen unmütterlich, dies alles jedoch mit solcher Bravour dargeboten, daß sie hochverdient für den Europäischen Filmpreis in dieser Rolle nominiert wurde - trotz des insgesamt mittelmäßigen Films, der eine klare Botschaft liebevoll präsentiert, doch völlig ohne Tiefgang auskommt.

Moralische Leitfigur der Geschichte ist Carlos Kumpel Marco, der in einer vorbildlichen Ehe lebt und sein Glück in der Verantwortung gefunden hat: „Die wahre Revolution liegt in der glücklichen Normalität“, erklärt seine Frau den Freunden auf der wirren Suche nach Erfüllung in der Freiheit.

Das aktuelle Dauerthema von der verspäteten Adoleszenz und der modernen Bindungsunfähigkeit wird hier deutlich auf italienisch wiedergegeben, unter immerblauem Himmel, mit schönen temperamentvollen Frauen mit Hang zur Hausdrachenrolle (wunderbar Giulias leidenschaftliche Eifersuchtsszene) und auf der Gegenseite südländische Machos voller Pascha-Allüren, dazu fast durchgehend italienische Filmmusik. Freilich fügt sich der Film, in seinem Heimatland der Kassenschlager des Jahres und mit fünf David-di-Donatellos, dem italienischen „Oscar“ ausgezeichnet, brav in ausgefahrene Klischees. Frauen wollen immer reden und ein schmuckes Einfamilienhaus, reagieren auf Ausnahmesituationen mit Hysterie, Männer führen Männergespräche und suchen Abenteuer, keine Bindung. Die richtige und die falsche Handlung sind als klare Normen gesetzt, Fehlhandlungen verständlich erklärt und Zwischentöne simpel kalkuliert.

Da ändert es wenig, wenn die Wunschvision Carlos am Filmende, der Traum von der schick gekleideten Zweikindfamilie im Eigenheim mit Gärtchen und Garage ganz leicht ironisch gefärbt wird. Aber vielleicht ist das Leben ein großer Gemeinplatz, und vielleicht wäre die Welt schön in Ordnung, wenn alle Filme von solch rührendem Moralismus wären.


 
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