© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002

 
Härtere Gangart
Edmund Stoiber sollte eine neue „geistig-moralische Wende“ ankündigen
Carl Gustaf Ströhm

Was für ein „Frauenbild“ er denn habe, wollte Sabine Christiansen letzten Sonntag von Edmund Stoiber wissen, als er in ihrer ARD-Sendung „vorgeführt“ wurde. Und der Kanzlerkandidat tappte prompt in die Falle: Er habe ja auch Töchter und sogar Enkelkinder, beteuerte er. Zuvor wurde ein Film über Stoiber als Privatmann eingeblendet, in dem der dicke „Bulle von Tölz“ dümmliche Kabarettsprüche über seinen Ministerpräsidenten von sich gab.

Den Gipfel der Unverfrorenheit bildeten aber die Film-Einspielungen: Sie wurden durch ein Fallbeil markiert, das pfeifend niedersauste. Eine Anspielung darauf, daß Stoiber in seiner politischen Jugendzeit von Gegnern als „blondes Fallbeil“ abgestempelt wurde. Wo blieb der Aufschrei der Unionsparteien angesichts solch manipulativer Geschmacklosigkeiten?

Der Vorfall zeigt, unter welchem Druck der CSU-Mann steht - und je größer seine Erfolgsaussichten werden, desto unbarmherziger wird dieser Druck. Seinen Gegnern geht es darum, ihn soweit zu zähmen, daß er am Ende zu einem männlichen Merkel mutiert und freiwillig auf jene Eigenschaften verzichtet, die ihm zur Kandidatur verholfen haben. So redet man ihm ständig zu, er solle in der Mitte bleiben und, etwa in der Zuwanderungsfrage, Kompromisse mit Rot-Grün suchen. Um Gottes willen, keine Rechtsabweichung!

Stoiber taktiert daher, er will dem Gegner nicht in die offenen Messer laufen. Aber die Gefahr besteht, daß er so sein unverwechselbares Profil verliert. Wenn Stoiber sich halb verlegen und, wie man in Bayern sagt, „g‘schamig“ von einem anti-linken Aufkleber der Jungen Union von vor dreißig Jahren distanziert, wenn er dann noch treuherzig behauptet, es gehe heute - im Gegensatz zu Strauß Zeiten - nicht mehr um Links oder Rechts, dann wird dies seine rot-rot-grünen Gegner nicht gnädiger stimmen. Im Gegenteil: Es bedarf keines Propheten, um festzustellen, daß man den Bayern trotzdem als „rechts“ oder gar als Kryptofaschist abstempeln wird - vor allem dann, wenn die Umfragen sich noch mehr zu seinen Gunsten neigen sollten. Nachdenklich stimmt, daß Stoiber auf gewissen Feldern zurückrudert.

So hält er nach wie vor an der heute überholten und gefährlichen Formel fest, wonach es „rechts von der Union keine legitimierte demokratische Partei“ geben dürfe. Er und andere Unionspolitiker erkennen offenbar nicht, daß sie sich so künftige Koalitionen verbauen. Was geschieht, wenn die Union am 22. September stärkste politische Kraft wird - dies aber nicht ausreicht, um gemeinsam mit der (notorisch unzuverlässigen) FDP eine Mehrheit zu erringen? Dann würde Schröder gemeinsam mit Grünen und PDS die Regierung bilden. Die SPD hat keine Skrupel: Sie wird, um an der Macht zu bleiben, bis weit nach links ihre Koalitionspartner suchen (und finden). Befremdlich ist, daß Stoiber erklärte, er werde auch die umstrittene „Homo-Ehe“ nicht rückgängig machen. Hatten Unionspolitiker diese rot-grüne „Errungenschaft“ nicht mit dem Argument bekämpft, damit werde die Familie untergraben und jegliche Familienpolitik ad absurdum geführt? Jetzt sagt Stoiber, es sei ein Faktum - und Fakten könne man nicht rückgängig machen. Ist aber nicht jede Politik ein Setzen, Verändern oder auch Rückgängigmachen von solchen Fakten? Ähnlich verhält es sich mit der „Öko-Steuer“ - nur die vierte Stufe soll entfallen. In der Zuwanderungsfrage steht Stoiber unter starkem Druck der Wirtschaft, die billige Arbeitskräfte fordert. Wenn Stoiber hier auch nur den Eindruck entstehen lassen sollte, er fungiere als Hilfsbremser für Bundesinnenminister Schily, könnten seine Wahlchanchen sinken. Der Unionskandidat müßte hingegen deutlicher als bisher artikulieren, was den Deutschen auf den Nägeln brennt: daß nämlich die Aufnahme von bisher zwölf Millionen Zuwanderern aus dem meist fernen Ausland (legalen ebenso wie illegalen) das Land und die demographische Zusammensetzung an den Rand der Katastrophe gebracht haben.

Es ist gewiß sinnvoll und nützlich, als Opposition in einem Wahlkampf das wirtschafts- und finanzpolitische Versagen der Regierung und die eingebauten Fehler rot-grüner Politik auf diesem Gebiet zu betonen. Aber mit Steuerquoten, Schuldlasten, Krankenkassengebühren und Arbeitslosenzahlen allein läßt sich in des Worten unmittelbarer Bedeutung kein Staat machen. Ein kluger ausländischer Beobachter bemerkte neulich, er sei erstaunt, daß bei CDU und CSU Worte wie „Christentum“, „Vaterland“, „Heimat“ oder „Volk“ kaum noch vorkommen. Man rede dort nur von Finanzen, Zuschüssen, Parteispenden und Lohnnebenkosten. Wo aber bleibt zum Beispiel das „christliche Abendland“?

Damit nähern wir uns dem Kern des Problems. Um wirklich die Herzen und den Verstand der Wähler zu erreichen, müßte ein Kanzlerkandidat der Union jenes Versprechen erfüllen, daß seinerzeit Helmut Kohl nicht verwirklicht hat: Stoiber müßte von einer „geistig-moralischen Wende“ sprechen, die es zu erreichen gilt, wenn die Deutschen als Volk physisch und psychisch überleben wollen. Er müßte die brisanten Themen aufgreifen - und etwas für die Bewahrung (oder Wiederfindung) der deutschen Identität tun. Damit könnte er das schweigende, bürgerliche, weitgehend konservative Deutschland erreichen, das bis jetzt abseits steht. „Landgraf, werde hart!“, möchte man dem Kanzlerkandidaten zurufen.


 
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