© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/02 25. Januar 2002


Die historische Mitte Berlins
Baut das Schloß auf!
Dieter Stein

Das politische Berlin ist ein Trauerspiel. Bleierne Stimmung liegt nach dem Antritt der Wowereit-Gysi-Regierung über der Stadt. Einig in West- und Ost-Berliner Provinzialität gilt es, die Stadt weiter herunterzuwirtschaften. Bäderschließungen, Stellenstreichungen, Abbau von Forschungseinrichtungen und Kliniken. Die Hauptstadt ist bankrott.

Da besuche ich am vergangenen Sonntag die Museumsinsel. Um 11 Uhr bin ich mit Freunden verabredet, um die am 4. Dezember 2001 wiedereröffnete Nationalgalerie zu besuchen. Es war viel über den „gebauten Schrein der deutschen Kulturnation“ (Peter-Klaus Schuster, heutiger Direktor der Nationalgalerie) geschrieben worden. Noch kommen wir zügig hinein - später windet sich eine lange Schlange vor dem klassizistischen Bau.

Wie oft werden bei Restaurationen Gebäude nur bruchstückhaft instandgesetzt. Auch ist es eine Unsitte unserer Zeit, krampfhaft das bewährte Schöne mit dem modernen Häßlichen neutralisieren zu müssen. Was groß ist, bleibt groß, dies hat man hier begriffen!

Nach dem Betreten des von Friedrich August Stüler entworfenen Baus vergessen Sie die Zeit! Nach vier Stunden sah ich das erste Mal auf die Uhr und dachte, es seien erst zwei verstrichen. Mit überwältigender Liebenswürdigkeit hat man die Gestalt und den Bestand des Hauses wiederhergestellt, das durch die Inschrift am Giebel wieder „Der Deutschen Kunst“ gewidmet ist.

In einem Skulpturenfries des riesigen Treppenhauses defilieren die Größen der deutschen Geschichte am Betrachter vorbei: Von Arminius über Karl den Großen, Luther, Kopernikus, Dürer, Bach, Friedrich den Großen, Goethe, Schiller, Lessing, Haydn, Beethoven bis zu den Künstlern, Denkern und Herrschern Ende des 19. Jahhunderts, als das Museum vollendet wurde.

Die Nationalgalerie gebiert „die Nation aus dem Geist der Kunst“ (Schuster), es ist bezeichnend, daß sie kurz nach der deutschen Einigung von 1871 errichtet und nach der Wiedervereinigung von 1990 wieder instandgesetzt wurde.

Die Hingabe, mit der dieses Herz der Berliner Museumsinsel wieder zum Leben erweckt wurde, läßt bei aller deutschen Trübsal hoffen. Blickt man im ersten Stock über die Freitreppe auf den Rücken des Reiterstandbildes Kaiser Friedrich Wilhelms II., so schweift der Blick über die Linden zur Ödnis des Schloßplatzes mit den verhüllten Trümmern des Arbeiter- und Bauernstaates.

Wer die Nationalgalerie verläßt, verläßt sie beschwingt - und weiß nur eine Antwort: Das Schloß muß wieder aufgebaut werden! Beine müssen wir Politikern machen, die die kalte Leere in der Mitte der Stadt konservieren und allenfalls mit verkorkster Moderne füllen wollen. Die patriotische Initiative von tausenden Bürgern, die beabsichtigen, den Wiederaufbau des architektonischen Schlüsselwerkes Berlins weitgehend über Spenden und privat zu finanzieren, muß fruchten. Es wäre auch das ideale Signal einer an Schulden erstickenden Stadt, die ihren Optimismus neu gewinnen muß. 


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