© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Als Mackensen in Budapest noch kultig war
Preußen: Die vielfältigen Beziehungen zum Königreich der Madjaren sind in Vergessenheit geraten
Stephan Graf Bethlen

Im Mittelalter, als Ungarn eine europäische Großmacht war, spielte Preußen keine wesentliche Rolle auf dem Kontinent, so daß kaum Beziehungen zwischen Ungarn und Preußen bestanden. Zu dieser Zeit war Ungarn dreigeteilt in den sogenannten „königlichen“, von den Habsburgern dominierten Teil, von den Türken eroberte Gebiete und das selbständige Fürstentum Siebenbürgen. Letzteres wurde von protestantischen Fürsten regiert, die sich immer für ihre Glaubensgenossen im „Königlichen“ Ungarn eingesetzt haben. Obwohl das Land mehrheitlich protestantisch war, wurde es von den Habsburgern unterdrückt. Die Siebenbürger Fürsten suchten und fanden Verbündete in Preußen. Diese Beziehungen umfaßten nicht nur diplomatisch-militärisches Terrain, sondern auch jenes der Bildung und Kultur. So gab es zahlreiche Theologen und Studenten, die das jeweils andere Land besuchten, dann folgten die Handelsleute und zahlreiche Handwerker.

Die Fürsten von Siebenbürgen beteiligten sich aktiv und erfolgreich am Dreißigjährigen Krieg. Der erfolgreichste unter ihnen, Gabriel Bethlen, der heute noch als jener Fürst verehrt wird, der Siebenbürgen das „Goldene Zeitalter“ schenkte, heiratete Katharina von Brandenburg und schmiedete ein starkes Bündnis gegen die Katholische Liga. Er schlug sogar Wallenstein, seine deutschen Verbündeten erlitten jedoch Niederlagen, so daß die Feldzüge insgesamt nicht zu dem erwarteten Durchbruch führten.

Die ungarischen Husaren eroberten sogar Berlin

Der Westfälische Friede und die damit gefestigte Position der Habsburger in Mitteleuropa hat die Beziehungen zwischen Ungarn und Preußen im diplomatisch-militärischen Bereich grundlegend verändert. Nicht nur der „königliche“ Teil Ungarns wurde zunehmend der zentralisierenden Wiener Hofbürokratie unterworfen, sondern auch Siebenbürgens Eigenständigkeit geriet in große Gefahr, bis es dann schließlich ab 1690 direkt von Wien aus verwaltet wurde.

In der Zeit des ungarischen Niedergangs begann Preußens Aufstieg als selbständiger Staat. Diese großen politischen Veränderungen beeinträchtigten jedoch kaum die menschlichen Beziehungen zwischen Ungarn und Preußen. Bestimmend blieben hier die religiösen Verbindungen, da Ungarn nach der Gegenreformation zwar wieder mehrheitlich katholisch war, die Protestanten aber weiterhin eine wohlorganisierte gesellschaftliche Gruppe bildeten. Bei den Protestanten dominierte das calvinistische Bekenntnis (in Ungarn Reformierte genannt). Umso überraschender kam die eindeutige Stellungnahme Ungarns für die Habsburger in den Erbfolgekriegen nach dem Tod Karl VI. Da die Habsburger die ungarische Verfassung - die älteste auf dem Kontinent aus dem Jahr 1222 - immer wieder mißachteten, kam es zu mehreren Aufständen, zuletzt unter dem katholischen Fürsten Ferenc Rákóczi zwischen 1703 und 1711. Die positive Haltung Ungarns bezüglich Maria Theresiens Thronbesteigung war für das Schicksal des Hauses Habsburg entscheidend. Auch die oft besonders unterdrückten Protestanten stellten sich auf die Seite der katholischen Kaiserin gegen den protestantischen preußischen König Friedrich II. Dies geschah, obwohl es in diesem historischen Augenblick möglich gewesen wäre, das selbständige Königreich Ungarn zu restaurieren.

Die Hauptlast der Kriege gegen Preußen wurde von Ungarn getragen. Es waren die ungarischen „Hadik-“ und „Bethlen-Husaren“, die sogar Berlin erobern konnten. Beide Feldherren waren mit Preußen verwandschaftlich verbunden. Am Ende der österreichisch-preußischen Kriege ging zwar Schlesien verloren, aber Maria Theresia blieb Kaiserin und selbst Friedrich II. mußte Österreichs Führungsrolle im Deutschen Reich akzeptieren.

Entgegen der beliebten Floskel wiederholt sich die Geschichte nie. Als jedoch Napoleon Österreich besiegt hatte und die Wiederherstellung des ungarischen Königreiches proklamierte, verzichtete die Nation auf ihre staatliche Unabhängigkeit und rettete damit erneut dem Hause Habsburg den Thron.

Im Jahre 1848 wurde endlich die ungarische Verfassung wieder in Kraft gesetzt und eine legale Regierung etabliert. Die österreichische und ungarische Reichshälfte wurden voneinander getrennt, die Außen-und Verteidigungspolitik sowie die dafür notwendigen Finanzen blieben „gemeinsame Angelegenheiten“. Einflußreiche Wiener Hofkreise versuchten jedoch die legale ungarische Regierung mit einer offenen Invasion kaiserlicher Truppen zu stürzen. Die in kürzester Zeit aufgestellte ungarische Landwehr (Honvéd), konnte die kaiserliche Armee in mehreren Schlachten schlagen und aus dem Land jagen. Zu diesem Zeitpunkt versuchte die ungarische Regierung eine diplomatische Offensive, um Verbündete zu gewinnen, wobei vor allem auf preußische Unterstützung gehofft wurde. Daraufhin wurde ein Putsch organisiert und der legale Herrscher vom Thron gestürzt. Der blutjunge Franz Josef I. wurde zwar zum Kaiser proklamiert, aber praktisch unter Kuratell gestellt. Wien ersuchte sogar Rußland um Intervention. Die ungarischen Truppen mußten schließlich vor der zaristischen Armee kapitulieren.

Im Zuge eines Justizmordes wurden der legale, vom Kaiser und König ernannte Ministerpräsident sowie 13 Generäle, die ihren Eid auf den verfassungsmäßigen Monarchen geleistet und nie gebrochen hatten, hingerichtet. Diese Hinrichtungen und der Terror der kaiserlichen Soldateska lösten weltweite Proteste aus. Die Empörung war besonders in Preußen groß, wo die soldatischen Tugenden und die Tapferkeit - auch des Gegners - immer in hohen Ehren gehalten wurden.

Die nach 1849 zunehmenden Spannungen zwischen Preußen und Österreich belebten erneut die ungarischen Hoffnungen, in Berlin einen mächtigen Verbündeten finden zu können. Diese Vorstöße scheiterten jedoch regelmäßig, obwohl auch ermunternde Töne aus Berlin vernommen werden konnten. Zuletzt machte Graf Bismarck den Ungarn Versprechungen, die letztlich nicht eingehalten wurden. Und doch hatte Preußen durch seinen Sieg bei Königgrätz 1866 den sogenannten österreichisch-ungarischen „Ausgleich“ 1867 ermöglicht.

Andrássy und Bismarck waren eng befreundet

Österreichs Niederlage zwang die Wiener Hofkreise, ihre intransigente Haltung endlich aufzugeben und die verfassungsmäßige Ordnung in Ungarn wiederherzustellen: man kehrte zu dem status quo von 1848 zurück.

Obwohl Ungarns Souveränität vor allem in außenpolitischer Hinsicht eingeschränkt war, strebte Budapest engste freundschaftliche Beziehungen mit Berlin an. Dies blieb auch nach der Proklamation des Zweiten Deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871 so. Die gegenseitigen Sympathien fanden ihren weithin sichtbaren Ausdruck in der Freundschaft zwischen dem ungarischen Staatsmann und „gemeinsamen“ Außenminister Julius Graf Andrássy und dem preußischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzler Fürst Otto v. Bismarck. Dieser Tradition folgte auch Stephan Graf Tisza. Er war der einzige Staatsmann in Europa, der bis zum letzten Augenblick alles unternahm, um den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu vermeiden. Als er im Kronrat überstimmt wurde, versuchte er mit allen Kräften, den von ihm prophetisch erahnten Ausgang des Krieges zu vermeiden. Tisza baute auf das besondere Verhältnis zu Berlin und pflegte enge Kontakte zu der deutschen (vornehmlich preußischen) Heeresleitung. Seinen Bemühungen war es zu verdanken, daß im Jahre 1916, als Rumänien den Mittelmächten in den Rücken fiel, deutsche Truppen unter der Leitung des damaligen Generalobersten August v. Mackensen Siebenbürgen befreiten, nachdem die österreichisch-ungarischen Truppen an den russischen und italienischen Fronten gebunden waren. Der preußische Feldmarschall wurde danach der populärste Mann in Ungarn und blieb auch zwischen den Weltkriegen eine Kultfigur.

Aber Tisza konnte die Katastrophe nicht aufhalten. Die vielen Intrigen in Wien führten schließlich 1917 zu seinem Sturz, der nicht nur die ungarische Reichshälfte, sondern die gesamte Monarchie entscheided schwächte. Deutschland und Preußen verloren in ihm einen stets zuverlässigen, treuen Partner. Die sich in schnellem Wechsel ablösenden Regierungen in Wien und in Budapest ließen jene Festigkeit vermissen, die besonders in Krisenzeiten von entscheidender Bedeutung ist.

Die Niederlage der Mittelmächte traf Ungarn und Preußen besonders hart. Im Friedensdiktat von Trianon wurden von Ungarn zwei Drittel seines Gebietes und ein Drittel der rein ungarischen Bevölkerung abgetrennt. Das entrechtete, kaum lebensfähige Land hegte besondere Sympathien zu Preußen, da Preußen ebenfalls „bestraft“ und zum alleinigen „Kriegsschuldigen“ abgestempelt wurde.

Graf Tisza versuchte den Krieg zu verhindern

In dieser Zeit wurde die Erinnerung an die ungarisch-preußische Waffenbrüderschaft besonders hochgehalten. In der Person des Generalfeldmarschalls v. Mackensen manifestierte sich in vorzüglicher Weise diese Achtung, da er als Totenkopf-Husar auch noch jener Waffengattung angehörte, die von Ungarn aus in ganz Europa Verbreitung fand.

Der ungarische Ministerpräsident Stephan Graf Bethlen war, ebenso wie der vom linken Mob 1919 ermordete Graf Tisza, Oberst der Reserve, und hielt besonders viel von den gemeinhin als „preußische Tugenden“ gepriesenen Werten. Er erblickte in Deutschland den wichtigsten Verbündeten. Seinen Plänen, mit den beiden Ländern unter Einbeziehung von Österreich einen Staatenbund zu bilden, bereiteten die Erfolge der Nationalen und Internationalen Sozialisten in Deutschland ein jähes Ende. Zudem stolperte Bethlen nach elfjähriger Ministerpräsidentschaft über die Weltwirtschaftskrise und trat 1931 zurück.

Was kurz darauf in Deutschland geschah, führte nicht nur zur totalen Katastrophe, sondern auch zur Tilgung Preußens von der Landkarte und zur Auslieferung Ungarns an die „glorreiche Rote Armee“, die die gleichen, unvorstellbaren Grausamkeiten beging, wie in Ost-Preußen. Danach folgten 45 Jahre sowjetische Okkupation und kommunistische Dikatatur.

Das Wort „Preußen“ löst in Ungarn auch heute noch positive Assoziationen aus: Man denkt nicht an KZ-Schergen und an schnarrende, Monokel tragende „Krautjunker“, wie man sie in Hollywood-Filmen sieht, sondern an Treue, Tapferkeit, Zuverlässigkeit, Pflichtbewußtsein, Pünktlichkeit - kurzum an die klassischen preußischen Tugenden.

Fototext: August v. Mackensen (1849-1945): Er wurde der populärste Mann in Ungarn und blieb auch zwischen den Weltkriegen eine Kultfigur

 

Dr. Stephan Graf Bethlen wurde 1946 in Kolozsvár (Klausenburg, heute Rumänien) als Sproß einer alten siebenbürgischen Familie geboren. 1965 floh er aus politischen Gründen aus Ungarn. In Wien, Innsbruck und München studierte er Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Staatswissenschaften. Er wurde Direktor der „Akademie für Politik und Zeitgeschehen“ in München. Später war er im Wirtschafts- und Bankenbereich tätig und unterrichtete an Europäischen und Amerikanischen Universitäten. 1990 wurde er Abegeordneter des Ungarischen Parlaments. Er ist Mitglied zahlreicher Organisationen und Vorstände, unter anderem ist er der Präsident der ungarischen Paneuropa Union.


 
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