© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Von der Stange
Kino: „Sag’ kein Wort“ von Gary Fleder ist Konfektionsware
Claus-M. Wolfschlag

Und wieder ein Familienidyll. Der Psychiater Dr. Nathan Conrad (Michael Douglas) führt ein unbeschwertes Eheleben. Zwischen ihm und seiner Frau Aggie (Famke Janssen) knistert immer noch das lodernde Feuer prickelnder Erotik, und die selbstbewußte Tochter Jessie ist der Liebling des turtelnden Paares.

Doch dann kommt jener Tag, an dem skrupellose Verbrecher das Kind aus der Wohnung der Conrads entführen. Sie haben ihren Coup bis ins Detail geplant, haben zahlreiche Überwachungskameras in der Wohnung des Psychiaters installiert, ein ganzes Multimedia-Netzwerk. Und ihr Ziel lautet: Macht erlangen über Dr. Nathan Conrad.

Nun fragt sich der Zuschauer, was Profi-Ganoven bewegt, diesen Aufwand für einen sicher wohlhabenden, aber keinesfalls reichen Arzt zu betreiben. Und er bekommt bald die Antwort geliefert. Dr. Conrad ist nur der Mittler auf dem Weg zum eigentlichen Ziel. Das nämlich heißt Elisabeth (Brittany Murphy) und ist Patientin in einer psychiatrischen Anstalt. Zu dieser Anstalt wiederum hat Conrad Zugang, und dieser soll von Elisabeth eine Nummernkombination erfragen, die angeblich zur verschollenen Beute eines ehedem verübten Raubüberfalls führt. Dieser Job allerdings gestaltet sich alles andere als einfach für den Arzt, denn die Zeit läuft, die Polizei darf nicht eingeschaltet werden, er und seine Frau werden auf Schritt und Tritt überwacht, und zu alledem teilt ihm die hysterische Patientin mit: „Ich werde es nie sagen.“

Daß sie doch irgendwann etwas verrät, liegt in der Natur des Drehbuchs, denn sonst würde ein entführtes Mädchen sterben, oder gnädigerweise freigelassen werden, und der Film endete abrupt. Statt dessen muß dieser amerikanische Konfektionskrimi etwa 110 Minuten hullen, also weiterlaufen, auch wenn Auflösung des Rätsels und Showdown kein Gefühl von Überraschung mehr zu erzeugen vermögen. Vorhersehbar das Ende, wenn der Held nach all den erlittenen Qualen und Anstrengungen wieder seine Kleinfamilie in die müden Männerarme schließen kann - und auch die einsame Elisabeth dabei nicht vergißt.

Überhaupt bildet Elisabeth einen der zahlreichen Schwachpunkte dieses aalglatt inszenierten Thrillers. Das liegt keinesfalls an der schauspielerischen Leistung Brittany Murphys, sondern an der dramaturgischen Unentschlossenheit des Drehbuchs. Einerseits zeigt es Elisabeth als ein aufgrund eines lange zurückliegenden Kindheitstraumas (Der Vater wurde viele Jahre zuvor vor ihren Augen ermordet) psychisch vollkommen irre gewordenes Mädchen, dessen Krankenzimmer einem rumänischen Kinderheim der Ceaucescu-Ära entsprungen scheint. Andererseits ist sie als verführerischer Teenager angelegt, selbst im tristen Anstaltshemd noch aufreizend geschminkt, eine kokettierende Lolita eben, bisweilen mit einem gewissen Hang zur Vulgarität. Und dann ist sie noch das kleine Kind, daß eigentlich nur eine neue Familie sucht, etwas Geborgenheit, um wieder ganz normal und glücklich zu werden. So schnell sind die Psychosen verschwunden, wenn Dr. Conrad naht und den Kampf gegen den Ober-Ganoven Koster (Sean Bean) aufnimmt.

Die Verleihfirma kündigt „Sag kein Wort“ als „nervenaufreibendes Psycho-Duell“ an, das nach dem preisgekrönten Roman von Andrew Klaran entstanden sei. Nun versteht es Top-Darsteller Michael Douglas durchaus professionell, einige Duelle in seiner Psychiaterrolle durchzuspielen, nervenaufreibend dürfte all dies allerdings nur für diejenigen sein, die nicht bereits mehrere Dutzend ähnlich angelegter High-Tech-Action-Thriller betrachten durften. Unterhaltungskunst zum Gelderwerb eben, kein Wort mehr kann man dazu sagen.


 
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