© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Spannende Enthüllungen aus Paris
Verpönte Wahrheiten: Ein Buch über amerikanisch-islamistische Zusammenarbeit sorgt in Frankreich für Aufregung
Jean-Pierre Ducarme

Zwei französische Autoren, Jean-Charles Brisard, als „International Consultant“ tätig und Guillaume Dasquié, Geopoli-tiker, Chefredakteur von „Intelligence Online“ und Universitätsdozent in Marne-la-Vallée, haben unmittelbar nach den Ereignissen am 11. September 2001 in New York ein bemerkenswertes Buch veröffentlicht, das sehr schnell die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Auf 332 Seiten wird der Leser mit sachlichen Argumenten und Fakten über die tatsächliche Situation im Raum zwischen Rotem Meer und Indien unterrichtet.

Die Hauptthese der beiden Autoren ist folgende: Osama bin Laden ist nicht ein aufgehetzter Verrückter oder ein kranker, religiöser Eiferer, sondern ein waschechtes Produkt der saudischen Elite. Er sei ein professioneller Guerilla-Kämpfer, der zunächst für die westliche Sache in Afghanistan gekämpft hat, wobei die Interessen des Amerika-dominierten Westens in einer ersten Phase mit denen von Saudi-Arabien zusammenfielen.

Saudi-Arabien möchte Konkurrenz verhindern

Für Brisard und Dasquié läßt sich die heutige Lage nur erklären, wenn man einen entscheidenden Umstand im Auge behält: Saudi-Arabien habe in der afghanischen Sache immer ein Doppelspiel auf dem internationalen Schachbrett gespielt. Saudi-Arabien will der Hauptlieferant von Öl bleiben und jedes laizistische Regime pro-russischer oder national-arabischer Prägung mit allen Mitteln bekämpfen. Dadurch ist Saudi-Arabien gezwungen, das Bündnis mit Amerika aufrechtzuerhalten. Aber das Kernland des islamischen Glaubens möchte auch sonst keinen Konkurrenten, so daß es um jeden Preis bestrebt ist, daß Ölfelder irgendwo anders ausgebeutet werden. Damit will es möglichst der alleinige Nutznießer der ungeheuren Öl-Dividenden bleiben.

Brisard und Dasquié schreiben, daß in einer ersten Phase Amerikaner und Saudis verbündet waren, um pro-russische Regierungen in Kabul zu eliminieren; sie kooperierten, um fundamentalistische Tschetschenen und Daghestanis gegen Rußland zu unterstützen, um die UÇK in Albanien, Kosovo und Mazedonien gegen die Serben zu finanzieren. Bin Laden, der in Bosnien gekämpft und der die Gotteskrieger im Kampf gegen die afghanische Regierung geführt hatte, war als Kämpfer für die gemeinsame amerikanisch-saudische Sache ein Trumpf in den Händen Amerikas. Die Situation änderte sich vollkommen, als die Bush-Administration an die Macht kam. Die neue Mannschaft im Weißen Haus wollte eine andere Ölpolitk führen.

Kurz nach der offiziellen Machtübernahne signalisierte der Außenminister der Taliban-Regierung in Kabul, Abdel Wakil Muttawakil, in dem amerikanischen Time Magazin, daß man bereit sei, die „Hardliner“ der Taliban-Bewegung fallen zu lassen. Gewisse Kräfte innerhalb der fundamentalistischen Bewegung Afghanistans waren bereit, die wahabitischen Eiferer zu erledigen und die US-Ölleitungen durch das afghanische Berggebiet zu akzeptieren. Die Verhandlungen begannen am 5. Februar 2001 und dauerten bis zum 2. August. Die Gespräche scheiterten, die Amerikaner hatten ihre Ziele nicht erreicht. Kaum einen Monat später ereigneten sich die Attacken des 11. September 2001 und der Feldzug in Afghanistan begann.

Das Buch von Dasquié und Brisard entlarvt auch die Rolle von Laila Helms in der US-Politik Afghanistans. Schon 1986 begann die junge Laila Helms (Nichte des frühern US-Botschafters und Ex-CIA-Direktors Richard Helms) sich in den USA für die afghanischen Kämpfer einzusetzen, indem sie ihre Lobby organisierte. 1995, als die Taliban die Rolle der Mudschaheddin übernahmen, verteidigte die Tochter eines afghanischen Ex-Ministers die neuen „hardcore“-Fundamentalisten in allen amerikanischen Gremien. Merkwürdig bleibt, daß die Dame auch 1996 nicht aufhörte, Propaganda für die Taliban zu machen, als Mullah Omar sich an Ausschreitungen auf dem afghanischen Schachbrett beteiligte.

Helms machte auch weiter, als 1997 der Afghane Osama bin Laden in Kabul auftauchte und als 1998 die antiamerikanischen Bomben in Nairobi und Dar-essalam explodierten. Die Erfahrungen von Frau Helms wurden unmittelbar für die Verhandlungen nach dem 5. Februar benutzt. Sie organisierte den Empfang in Washington beim Botschafter der Taliban-Regierung und persönlichen Berater Mullah Omars, Sayyid Rahmatullah Hashemi.

Der Taliban-Botschafter besuchte zwischen dem 18. und 23. März 2001 die CIA-Zentrale und das „Bureau of Intelligence and Research“ des „State Department“. Für Dasquié und Brisard bedeuten diese Besuche, daß die Vereinigten Staaten noch immer eine Übereinkunft mit ihren ehemaligen Verbündeten erreichen wollten. Beide Autoren kommen zu diesem Schluß, weil sie auch sehr genau die Beziehungen zwischen Amerika und den Islamischen Fundamentalisten analysiert haben.

Islamisten sollten Irans Expansiongelüste blockieren

Grund für die US-islamistische Zusammenarbeit sei der Wille gewesen, den Iran zu schwächen. Gegen die Radikalschiiten Teherans benutzte Washington Radikalsunniten in Kabul; letztere hatten die Aufgabe, die Expansionsmöglichkeit der Iraner blockieren. Weitere Gründe für die Kooperation sind die Interessen amerikanischer Ölkonzerne, wie etwa Chevron, die in Kasachstan, in Turkmenistan und in Kirgistan wichtige Positionen besetzt haben. Die frühere Sowjetunion-Expertin von Bush sen. und heutige US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, arbeitete früher für Chevron und ist eine Schlüsselfigur in den Beziehungen zu den ehemaligen Sowjetrepubliken. Washington sollte direkt die Ölleitungen der ganzen Region kontrollieren, um zu vermeiden, daß die Iraner und Russen in dieser Angelegenheit zu wichtig werden. Der argentinische Ölmagnat Carlos Bulgheroni, Chef des Bridas-Konzerns, versuchte den Transport des Öls zu organisieren, in der Hoffnung, Afghanistan werde bald ein „ruhiges“ Land werden. Die US-Konzerne Unocal und Delta Oil spielten dabei aktiv mit. Zur gleichen Zeit unterstützten die saudischen Geheimdienste (GID) des Fürsten Turki Al-Faisal die Taliban-Einheiten mit Waffen und Fahrzeugen. Die anderen Gruppen in diesem Machtkampf, zum Beispiel die Usbeken und Tadschiken, die vielleicht andere Ziele hatten, wurden von den Saudis mißtrauisch gemieden.

Die Lage in Zentralasien hatte sich mit dem Antritt der Bush-Regierung entscheidend geändert. Die USA sind - im Gegensatz zu früher - nicht mehr bereit, die Taliban hundertprozentig zu unterstützen und alle Streitigkeiten nur mit diplomatischen Mitteln zu regeln. Rußland und China haben akzeptiert, daß die Ölleitungen gebaut werden. Das Projekt Amerikas, eine Pipeline durch Afghanistan zu bauen, um das Öl der Kaspischen Region in die Häfen des Indischen Ozeans zu leiten, wird allgemein angenommen. Die anderen Mächte waren auch nicht tatenlos. Die Russen zum Beispiel haben eine Ölleitung weit von Tschetschenien entfernt gebaut und beginnen mit Ihrer Nutzung.

Die andere amerikanische Planung, die sich zur Zeit des Clinton-Besuches in der Türkei 1999 zu konkretisieren schien, nämlich eine Leitung vom Kaukasus bis zum türkischen Hafen von Ceyhan zu bauen, liegt auf Eis. Sie wird inzwischen nicht mehr als rentabel erachtet. Dadurch waren islamische Fundamentalisten in Tschetschenien, Daghestan oder Afghanistan für Amerika keine nützlichen Werkzeuge mehr und wurden fallengelassen. Die Taliban wehrten sich dagegen und drohten, den Bau der Ölleitungen zu stören. Für Brisard und Dasquié liegen in dieser Situation die Wurzeln des heutigen Konflikts.

Einen weiteres Thema, den die beiden französischen Geopolitiker in ihrem Buch aufarbeiten, ist der „Saudische Faktor“. Sie skizzieren meisterhaft die Geschichte des traditionellen Königreiches auf der arabischen Halbinsel. Im Wettstreit zwischen allen europäischen bzw. westlichen Mächten um die Gunst des Beduinen-Königs, erlangten die Amerikaner unter Präsident Franklin D. Roosevelt schnell die Oberhand und schalteten ihre Konkurrenten aus. Die saudischen Herrscher blieben bis unmittelbar nach dem Golfkrieg treue Verbündete Amerikas. Als aber die stationierten US-Verbände trotz des Versprechens, sich so schnell wie möglich zurückzuziehen, immer noch blieben und de facto das Land, wo der Islam entstanden ist, besetzten, änderte sich ihre Einstellung. Die Besatzung war und ist eine ungeheure und unakzeptable Frechheit für fromme Muslime. Ein Teil der saudischen Elite war damit nicht einverstanden.

Dasquié und Brisard weisen präzise und faktenreich nach, daß zum Beispiel Osama bin Laden aus diesen rebellierenden Kreisen kommt. Als muslimischer Fundamentalist will er seit jeher alle Länder des Islam, die von Ungläubigen besetzt bzw. kolonisiert sind, befreien. Deshalb hat er gegen die Sowjetarmee und das sowjetfreundliche Regime in Afghanistan gekämpft. Dann wurde seine eigene Heimat von westlichen Truppen besetzt, so daß von da ab die gleiche Feindschaft gegen die neuen Besatzer gelten sollte, egal, ob die saudische Königsfamilie mit ihnen kollaborierte.

Geheimdienste wußten von den Anschlägen

Dasquié und Brisard erläutern auch die Herkunft bin Ladens. Er ist der Sohn eines Bauunternehmers und kann auf ein Milliardenvermögen zurückgreifen. Seine Familie ist weit verzweigt und wird von treuen und diskreten Bundesgenossen innerhalb der saudischen Finanzelite unterstützt. Einer der Banker ist Khalid bin Mahfuz, dessen Karriere Dasquié und Brisard skizzieren. Innerhalb dieses Netzwerks rekrutieren sich die Feinde Amerikas, und die Geheimdienste der stärksten Supermacht scheinen nicht fähig zu sein, es komplett zu durchdringen.

Die Lektüre des Buches läßt folgende Schlüsse zu:

1. Das Werkzeug, bzw. die Trumpfkarte des islamischen Fundamentalismus wird in naher Zukunft nicht mehr gegen Mächte wie Rußland, China oder Indien instrumentalisiert werden.

2. Die Bundesgenossenschaft zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Staaten bleibt zwar formell existent, sie wird aber durch die Wut gewisser Kreise innerhalb der saudischen Elite zerbrechlich.

3. Obwohl es nirgendwo deutlich im Buch erwähnt wird, kann man vermuten, daß die Attentate vom 11. September zwar von fundamentalistischen Desperados begangen wurden, daß aber die amerikanischen Geheimdienste davon gewußt haben. Sie haben nicht reagiert, um einen Vorwand für eine Intervention in Zentralasien zu haben.

Bei der Beurteilung der Lage darf man nicht vergessen, daß Afghanistan seit ungefähr 1840 ein Zankapfel ist. Der Grund dafür ist denkbar einfach: Wer die Kontrolle über das rohstoffreiche Zentralasiens haben will, muß Afghanistan beherrschen. Die Engländer nannten den zähen Kampf um die Berge dieses Landes „The Great Game“. Nachdem das Vereinigte Königreich 1941 eher unfreiwillig die weltpolitische Hauptrolle an die Vereinigten Staaten abgetreten hat, haben jetzt die Amerikaner die Chance, dieses „Great Game“ zu beenden.

Fototext: Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, US-Präsident George W. Bush: Eine Kontrolle des erdöl- und erdgasreichen Zentralasiens ist ohne eine Kontrolle Afghanistans nicht möglich. Die republikanische Wahlkampagne wurde maßgeblich von der amerikanischen Ölindustrie gesponsert.

Jean-Charles Brisard et Guillaume Dasquié: Ben Laden: La Vérité interdite. Paris, Editions Denoel, 20 Euro.


 
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