© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Kolumne
Reichsgründung
von Klaus Hornung

Am 18. Januar 1871 wurde im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles das neue deutsche Kaiserreich ausgerufen. 170 Jahre zuvor hatte an diesem Datum die Krönung Friedrichs I. zum König in Preußen im Dom zu Königsberg stattgefunden.

Der 18. Januar vor 131 Jahren war die Erfüllung jahrzehntelanger deutscher Sehnsüchte seit der Niederwerfung Napoleons 1815 gewesen. Das neue Reich war weder ein „Einheitsstaat“ noch ein bloßes militärisches Großpreußen, wie man heute nicht selten hört. Es war vielmehr ein vor allem von Otto von Bismarck entworfener kunstvoller Kompromiß zwischen agrarisch-konservativer Adelsschicht und modernem industriegesellschaftlichem Bürgertum, föderaler und unitarischer Interessen, auch zwischen Preußen und den Süddeutschen. Bismarck war weder Zentralist noch Nationalist, ein Gegner des völkischen oder gar des rassischen Prinzips - er wehrte den Panslawismus ebenso ab wie den Pangermanismus der Alldeutschen.

Sicherlich lasteten auf dem Neubau manche Hypotheken: die Lage in der Mitte des Kontinents, Klüfte zwischen protestantischem Kaisertum und dem katholischen Volksteil und die ungelöste „soziale Frage“, die mangelnde Integration der Industriearbeiterschaft, die zum Teil den Parolen Marx und Engels folgte. Historiker werfen dem „Bismarckreich“ bis heute vor, gegen den demokratischen und republikanischen „Geist der Zeit“ gegründet worden zu sein, als Ausdruck des vielgenannten „deutschen Sonderwegs“, ein Herd innerer und äußerer Unruhe, zu stark, um nicht feindliche Einkreisung hervorzurufen, doch zu schwach für eine hegemoniale Rolle in Europa.

Doch Bismarcks Werk war stabiler als viele meinten oder wünschten. Das erwies sich in den Katastrophen beider Weltkriege. 1918 überdauerte es den Wechsel von der Monarchie zur Republik, als die vorherige Opposition, die „Reichsfeinde“, die Regierung übernahmen. Und nach der Katastrophe der totalitären Diktatur Hitlers, gelang es Konrad Adenauer, die westliche Bundesrepublik zum Kern- und Treuhandstaat aufzubauen. Die „Umweglogik“ seiner Politik - zuerst Westbündnis, dann deutsche Einheit - bewährte sich im Herbst 1989. Die Berliner Republik von 1990 steht unleugbar auf den Fundamenten des Reiches von 1871. Das linksextreme „Deutschland verrecke!“ hat nicht stattgefunden, wenn auch die alten Provinzen im Osten verloren gingen. Es stünde den heutigen Deutschen gut an, sich dieser Kontinuität zu erinnern. Es bleibt die Aufgabe, diesen Staat wetterfest zu machen, als Gehäuse der Nation unter Nationen.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung ist Politikwissenschaftler und Präsident des Studienzentrums Weikersheim.


 
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