© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002

 
Alte Kameraden
Niedersachsen: Wie Gerhard Schröder seinen Duzfreund Selenz der Politkarriere opferte
Peter Freitag

In Niedersachsen sind neue Vermutungen aufgetaucht, die ein ganz anderes Licht auf den Austritt von Hans-Joachim Selenz aus der FDP und seinen Wechsel zur Schill-Partei werfen (JF 3/02). Nach eigener Darstellung verzichtete Selenz von sich aus auf die ihm von den Liberalen in Salzgitter angetragene Bundestagskandidatur, um statt dessen in Niedersachsen die Partei Rechtsstaatlicher Offensive aufzubauen. Wie die JUNGE FREIHEIT dagegen aus gut unterrichteten Kreisen erfuhr, habe Bundeskanzler Gerhard Schröder persönlich bei FDP-Chef Guido Westerwelle wegen der Nominierung von Selenz interveniert. Schröder drohte, dies würde einer möglichen Beteiligung der Liberalen an einer SPD-Regierung nach den Bundestagswahlen im Wege stehen. Westerwelle habe daraufhin Druck auf die Parteifreunde in Salzgitter ausgeübt, die Selenz schließlich fallenließen, obgleich er noch im vergangenen Herbst mit 17 Prozent ein überragendes Wahlergebnis als Oberbürgermeister-Kandidat für ihre Partei erzielt hatte.

Die Ursachen für handfeste Animositäten zwischen den sich früher duzenden Schröder und Selenz liegen im Konflikt um die Herauslösung der Stahlwerke Salzgitter aus der Preussag AG in den Jahren 1998 und 1999, in dessen Folge Selenz offensichtlich um seinen Lohn als Schröders „Kanzlermacher“ betrogen wurde: Vor vier Jahren wollte die Preussag AG ihre Stahltochter Salzgitter an ausländische Interessenten - darunter den österreichischen Konzern Voest/Alpine - veräußern. Hans-Joachim Selenz, damals im Vorstand der Preussag, wandte sich jedoch gegen solche Pläne, die in erster Linie auf Friedel Neuber, den damaligen Chef der WestLB, die Mehrheitsaktionär der Preussag ist, zurückgingen.Gemeinsam mit Selenz verhinderte der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder den Verkauf nach Österreich, da ein Verlust von Arbeitsplätzen in der Industrieregion Salzgitter den laufenden Wahlkampf in Niedersachsen empfindlich gestört hätte. Obwohl sie 100 Millionen Mark weniger einnahm, verkaufte die Preussag ihre Stahltochter schließlich an das Land Niedersachsen und die NordLB, die gemeinsam die Salzgitter AG gründeten. Salzgitter-Arbeiter plakatierten pflichtschuldig „Danke, Gerhard“, der von ihnen als Retter der Arbeitsplätze gefeierte Schröder gewann darauf die Landtagswahlen und obsiegte somit außerdem über Lafontaine als Kanzlerkandidat der SPD.

Als im folgenden Jahr erneut Fusionsverhandlungen zwischen der Salzgitter AG unter Vorstandschef Selenz und dem Luxemburgischen Konzern Arbed anstanden, gab es offensichtlich zunächst keine so großen Bedenken mehr in Hannover. Die Verhandlungen scheiterten allerdings, wodurch das börsennotierte Unternehmen einen beträchtlichen Ansehensverlust erlitt. Nicht zuletzt auf Druck der mächtigen IG Metall mußte der Vorstandsvorsitzende Selenz seinen Stuhl räumen, nachdem die Verhandlungen mit Arbed als sein Alleingang dargestellt wurden. Da aber Schröders Nachfolger als Ministerpräsident, Gerhard Glogowski, im Aufsichtsrat der Salzgitter AG saß, läßt sich die Mitverantwortung der Politik kaum leugnen. Selenz sah sich in der Rolle des Sündenbocks und von dem einst mit ihm zum „Retter von Salzgitter“ gekürten Schröder und der SPD im Stich gelassen.

Vor diesem Hintergrund dürfte der Bundeskanzler in der Tat wenig Interesse an einem Wiedersehen mit Hans-Joachim Selenz in Berlin haben. Seine - auf dem kleinen Dienstweg - erfolgte Intervention bei Guido Westerwelle beweist jedoch nur, wie der ehemalige Stahlmanager Selenz Recht hatte, als er in einem Interview 1998 noch meinte: „Herr Schröder ist aus meiner Sicht ein guter Politikmanager.“


 
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