© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/02 18. Januar 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Leistungsanreiz
Karl Heinzen

Zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und einer Entschädigungszahlung in Höhe von 1219 Euro wurde nun im französischen Montbrison ein Hotelbesitzer verur­teilt, der sich bemüht hatte, die Ar­beitsleistung einer Küchenhilfe durch regelmäßige Prügel zu optimieren. Erst als er sie in einen Wäschetrockner ge­steckt sowie das Gerät in Betrieb ge­nommen hatte und sie anschließend auch noch durch ihn gezwungen worden war, den Fußboden mit der Zunge sauber zu lecken, hatte die Angestellte ihre Be­denken ob eines möglichen Verlusts des Arbeitsplatzes zurückgestellt und An­zeige gegen ihren Chef erstattet.

Das Urteil beweist, daß dieser Arbeit­geber nach derzeitigem Recht zu weit gegangen ist. Es signalisiert angesichts der Milde der verhängten Strafe aber zugleich, daß an innerbetriebliche Beziehungen in Zeiten außergewöhnlicher europaweiter Massenarbeitslosigkeit un­ter Umständen auch außergewöhnliche Maßstäbe angelegt werden müssen. Die rechtliche Entwicklung ist, wie über­all, so auch hier im Fluß, und natür­lich ist es das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, daß dabei die Richtung vorgibt. Galt es beispielsweise, das sinkende Interesse an der Ehe dadurch anzustacheln, daß man deren Attraktivi­tät durch die rechtliche Festlegung auf ihren gewaltfreien Charakter stei­gerte, so ist es vorstellbar, daß die Marktmacht der Arbeitsplatzanbieter dazu anspornt, den entgegengesetzten Weg zu gehen und ihnen zumindest still­schweigend gewisse Züchtigungsrechte einzuräumen.

Systemwidrig wäre dies nicht. Ar­beitsbeziehungen in der Markt-gesell­schaft mit Privateigentum sind und bleiben auf Machtasymmetrien gegründet. Wer arbeitet, muß nicht nur akzeptie­ren, daß andere an ihm verdienen. Er muß ihnen auch noch dafür dankbar sein, daß sie ihm diese Chance bieten.

In ihrer Berufstätigkeit haben sich Ar­beitnehmer nicht als Menschen, sondern als sachliche Interessenvertreter ihres Unternehmens zu begreifen. Dies enthebt sie der psychischen Last, irgend etwas persönlich zu nehmen. Auf dieser Grundlage hätten auch Züchtigungsrechte des Arbeitgebers ihren Platz, ohne daß sie etwa als ein Angriff auf die Men­schenwürde gewertet werden dürften. Wer einer Körperstrafe ausgesetzt wäre, müßte diese nicht als eine persönliche erleiden, sondern könnte sich dessen gewiß sein, nur als ein fehlerhaftes Funktionselement behandelt worden zu sein, dem auf diese Weise sogar eine
Bewährung eingeräumt würde. Wer die Züchtigung vornähme, verlöre vor sich selbst nicht das Gesicht, weil er nicht persönlichen Neigungen folgte, sondern lediglich die innerbetriebliche Ver­nunft exekutierte.

Ob offene Gewalt zu einer Steigerung des Arbeitsengagements beitragen kann, ist eine Frage, die man sicher unvor­eingenommen wird diskutieren müssen. Die beruhigende Zahl von vier Millionen Arbeitslosen allein in Deutschland legt aber nahe, daß die Angst als motivie­render Faktor noch gar nicht ausgereizt ist.


 
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