© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002

 
Pankraz,
der Gap und der Kampf der Generationen

Der Kampf der Generationen wird immer härter. Was im Außenaspekt der sogenannten Globalisierung die Auslagerung der Arbeitsplätze aus „entwickelten“ Ländern in „weniger gut entwickelte“ ist, das ist im Inneren die Verlagerung der Arbeitsplätze von älteren Generationen auf jüngere. Dieser Prozeß nimmt dramatische Formen an, geht durch alle Berufsgruppen und macht selbst vor dem Geistesleben nicht halt. Dort sind es die Themen, die man behandelt, und die Werte, auf die man schwört, welche stetig „jünger“ werden. Immer mehr Platzhirsche unter den Parolenausgebern, die im vollen Saft stehen und glauben, das Beste noch vor sich zu haben, sehen sich über Nacht außer Kurs gesetzt.

In der Industrie ist es natürlich die Elektronisierung und Digitalisierung, die das Tempo bestimmt. Junge Spunde, Auszubildende oder Hospitanten, die noch kaum etwas ausgezahlt bekommen, können auf Anhieb genauso viel wie langjährige, altgediente Firmenkräfte, ja sogar mehr, gewöhnen sich schneller an die neue Software, verstehen sie kaltblütiger und phantasiereicher zu handhaben, optimal auszuschöpfen. Der „verdiente Mitarbeiter in den besten Jahren“ wird zur Belastung, treibt Lohn- und Nebenkosten in die Höhe, drückt beträchtlich die Gewinnmarge.

Die neue Lage spiegelt sich in einem neuen Tugendkanon. Nicht mehr Lebenserfahrung, reiches materielles Wissen und Sorgfalt bei der Ausführung erzielen höchste Punktzahlen, sondern keckes Vertrauen in den (technischen) Selbstlauf der Dinge, formales Wissen über den Umgang mit der Elektronik sowie eine gewisse herablassende Gleichgültigkeit gegenüber der Gediegenheit und Dauerhaftigkeit von Resultaten. Weiß man doch, daß das Neue, „Bessere“ stets schon vor der Tür steht, daß ein Produkt, wenn es auf dem Markt erscheint, aus der Sicht der Entwicklungsstäbe stets schon „überholt“ ist.

Nächst der Industrie ist die Medienbranche, Fernsehen, Zeitungen, Werbeagenturen, extrem generationsorientiert. Dort spricht man bereits von einem „Generationen-Gap“, der sich um die magische Zahl Vierzig aufgetan habe. Jeder Mitarbeiter, der das vierzigste Lebensjahr erreicht, rückt automatisch auf die Abschußliste. Er ist, mag er auch noch so begabt und anstellig sein, plötzlich nur noch die Hälfte wert, ist nicht mehr „unbegrenzt belastbar“, hat Familie, schulpflichtige Kinder und Eigenheim, die seine Mobilität einschränken.

Freilich, der Verlust der Mobilität bei den Übervierzigjährigen wird - wenigstens teilweise - kompensiert durch einen Zuwachs an Loyalität: Firmenloyalität, Standortloyalität, Loyalität gegenüber der „corporate identity“. Mobilität versus Loyalität: auf diese knappe Formel läßt sich der Generationenkonflikt bringen, der im Zeichen der inneren Globalisierung um den „Gap“ des vierzigsten Lebensjahres tobt. Einmal sind die mobilen Jungen, ein andermal die loyalen Älteren im Vorteil, je nach der gerade vorherrschenden Firmenideologie.

Es wird mit härtesten Bandagen gekämpft. Es gibt keine Solidarität mehr zwischen den Generationen, so wenig wie es eine „internationale Solidarität“ gibt, etwa zwischen britischen Arbeitern, denen eine Chipfabrik geschlossen wird, und indischen Arbeitern, die diese Chipfabrik erhalten. Was einzig gilt, ist der Job, den man verliert oder gewinnt. Schon läßt sich absehen, wie sich der Generationenkampf mit dem Kampf der Völker und Ethnien verbindet. Da es in den westlichen Ländern immer weniger Junge gibt (auch dies wohl Folge eines subtilen Schachzugs der älteren Generation gegen die jüngere), übernehmen die Zuwanderer aus geburtenfreudigen Ländern den Part der jungen Generation und steigern deren Aggressivität.

Schlimm sind die seelischen Verluste, die vor allem die Älteren betreffen. Diese sind am leichtesten erpreßbar, sehen sich horrenden Zumutungen ausgesetzt, nehmen vielerorts verkappte Einkommensabzüge hin, über die sich früher Gewerkschaften endlos aufgeregt hätten. Ihre Loyalität schlägt aus heller Existenzangst oft in Kriecherei und ewige Krötenschluckerei um, so daß Nietzsche recht behält, der gesagt hat: Derjenige ist schlecht dran, der mit Vierzig noch nicht finanziell unabhängig ist.

Müßig wäre es indes, alle die Übel auf die „Herrschenden“ zu schieben, also auf die Manager in den Firmen und die Institutsleiter in den Laboratorien und Forschungsabteilungen. Denn diese stehen ja, auf höherem, ökonomisch abgesichertem Niveau, in demselben Generationenkampf wie die unteren Chargen. Sie müssen zwar selten Angst um die nackte Existenz haben, aber umso öfter Angst vor dem plötzlichen Freigesetztsein und der Aussicht auf zielloses Spazierengehen, Angst um den Erhalt des „Lebenswerks“ oder um den Erhalt des Zugangs zu den Medien. In Japan, liest man, sind es in erster Linie die Manager, die unter dem Generationenkampf geradezu tödlich leiden; die Selbstmordrate unter ihnen sei erschreckend hoch.

Hartes kann nur mit Hartem bekämpft werden, den Predigten des Lao-Tse in dem bekannten Brechtgedicht zum Trotz. Die Spannung zwischen den Generationen wurde vor Machtantritt des leeren Superindividualismus erfolgreich durch die Kraft generationsneutraler Gemeinschaftsideen gemildert und ruhiggestellt: Religion, Nation, positive Erinnerungskultur. Das waren also jene harten Hausmittel, geistige Instanzen, die inneren Frieden stifteten und zweifellos auch heute noch stiften würden.

Wer statt dessen glaubt, die unsichtbare Hand der technischen und finanzpolitischen Digitalisierung („digitaler Kapitalismus“) werde schon alles zum besten richten bzw. die geistigen Kräfte könnten gegen diese unsichtbare, aber allmächtige Hand sowieso nichts bewirken und deshalb sei es überflüssig, sich aufzuregen, der liefert die Zivilisation sehenden Auges dem Verderben aus. Generation wäre in solchem Glauben lediglich ein anderes Wort für Barbarei.


 
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