© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/02 11. Januar 2002

 
Ein Minister auf Silvesterreise nach Berlin
Rumänien: Visapflicht für die EU aufgehoben / Nato-Beitritt kommt vor EU-Mitgliedschaft
Ivan Denes

Rumänien - eines der ärmsten Länder Europas - erlebte trotz Schnee- und Kältechaos zum Jahresende ein kleines politisches Hoch. Zwei Ereignisse passierten die politische Szene, die der großen Ambition der Rumänen - die EU- und Nato-Integration einerseits, der Ausgleich mit dem ungarischen Nachbar andererseits - neue Hoffnung gaben.

Seit 1. Januar können rumänische Staatsangehörige ohne Visum in die EU-Länder reisen, die zum Schengen-Abkommen gehören. Bisher fühlten sich die Rumänen wie ausgegrenzt, zumal sie aus dem Kreis der 13 engeren EU-Kandidaten die letzten waren, denen noch ein Visumszwang auferlegt war. Die diskriminierende Maßnahme ging auf Entwicklungen zurück, die kurz nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes und nach dem Fall der Berliner Mauer eingetreten waren. Eine Welle illegaler Einreisender aus Rumänien überschwappte West- und Mitteleuropa, in erster Linie Deutschland und Österreich. Es ging dabei vor allem um „Pseudoasylanten“ - meist Zigeuner - die nicht nur zu einem drastischen Anstieg der Kriminalitätsstatistiken führten, sondern auch die Sozialetats der betreffenden Länder maßlos belasteten. Berlin war besonders heimgesucht. Die Bettlerinnen mit bunten Röcken und verkrüppelten „Mietbabies“ auf den Armen, die an allen Ecken auftauchten, oder die Hütchenspieler auf den belebtesten Geschäftsstraßen zwangen ganz Westeuropa, sich durch restriktive Einreisebestimmungen zur Wehr zu setzen.

Zur Erinnerung sei erwähnt: Großbritannien, das kein Schengen-Mitglied ist, sieht sich angesichts einer Einreisewelle tschechischer und slowakischer Roma, seit einigen Monaten gezwungen, auf dem Prager Flughafen britische Beamte einzusetzen, um zu verhindern, daß unerwünschte Einreisende auf dem Flughafen London-Heathrow landen.

Die rumänischen Grenzer haben nun Sonderbefugnisse bekommen, um Personen, die nicht über das notwendige Bargeld (oder gedeckte Kreditkarten) verfügen, um ihren Aufenthalt im Ausland bezahlen zu können, einfach an der Ausreise zu hindern. Die Regierung hat eine kleine Verhaltensfibel in großer Auflage drucken und verteilen lassen, worin den rumänischen Auslandsreisenden „zivilisierte Verhaltensweisen“ empfohlen werden. In der Neujahrsnacht landete in Berlin-Schönefeld ein Flugzeug mit einer good-will-Karawane - die ersten visafrei einreisende Rumänen, mit dem sozialdemokratischen Tourismusminister Matei-Agaton Dan an der Spitze. Ob langfristig gesehen eine neue Invasion von Kriminellen und „Sozialtouristen“ droht, bleibt offen.

Am 23. Dezember - im letztmöglichen Augenblick - haben die Ministerpräsidenten Rumäniens und Ungarns, Adrian Nastase und Viktor Orbán einen seit langen Monaten schwelenden Konflikt aus der Welt geräumt. Das ungarische Parlament hatte nämlich am 19. Juni vergangenen Jahres das lang umstrittene Status-Gesetz verabschiedet, in dem den Auslandsungarn - es gibt davon etwa 3,5 Millionen, darunter etwa 1,8 Millionen in Rumänien - besondere Privilegien im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts, der Krankenversicherung oder Berufsausbildung gesichert wurden (siehe JF 30/01, 36/01). Das Gesetz ist am 1. Januar in Kraft getreten. Das empfanden vor allem die Slowakei und Rumänien, wo eine große ungarische Minderheit lebt, als Diskriminierung gegen die Bevölkerungsmehrheit. Der jetzt ausgehandelte Kompromiß sieht vor, daß die Zugehörigkeit zur ungarischen Nation nicht nachgewiesen werden muß, jedermann, der sich als Ungar bekennt und die Sprache beherrscht, kann vom Statusgesetz profitieren. Außerdem sollen in Ungarn der rumänischen Minderheit dieselben Arbeitsbedingungen eingeräumt werden wie den rumänischen Ungarn. Der jetzt gefundene Kompromiß wird - durch die nunmehr gesicherte Unterstützung der ungarischen RMDSZ-Parlamentarier - die Minderheitsregierung Nastases konsolidieren.

Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur EU ist gegenwärtigen Erkenntnissen zufolge keine aktuelle Frage. Mit einem Bruttosozialprodukt von knapp 1.700 Euro pro Kopf im Jahr 1999 wäre Rumänien auch nicht in der Lage, dem Wettbewerb innerhalb der EU standzuhalten. Das weiß auch Premier Nastase - er ist von Beruf Professor für internationales Handelsrecht. Obwohl er an der Spitze der neokommunistischen Sozialdemokraten (PDSR) steht, ist er ein ausgesprochener Befürworter der freien Marktwirtschaft, im Gegensatz zu Staatspräsident Ion Iliescu.

Rumänien hat aber beste Chancen in diesem Jahr auf dem Prager Gipfel als Vollmitglied in die Nato aufgenommen zu werden. Dafür gibt es eine Fülle von Gründen. Rumänien hat sich im Verlauf der Balkankonflikte vorbehaltlos an die Seite des Westens gestellt. Die Reform der Streitkräfte ist in vollem Gange. Besonders aber sprechen geopolitische Kriterien für eine Aufnahme Rumäniens, zumal es trotz allem Gerede über russisch-amerikanischen Gemeinsamkeiten im Anti-Terror-Krieg Anhaltspunkte gibt, daß in Moskau Kräfte am Werk sind, welche die vom Westen im Stich gelassene, allein lebensunfähige Republik Moldawien (mit rumänischer Mehrheit), bzw. die sezessionistische Provinz Transnistrien (mit russischer Bevölkerung) in einen vorgeschobenen strategischen Vorposten Rußlands umwandeln wollen. Zwei frühere Ministerpräsidenten, beide Veteranen der alten, großmoskowitischen Expansionspolitik - Jewgenij Primakow, Sonderbeauftragter für Lösung des Transnistrien-Problems, und Viktor Tschernomyrdin, Botschafter in Kiew - sind im Begriff, mit mehr oder minder lauteren Druckmitteln auch die benachbarte Ukraine ganz in die Einflußsphäre Rußlands zurückzuführen.

Die geographische Lage Rumäniens gewinnt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung, zumal man davon ausgehen kann, daß bei einem nicht unwahrscheinlich erscheinenden US-Angriff auf den Irak Rußland und die Ukraine eine wohl ablehnende Haltung einnehmen werden.


 
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