© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/02 04. Januar 2002

 
Medien und Demokratie - eine Haßliebe
Thomas Meyers Darstellung des zunehmenden Einflusses medialer Wirkungen auf die Politik
Doris Neujahr

Der amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman hat in seinem 1985 erschienenen Bestseller „Wir amüsieren uns zu Tode“, die Zukunft einer fröhlichen Apokalypse mit heiter-debilen Menschen und der Politik als einer permanenten Fernsehshow entworfen. 16 Jahre später konstatiert sein Dortmunder Kollege Thomas Meyer, daß die „Kolonisierung der Politik durch die Medien“ tatsächlich eingetroffen ist. Postmans rigiden Kulturpessimismus mag er dennoch nicht teilen.

Nun ist eine Demokratie ohne Medien undenkbar, denn sie stellen erst die Öffentlichkeit her, in der verschiedene Argumente vorgestellt und kontrolliert werden können. Allerdings kollidiert die Logik der Politik mit dem Systemzwang der Massenmedien und gibt in diesem Konflikt zunehmend Terrain preis. Unter dem Begriff des Politischen subsumiert Meyer erstens die Normen und Regeln des Gemeinwesens, zweitens die unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen, die sich in Handlungsprogrammen niederschlagen, und schließlich das Handwerk ihrer praktischen Umsetzung. Politik zwingt zu Umwegen, braucht den Kompromiß und damit Zeit.

Zeit aber ist das, was die konkurrierenden Medien am wenigsten besitzen. Sie benötigen schnell wechselnde Ereignisse, in denen sich komplexe Zusammenhänge zu überschaubaren, personalisierten Konflikten verdichten sollen. Als Fernsehunterhalter sind jene Politiker im Vorteil, die über ein ausgeprägtes Mediencharisma verfügen. Ein schlagfertiger Talkshow-Teilnehmer findet allemal ein größeres Medienecho als ein analytisch begabter Debattierer oder ein anerkannter Fachexperte. Dazu paßt, daß der Deutsche Bundestag im öffentlichen Bewußtsein vor allem als Touristenattraktion verankert ist, während die politischen Diskussionen - vielmehr ihre Simulation - im Fernsehsalon von Frau Christiansen stattfinden. Die Gefahr liegt auf der Hand, daß die Binnenlogik der Medien die Politik dominiert und ihr ihren verkürzten Zeitbegriff aufzwingt. Eine bereits eingetroffene Folge dieser „Mediokratie“ ist eine „Placebopolitik“, eine fernsehgerechte Inszenierung ohne praktische Bedeutung, in der etwa Gerhard Schröder es nach kurzer Zeit zur Meisterschaft gebracht hat.

Es ist ein Vorzug des Buches, daß sein Verfasser sich nicht als Kassandra geriert. Kulturpessimisten erfahren zu ihrer Beruhigung, daß die Eigengesetze der Politik sich weit stärker behaupten als unterstellt. Wenn Meyer jedoch apodiktisch schreibt, Postmans Horrorvision entbehre „der Grundlage“, klingt das wie die ängstliche Zurücknahme der eigenen Analysen. Richtig ist aber, daß die Verblödungsperspektive kein unausweichliches Schicksal ist. Unter der Überschrift „Die Chancen der Demokratie in der Medienwelt“ hat Meyer entsprechende Handlungsmöglichkeiten aufgezählt und an die Verantwortung des einzelnen Bürgers appelliert. Er hat ein hochgescheitetes Buch verfaßt, das durch den Schock vom 11. September keineswegs veraltet, sondern noch aktueller geworden ist. Die täglichen Ärgernisse von Politikern und Politikkonsumenten werden umfassend, treffsicher, spannend und auf hohem theoretischem Niveau auf den Punkt gebracht. Doris Neujahr

Thomas Meyer: Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001, 209 Seiten, 10 Euro


 
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