© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/02 04. Januar 2002

 
Ein König demontiert sich selbst
Sachsen: Der Rücktritt von Kurt Biedenkopf wird immer wahrscheinlicher / Rabatt-Affären verärgern auch seine Partei
Paul Leonhard

Es steht nicht gut um Kurt Biedenkopf. Selbst in seiner engsten Umgebung stehen die Wetten gegen ihn: Wie lange hält es den Sachsenpremier noch in seinem Amt? Inzwischen gilt als nicht mehr ausgeschlossen, daß Biedenkopf sich selbst ein Geschenk zu seinem 72. Geburtstag am 28. Januar macht und seinen Rücktritt erklärt. Andere sehen den Ministerpräsidenten erst nach der Kabinettsklausur zum Haushalt 2003 scheiden. Diese dürfe Ende Mai, Anfang Juni stattfinden. Biedenkopf würde hier noch einmal entscheidende Weichen stellen und das Amt noch rechtzeitig vor den parteiinternen Rangeleien mit Blick auf die Bundestagswahl am 22. September räumen.

Letztere deuten sich bereits jetzt an. Mindestens fünf der sächsischen CDU-Landtagsabgeordneten wollen in das Berliner Parlament einziehen. Jüngere Abgeordnete bangen um ihr Landtagsmandat. Für einen skandalumwitterten Ministerpräsidenten ist da - Verdienste hin oder her - kein Platz mehr. Die Sachsen-Union will den Wechsel und nach den jüngsten Skandalen einen schnellen. Das hat sie bereits signalisiert, als sie auf dem Glauchauer Parteitag den Anfang vorigen Jahres aus dem Kabinett verstoßenen Finanzminister Georg Milbradt zum Chef der Landespartei wählte. Ein klarer Affront gegen den absolutistisch herrschenden Regierungschef.

Die Art und Weise wie sich der einst beliebte Ministerpräsident selbst demontiert, ist tragisch. Nach dem bekannt geworden war, daß und vor allem wie sich das Ehepaar Biedenkopf einen 15-Prozent-Rabatt beim Einkauf in der Dresdner Ikea-Filiale erkämpft hatte, hofften viele Sachsen noch auf ein erlösendes Dementi. Als der Christdemokrat dann vor der Fraktion das Geschehen bestätigte, weitere Rabattaushandlungen einräumte und sich entschuldigte, war es zu spät. Vor allem empörte die Menschen, daß Biedenkopf zu seiner Entlastung sagte, die jährlich durch Preisnachlässe erzielten etwa 10.000 bis 20.000 Mark für karitative Zwecke zu spenden: „Wir haben ein absolut reines Gewissen, denn wir sind nicht vom Geiz getrieben.“

Die Sachsen haben die Kapriolen der Biedenkopfs satt. So finden sie es auch nicht länger lustig, daß Ingrid Biedenkopf als einzige Ministerpräsidenten-Gattin über ein eigenes, vom Freistaat jährlich mit 300.000 Mark finanziertes Büro verfügt. Nach dem Auszug aus der Dienstvilla in der Schevenstraße wurde der 70jährigen kurz vor Weihnachten sogar ein neues Bürgerbüro in bester Lage in der Dresdner Innenstadt mietfrei zur Verfügung gestellt.

Sonderbehandlung einzufordern und dann noch so zu tun, als sei man ein Wohltäter, daß erinnert die Sachsen zu sehr an die Politiker der untergegangenen DDR. Geschickt gab die Kamenzer CDU-Landrätin Andrea Fischer dem Volkszorn neue Nahrung, als sie eröffnete, Ingrid Biedenkopf habe auf einer Gewerbemesse in Kamenz Honig und Töpferwaren im Wert von 200 Mark erworben, aber nicht bezahlt. Die Händler hätten sich nicht getraut, daß Geld einzufordern und sich dann an die Landrätin gewandt, die die Rechnung übernahm.

Ein unappetitlicher Vorgang, der aber vielen CDU-Mitgliedern so typisch für das Gebaren der MinisterpräsidentenGattin erschien, daß keine Zweifel laut wurden, sondern er als „typisches Muster dafür“ interpretiert wurde, „wie Frau Biedenkopf aufgrund des Amtes ihres Mannes Geschenke und Vergünstigungen abpreßt“.

Biedenkopf ist selbst bei den Dresdnern unten durch, die ihm und seiner Gattin lange Zeit all die kleinen Allüren geduldig nachsahen. Die Landeshauptstadt jubelte gemeinsam mit 14 Millionen Fernsehzuschauern, als Thomas Gottschalk in „Wetten daß ...?“ über den abwesenden Ministerpräsidenten witzelte: „Es gab halt keine Freikarten mehr.“

Der Rücktritt Biedenkopfs wird inzwischen längst nicht mehr nur von der SPD- und PDS-Opposition gefordert. Selbst in den eigenen Reihen wächst die Zahl derjenigen, denen es überhaupt nicht egal ist, wenn ganz Deutschland über den sächsischen Ministerpräsidenten und den Rabatthandel der selbsternannten „Landesmutter“ spottet. Zwar konnte die CDU-Mittelstandsvereinigung noch rechtzeitig gestoppt werden, die Biedenkopf bereits Mitte Dezember zur Aufgabe des Amtes auffordern wollte, aber ausgerechnet Sachsens CDU-Generalsekretär Hermann Winkler setzte mit den Worten „Ich habe keine Lust, im Bundestagswahlkampf über Ikea-Rabatte zu diskutieren, statt über gescheiterte rot-grüne Politik“ nach und drängte auf eine schnelle Bereinigung des Problems. Auch Winkler wurde wiederum zurückgepfiffen. Dem Vernehmen nach von Georg Milbradt, der alles verhindern wollte, um in den Geruch des Königsmörders zu geraten, aber inzwischen fordern auch andere ein Ende der Ära Biedenkopf. Der Ministerpräsident müsse Konsequenzen ziehen, „bevor er sein eigenes Monument zerstört“, meldete sich der frühere CDU-Bundesvize und ehemalige sächsische Innenminister Heinz Eggert im ARD-Morgenmagazin zu Wort. In die gleiche Kerbe schlagen Ex-Justizminister Steffen Heitmann sowie die CDU-Abgeordneten Veronika Bellmann und Volker Schimpff.

Biedenkopf selbst mußte vor dem Landtag Stellung beziehen. Das Thema der aktuellen Stunde lautete: „Der Ministerpräsident und die Wahrheit“. Zwar wies der 71jährige Vorwürfe der Opposition zurück, er habe den Landtag belogen, Ruhe vor unbequemen Fragen hat er damit aber noch nicht. Am 10. Januar muß das Ehepaar Biedenkopf gemeinsam vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuß aussagen. Von der CDU-Fraktion vorgetragene rechtliche Bedenken gegen eine Vorladung der Premiersgattin hatte Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) zurückgewiesen.

Frau Biedenkopf soll zu dem Vorwurf Stellung nehmen, sie habe von dem Bauprojekt eines befreundeten Investors profitiert. Biedenkopf soll seinerzeit Landesbehörden gezwungen haben, in einen von dem Unternehmer Heinz Barth errichteten Bürokomplex in Leipzig-Paunsdorf einzuziehen. Dem Freistaat sei durch überhöhte Mietforderungen ein Schaden in dreistelliger Millionenhöhe entstanden, vermutet die Opposition.

Unruhige Zeiten brechen aber auch für die Männerriege um Biedenkopf an. Denn ein Ministerpräsident Georg Milbradt dürfte auch den längst fälligen Generationswechsel im Kabinett vollziehen. Dann dürften drei bis vier Minister ihren Hut nehmen.


 
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