© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/02 04. Januar 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Gewissensfrage
Karl Heinzen

Die Bewohner Deutschlands können das neue Jahr entspannt angehen. Ihre vorübergehende Irritation, die Weltpolitik würde ihr Leben womöglich in einer unangemessenen Weise beeinflussen, hat sich längst wieder verflüchtigt. Die geschichtsphilosophischen Wunschphantasien von Abenteuerschriftstellern in den Zeitungsredaktionen und Entschlossenguckern auf den Bildschirmen waren bloß ein Strohfeuer, das niemanden mehr erschreckt. Nach dem Schock des 11. September und all den Tränen, die ob seiner vergossen wurden (und in denen die der Freude über die eigene Sensibi­lität schon fast unterzugehen drohten), sind die Menschen nun so gescheit, das diffuse Leiden in der Ferne nur so nahe an sich herantreten zu lassen, daß es ihren Gefühlshaushalt bereichern kann. Es ist gut, daß etwas geschieht, um unser aller Leben sicherer zu machen. Warum sind so viele Erdenbürger bloß so unvernünftig, als Unschuldige den Kopf für andere hinzuhalten? Wo sie doch eigentlich nichts zu verlieren hätten? Hand aufs Herz (übrigens eine schöne Geste, die sich bei uns beim Mitsummen der amerikanischen Hymne sicher bald durchsetzen wird): Wer hätte anfangs zu hoffen gewagt, daß der Kampf gegen den Terrorismus einen so beschwingten Verlauf nehmen würde - und so schnell zu einem positiven Zwischenergebnis geführt werden könnte? Da braucht einem um die Fortsetzung nicht bange zu werden, und wir sollten es daher begrüßen, wenn unsere Verbündeten den Elan mit ins neue Jahr nehmen und, wo sie sowieso schon einmal in der Region sind, regeln, was dort sonst noch alles zu regeln sein könnte.

Auf der richtigen Seite lassen sich Kriege am Anfang des 21.Jahrhunderts wieder angenehm führen. Die Voraus­setzung bleibt allerdings, daß man es mit deutlich unterlegenen Gegnern zu tun hat. Solche zu erkennen, ist Aufgabe einer Führungsmacht, die diesem Anspruch gerecht werden will. Hier haben die Amerikaner nach Vietnam eigentlich keinen Grund zur Klage mehr gegeben.

Auch die deutsche Politik befindet sich in Wahrnehmung ihrer Aufgabe, zwischen dem zu vermitteln, was sein muß, und jenem, was die Einwohner wollen könnten, in einer komfortablen Rolle: Das Kriegskalkül muß außer finanziellen Opfern, die man ansonsten für andere Zwecke eher erbringen würde, kaum weitere eigene berücksichtigen. Die Frage der Beteiligung an einem bewaffneten Konflikt berührt einzig und allein das Sein oder Nicht-Sein von anderen, angesichts des Hasses, zu dem diese fähig sind, muß man sogar sagen, von ganz anderen, denen gegenüber unser Gemeinwesen, solange sie nicht als Flüchtlinge bei uns leben, nicht in der Pflicht steht. Unter diesen Bedingungen ist es legitim, den Krieg als eine Gewissensentscheidung der zu seiner Erklärung berechtigten Politiker zu betrachten und ihn nicht dem Gutdünken einer nicht weiter involvierten Bevölkerung zu überlassen. Ihr Veto wäre aber nicht zu befürchten. Erfolgreiche Kriege haben nichts an ihrer Faszination verloren.


 
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