© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/02 04. Januar 2002

 
PRO&CONTRA
Ganztageskindergärten verpflichtend einführen?
Klaus Kessler / Hedwig von Beverfoerde

Zur Klarstellung der Situation im Saarland: Zur Zeit gibt es im Saarland keine Kindergartenverpflichtung und auch keine flächendeckenden Ganztageskindergärten. Allerdings ist im Saarland der Besuch des Kindergartens im dritten Kindergartenjahr gebührenfrei. Im Zuge der Diskussion um das schlechte Abschneiden deutscher Schüler im internationalen Vergleich hat der Kultusminister die Überlegung angestellt, das dritte Kindergartenjahr verpflichtend zu machen, keine konkreten Vorschläge gibt es bislang zum Ganztageskindergarten.

Die GEW im Saarland befürwortet die Einrichtung von Ganztageskindergärten ebenso wie die Kindergartenverpflichtung im dritten Jahr. Wir stehen für eine ganzheitliche Bildung, die alle Bildungseinrichtungen vom Kindergarten über die Schule bis zur Hochschule umfaßt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wird in Deutschland die Zeit vor der Einschulung zu wenig als Bildungszeit genutzt. Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund können hierdurch intensiver und frühzeitiger gefördert werden, dies gilt vor allem für die Förderung der Sprachkompetenz. Nachweislich ist die Beherrschung der deutschen Sprache eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Der Kindergartenbesuch muß aber gekoppelt sein an entsprechende Qualitätsanforderungen sowie an die Gebührenfreiheit, schließlich ist das Schulgeld ja auch abgeschafft. Zum Vergleich der Kindergartenerziehung mit alten DDR-Zeiten ist zu sagen, daß es ein Fehler war, die dort gut funktionierenden Kindertagesstättenstrukturen zu zerschlagen. Es war eben nicht alles schlecht. Heute versuchen wir mühsam wieder etwas Ähnliches aufzubauen. Der verpflichtende Besuch des Kindergartens stellt keine Bevormundung des Bürgers dar, wenn der Kindergarten als qualitätsvolle, frühkindliche Bildungseinrichtung für alle anerkannt ist. Die Schulpflicht wird ebensowenig als Bevormundung angesehen.

 

Klaus Kessler ist seit 1992 Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) des Saarlandes.

 

 

Nachdem bereits Sachsen-Anhalt jüngst die Schulpflicht auf reine Kinderbetreuungszeiten in der Grundschule ausgeweitet hat (mehrere Verfassungsbeschwerden sind anhängig), würde mit dem staatlichen Zugriff auf die noch jüngeren Kinder im Vorschulalter in Form von Pflichtbesuch einer Kindertagesstätte endgültig der Schritt zurück zu totalitärem Gebaren à la DDR vollzogen. Margot Honnecker läßt grüßen! Mit unserem Grundgesetz ist Kindergartenzwang - so scheinbar vernünftige und einsichtige Gründe (frühzeitige Integration von Ausländerkindern, Pisa-Studie, etc.) sich dafür auch finden lassen mögen - jedenfalls nicht zu vereinbaren. Mit gutem Grund: Die freiheitliche Grundordnung in Deutschland fußt in ihrem Wesen auf der Familie als kleinster Zelle. Die Primärsozialisation des Kindes findet in der Familie bei Eltern und Geschwistern statt, ob es uns paßt oder nicht. Angesichts der Bedeutung von Familie wäre es konsequent, wenn selbsterziehenden Müttern/Vätern, die in der Erwerbstätigkeit und im Geldverdienen nicht den letzten Sinn des Lebens erkennen, höchste Anerkennung und Unterstützung durch Staat und Gesellschaft zuteil würde. Weit gefehlt! Statt dessen wird derzeit die Entmündigung von Eltern durch eine unheilige Allianz von Politikern aller couleur, von Ideologen und kurzfristig denkenden Realos, von Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaften munter vorangetrieben.

Der Trend, beruflich Karriere zu machen, wird allerorten gefördert, Kindererziehen geoutet, außer man tut es mit staatlichem Pädagogikdiplom. Die Bedürfnisse von Kindern, z.B nach elterlicher Zuwendung und Förderung, haben sich dabei gefälligst dem gesellschaftlichen „Wertewandel“ anzupassen, die Kleinen sich möglichst früh der staatlichen Fürsorge anzuvertrauen. Kritische Eltern müssen notfalls zum „Glück“ ihrer Kinder gezwungen werden. Die Staatsgläubigkeit der Deutschen nach zwei Diktaturen scheint ungebrochen!

 

Hedwig von Beverfoerde ist Sprecherin der Bürgerbewegung „ABC schützen!“ in Sachsen-Anhalt.


 
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