© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001

 
Berlin zwischen Geduld und Skepsis
Parteien: Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und PDS in der Hauptstadt kommen zügig voran / Senatswahl soll im Januar stattfinden
Ronald Gläser

Es ist die große Stunde des Peter Strieder. Er ist der Wortführer der Berliner Sozialdemokraten. In dieser Funktion sorgt er seit einigen Tagen für reibungslose Verhandlungen mit der SED-Nachfolgeorganisation. Bislang haben die konferierenden Genossen aus SPD und PDS alle inhaltlichen Mauern eingerissen. Nichts scheint der rot-roten Koalition noch im Wege zu stehen.

Damit bestätigt sich, was nach dem unerwarteten Ende der Ampel-Gespräche ohnehin kaum noch zu verbergen war. Die SPD-Führung wollte von Anfang an das Bündnis mit der PDS. Nur der Druck aus dem Kanzleramt verpflichtete die Hauptstadtgenossen zu halbherzigen Verhandlungen mit FDP und Grünen. Doch schon hier dominierte der ehrgeizige Senator Peter Strieder die sozialdemokratische Delegation. Klaus Wowereit ergriff nur selten das Wort. Ihm wird nachgesagt, Angst vor einem Senator Gysi zu haben, der ihm die Show stehlen könnte.

Im einzelnen haben die Koalitionäre Übereinstimmung in Bereichen gefunden, in denen das ohnehin zu erwarten war. Die innerstädtischen Flughäfen sollen geschlossen werden. Dafür soll ein neuer Großflughafen Steuermilliarden in die Stadt und ihr Umland pumpen.

Die Steuererhöhungen, die die FDP zum Abbrechen der Verhandlungen veranlaßt haben, dürften von der PDS begrüßt werden. Eine Olympiabewerbung Berlins ist vorerst vom Tisch. Die Chancen dafür wären nach der verpatzten Kandidatur für das Jahr 2000 ohnehin gering gewesen. Dafür wird die Länderfusion mit Brandenburg wieder in Anlauf genommen werden, der sich die PDS 1996 widersetzt hatte.

Im Bereich der inneren Sicherheit stehen fundamentale Umwälzungen an. Strukturveränderungen nennen die Koalitionspartner in spe dies. Das Thema Bürgerrechte habe zu Wochenbeginn auf der Tagesordnung gestanden, hieß es aus den Verhandlungsrunden. Es steht zu befürchten, daß unter dieser Formel die Bevorzugung gesellschaftlicher Randgruppen kaschiert werden soll.

Die Dienste der kostengünstigen Helfer der Polizei, die Freiwillige Polizeireserve, werden wohl nicht mehr in Anspruch genommen. Der Verfassungsschutz soll angeblich die Beobachtung der Kommunistischen Plattform in der PDS beenden. Dafür soll es neue mobile Einsatzteams für die Bekämpfung des vermeintlichen Rechtsradikalismus geben.

Jenseits programmatischer Details wird die neue rot-rote Harmonie in der ehemaligen Mauerstadt mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen. Die Grenze zwischen Ablehnung und Billigung des Volksfrontbündnisses zieht sich durch alle Lager. Aufgeschlossen stehen der neuen Regierung sogar Vertreter aus dem Unionslager gegenüber. Alt-Bundespräsident Richard von Weizäcker nannte ihr Zustandekommen „demokratisch ehrlich“. Eine ganz andere Motivation dürfte Edmund Stoiber haben, der die Konzessionen gegenüber der PDS als Wahlkampfthema benutzen möchte.

Unerwartet aufgeschlossen zeigen sich auch Teile der Wirtschaft. Ex-Daimler-Boß Edzard Reuter mahnte die Unternehmen zur Gelassenheit. Sein Vater hatte der Stadt als Regierender Bürgermeister gedient, als die Sowjets die Westhälfte mit der Blockade überzogen hatten. Auch die Daimler-Chrysler-Niederlassung in Berlin reagiert „mit Gelassenheit“ auf die Senatsbildung.

Naivität oder Anbiederung veranlaßt vor allem lokale Lobby- oder Firmenvertreter zu positiven Stellungnahmen. Für den Einzelhandelsverband erklärte dessen Geschäftsführer, ein Urteil könne er sich erst nach dem Abschluß eines Koalitionsvertrages bilden. Hanns Peter Nerger, der Chef der Berlin Tourismus Marketing Gesellschaft, teilt diese Zuversicht. Er hofft auf die richtigen „politischen Akzente“ des SPD/PDS-Senats. Dieser Standpunkt überrascht nicht, da sein „Unternehmen“ vom Land Berlin mit 5,5 Millionen Mark jährlich subventioniert wird.

Die Unternehmensverbände von Berlin und Brandenburg sehen dagegen die Marktwirtschaft in Gefahr und ausländische Investoren abgeschreckt. Für den Siemens-Chef Gero von Brandenstein ist die Machtergreifung der „Partei, die die Mauer gebaut hat, keine gute Entscheidung“. Der Präsident der Handwerkskammer, Hand-Dieter Blaese, befürchtet eine Drangsalierung kleinerer Unternehmen durch neue Steuern und Vorschriften.

Kritik kommt auch aus der SPD selbst. In westdeutschen Landesverbänden wird unverhohlen Kritik am Verhalten der Parteifreunde in Berlin geäußert. Und selbst in der Berliner SPD gibt es Vorbehalte. Die amtierende Wirtschaftssenatorin, Juliane Freifrau von Friesen, bangt um amerikanische und kanadische Investoren, für die die Kommunisten ein „Schreckgespenst“ seien. Ängste um den Verlust ihres Ressorts dürften hier auch eine Rolle gespielt haben, da Gregor Gysi sein Interesse am Wirtschaftsressort bekräftigt hat.

Erfahrungsgemäß verläuft die wirtschaftliche Situation in Ländern mit PDS-Regierungsbeteiligung eher schleppend. Andererseits steht den Sozialisten ihre Anti-Globalisierungsrhetorik nicht im Wege. Mit Großkonzernen finden sie meist einen modus vivendi. Das erklärt beispielsweise den Respekt, den die Daimler-Vertreter den Post-Kommunisten entgegenbringen. So erklärt der Sprecher der Mercedes-Niederlassung im Ostbezirk Marzahn, Joachim Ackermann, die parteipolitische Neutralität seines Unternehmens. Für Mercedes sei es egal, „wer im Rathaus sitzt“. Hinzu kommt, daß die Berliner Wirtschaft seit Jahrzehnten am Tropf staatlicher Subventionierung hängt. Woher die Mittel für die Aufrechterhaltung eines antiquierten Industriestandortes kommen, spielt dabei keine Rolle.


 
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