© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001

 
Alle jammern, nichts ändert sich
PISA: Hektische Erklärungen nach den schlechten Ergebnissen der Bildungs-Studie
Alexander Barti

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) führt regelmäßig Untersuchungen durch, um ihren Mitgliedsstaaten „vergleichende Daten über die Ressourcenausstattung, individuelle Nutzung sowie Funktions- und Leistungsfähigkeit ihrer Bildungssysteme zur Verfügung zu stellen“. Das „Programme for International Student Assessment“ (PISA) ist eine solche Untersuchung. Sie wurde im Jahr 2000 durchgeführt. Je nach Größe des Landes - 32 Länder nahmen teil - wurden 4.500 bis 10.000 Schüler je Teilnehmerstaat geprüft. Im Visier der Untersuchung standen die 15jährigen Schüler (in Deutschland wurde die 9. Jahrgangsstufe gewählt), weil in den OECD-Ländern diese Altersklasse noch der Vollzeitschulpflicht unterliegt.

Durch PISA sollten nicht nur die „Fähigkeiten und Kenntnisse“ der Schüler erfaßt werden, sondern man hoffte auch Indikatoren zu finden, „mit denen ein Zusammenhang zwischen den Ergebnissen und Merkmalen von Jugendlichen und Schulen hergestellt“ werden kann. Des weiteren erhoffte man sich „Trendindikatoren“, die etwaige Veränderungen im Zeitverlauf aufzeigen. Die PISA-Studie ist eine Langzeituntersuchung, die innerhalb von sechs Jahren drei Erhebungen durchführen soll. Dabei werden jedesmal Schwerpunkte gesetzt, denen dann zwei Drittel der Testzeit zugeteilt sind. Dadurch erhofft man sich in dem jeweiligen Testschwerpunkt gründlichere und differenziertere Ergebnisse. Im Jahr 2000, also in der jetzt vorliegenden Studie, war die Lesekompetenz (Reading Literacy) der Hauptbereich. 2003 steht die mathematische Grundbildung (Mathematical Literacy) auf dem Prüfstand und 2006 soll die naturwissenschaftliche Grundbildung (Scientific Literacy) im Mittelpunkt der Erhebung stehen. Außerdem wurden die fächerübergreifenden Kompetenzen (Cross-Curricular Competencies) abgefragt. Von der Lesekompetenz abgesehen, die man auch als wichtigste Basiskompetenz bezeichnet, rechnet man zudem „Merkmale selbstregulierten Lernens und Vertrautheit mit Computern“ zu den fächerübergreifenden Fähigkeiten. Die Prüflinge mußten in einer zweistündigen Sitzung einen Ankreuztest (Multiple-Choice) ausfüllen und selbstformulierte Antworten auf weitere Fragen verfassen. Die Aufgaben waren in Gruppen gebündelt, die „sich jeweils auf eine Beschreibung einer realitätsnahen Situation“ bezogen. Außerdem mußten die Prüflinge noch in 20 bis 30 Minuten einen „Schülerfragebogen“ ausfüllen, in dem sie Auskunft über sich selbst, bzw. ihr soziales Umfeld gaben. Die Schulleiter wurden gebeten, in etwa 30 Minuten einen Fragebogen über ihre jeweilige Lehranstalt zu beantworten.

.Die Schüler strengten sich mehr an, als bei einer Klausur

Zweifel, ob sich deutsche Schüler bei Tests, die ihnen für das schulische Fortkommen nichts bringen, anstrengen werden, wurden mit verschiedenen Tests ausgeräumt. 28 Prozent der Prüflinge strengten sich sogar mehr an, als bei einer gewöhnlichen Klassenarbeit.

Für PISA bedeutet „Lesekompetenz“, die Informationen aus einem Text ermitteln, Textbezogenes interpretieren, und das Erfaßte reflektieren und bewerten zu können. Die Leistungen wurden in fünf Stufen gegliedert. Bei dem Vergleich mit anderen Staaten fällt auf, daß die Leistungsstreuung hierzulande am größten ist. Besonders erschreckend: Fast 23 Prozent der Jugendlichen können nur auf dem elementarsten Niveau (Stufe 1) lesen. Von dieser Gruppe werden nur einfachste Textinhalte verstanden - die Grenze zum strukturellen Analphabetentum verschwimmt. Immerhin neun Prozent können in der Spitzengruppe (Stufe 5) mithalten, aber das ist noch immer unter dem Mittelwert der OECD-Länder. 42 Prozent der geprüften deutschen 15jährigen gaben an, „nicht zum Vergnügen“ zu lesen. Auch das ist ein einsamer Spitzenwert, gefolgt von Österreich, Schweden und der Schweiz. Insgesamt erreichte Deutschland in der Katerogie „Lesekompetenz“ den 21. Platz. An der Spitze steht Finnland, gefolgt von Kanada, Neuseeland und Australien.

Kaum besser sieht es bei der mathematischen Grundbildung aus, wo Deutschland den 20. Platz belegt. Gefragt wurde in diesem Bereich, der ebenfalls in fünf Kompetenzstufen unterteilt ist, nach der Fähigkeit, „die Rolle, die die Mathematik in der Welt spielt, zu erkennen und zu verstehen.“ Der Prüfling sollte in der Lage sein, „begründete, mathematische Urteile abzugeben und sich auf eine Weise mit der Mathematik zu befassen, die den Anforderungen des gegenwärtigen und künftigen Lebens einer Person als konstruktiven und reflektierenden Bürger entspricht.“ Abgeprüft wurde durch Textaufgaben, bzw. durch komplexe Anwendungsprobleme (Rechnerische Modellierungsaufgaben) und durch die Entwicklung von „umfassenden Strategien“ (Begriffliche Modellierungsaufgaben). Interessanterweise sind die Vereinigten Staaten in diesem Bereich mit dem 19. Platz kaum besser als Deutschland. Auf Platz eins befindet sich Japan, gefolgt von Korea, Neuseeland und Finnland. Das Spitzenniveau der ersten sechs Staaten erreichen tröstliche 35 Prozent der getesteten deutschen Jugendlichen.

Mit Korea und Japan stehen die Asiaten an der Spitze

Gleichfalls Platz 20 belegt Deutschland bei der naturwissenschaftlichen Grundbildung. Im Rahmen von PISA prüfte man naturwissenschaftliche Prozesse und Konzepte und deren Anwendungsbreiche. Besonders „die Relevanz für alltägliche Situationen und die Anschlußfähigkeit für nachfolgendes Lernen“ hatten die Prüflinge zu beweisen. An der Spitze wieder die Asiaten mit Korea und Japan, gefolgt von Finnland, dem Vereinigten Königreich und Kanada. Wie auch bei der Lesekompetenz sind in deutschen Schulen besonders viele Schüler schlecht.

Nachdem die Fakten feststehen und nicht geleugnet werden können, stellt man mit etwas Verwunderung fest, daß alle Bildungspolitiker „schon immer gewußt“ haben von der deutschen Schulmisere. Gleich am 6. Dezember verkündete die Kultusministerkonferenz (KMK) eine erste Einschätzung, inklusive eines Sieben-Punkte-Katalogs: Verbessert werden sollen Sprachkompetenzen im vorschulischen Bereich, die Grundschulen, die Unterrichtsqualität müsse „weiterentwickelt und gesichert“, Kinder, besonders mit „Migrationshintergrund“, sollten gefördert werden. Kaum besser lauten die Verlautbarungen von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD). Auch sie will alles „verbessern“ und „dafür mehr Geld ausgeben“. Praktisch liest jedermann aus der 50seitigen Vorabveröffentlichung der Studie heraus, was ihm gerade paßt. Geradezu aberwitzig erscheint der Vorwurf eines Großteils der deutschen Bildungspolitiker, PISA habe die „soziale Ungerechtigkeit“ des deutschen Schulsystems aufgedeckt. Ein Blick auf die Tabellen zeigt deutlich, daß Länder mit extremer Bildungsselektion, etwa England oder die USA, trotzdem besser abgeschnitten haben. Kaum verständlicher scheint der hilflose Vorschlag von der KMK-Vorsitzenden Annette Schavan (CDU), der Unterricht müsse „kreativer“ sein. Beispielhaft empfiehlt man die unvermeidlichen „Workshops“, in denen man mit „Lust und Laune“ Gedichte schreiben und sich Geschichten erzählen müsse. Aber dann sprechen die Betroffenen auch immer wieder von den Problemen mit „Migrationshintergrund“ und über zerrüttete Familienverhältnisse, die besonders in den Ballungsgebieten zusehends eine soziale Atombombe darstellen. Wie dieses Gefahrenpotential von rund einem Viertel der Gesellschaft entschärft werden soll, wissen die wenigsten - oder wagen keinen Klartext.

Die PISA-Studie hat gezeigt, daß man in Deutschland eine geradezu aggressive Integrationspolitk betreiben müßte, wollte man den Bildungskollaps vermeiden. Mit strengster Deutsch-Paukerei, nicht nur bei Ausländerkindern, und am besten schon im Vorschulalter. Aber weil diese „Germanisierungspolitik“ in Zeiten dogmatischer Multikulti-Ideologie in keiner Weise durchsetzbar ist, werden alle weiterwursteln wie bisher. Geopfert wird die nachwachsende Generation.

 

Die Studie „PISA 2000“ erscheint in Buchform mit 548 Seiten am 17. Dezember im Verlag Leske und Budrich, Leverkusen, und kostet 49,80 Mark.


 
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