© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   51/01 14. Dezember 2001


Räumt die Schulen auf!
Der Niedergang des deutschen Bildungssystems ist jetzt offenkundig
Bernd-Thomas Ramb

Sage keiner der Bildungspolitiker in Bund, Land und Kommunen, die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie des PISA (Programme for International Student Assessment) zum Bildungsniveau 15jähriger Schüler kämen für ihn überraschend: Deutschland auf Platz 25 von 32 getesteten Ländern. Nicht nur durch vorausgegangene andere Tests, sondern vor allem durch die unmittelbare Beobachtung des Schulalltags sind allen Menschen mit gesundem bildungspolitischen Durchschnittsverstand die Leistungsmängel schon seit langer Zeit deutlich. Dabei treten die Defizite nicht nur bei den Jugendlichen zutage, sie setzen sich bis in den Altersbereich der Lehrlinge und Studenten fort. Den Lehrlingen bescheinigen die Ausbildungsbetriebe des Handwerks und der Deutsche Industrie- und Handelstag schwerwiegende Lücken im Rechnen, Schreiben und Lesen, über die schlecht vorgebildeten Studenten klagen die Hochschulen und die händeringend Akademiker suchenden Produktions- und Dienstleistungsfirmen.

Das im internationalen Vergleich äußerst schlechte Abschneiden der Schüler an deutschen Schulen ist durch eine Vielzahl ungünstiger und fatal wirkender Tatbestände und Entwicklungen hervorgerufen. Schuldig sind dabei nicht nur die Schüler oder deren Lehrer, sondern auch die Schulverwaltungen, die Bildungspolitiker und nicht zuletzt die Eltern. Zwei Hauptursachen stehen allerdings deutlich im Vordergrund. Zum einen ist es die in den letzten Jahrzehnten zunehmend gepflegte Philosophie der Spaßgesellschaft. So muß heute auch der Unterricht auf jeden Fall Spaß machen, oder zumindest „kreativ“ sein. Die Hauptaufgabe der Schule ist jedoch nicht die Unterhaltung, sondern die Vorbereitung auf den Ernst des Lebens. Das klingt altmodisch, ist aber eine unabdingbare Notwendigkeit.

Der Spaßvirus hat allerdings nicht nur die Schüler befallen. Auch zahlreiche Erwachsene pochen mehr und mehr auf eine Art Grundrecht auf Annehmlichkeit, dessen Verletzung zum allgemeinen Lamento führt - und zur Schuldzuweisung an Dritte, vornehmlich an den Staat. Schule sollte sicherlich interessant und spannend, muß aber nicht unbedingt und vor allem spaßig sein - zumal sich die Späße wiederholen und langweilig werden. Die Schüler aber gestalten mit dieser falschen Prägung häufig auch ihre Freizeit und schließlich ihre primäre Lebenseinstellung. Wenn dann glücklich jeder sein Abitur hat, amüsieren sich die Professoren über die hohe Zahl von Studienabbrechern und finden die Seminararbeiten witzig, die über das stilistische Niveau von Werbespots nicht hinausreichen. Hauptsache, es hat Spaß gemacht!

Eine zweite Hauptursache ist der hohe Anteil an Schülern, die nicht vollständig der deutschen Sprache mächtig sind. Dies Thema anzusprechen, bewirkt in der Regel das sofortige Abwürgen mittels der Keule der unterstellten Fremdenfeindlichkeit. In der Sache hilft diese Vogel-Strauß-Politik nicht weiter. Die Regierenden Deutschlands haben sich nun einmal für eine zunehmend multikulturelle Gesellschaft entschieden und sollten ehrlicherweise jetzt auch bereit sein, dafür die Kosten zu tragen. Zu diesen Kosten gehört ein differenziertes, den einzelnen Schüler optimal förderndes und forderndes Bildungssystem. Der Forderungsanteil kann allerdings nicht ohne ein ordentliches Elternhaus aufgebaut werden. Hier werden die Grundlagen der Leistungsfähigkeit und der Belastbarkeit der Schüler gelegt. Der schulische Bildungsanteil wiederum, egal in welcher Belastungsart und -intensität, basiert unabdingbar auf dem Verständnis der deutschen Sprache. Die Frage ist nun, wer für die Vermittlung der deutschen Sprache zuständig ist. Die Schule kann nur zum Teil die eigene Unterrichtssprache lehren. Gerade in jungen Jahren ist daher die Sprachbildung entscheidend, die im Elternhaus genossen wird. Das gilt nicht nur für Ausländerkinder mit einer anderen Muttersprache als deutsch, sondern auch für den Sprachumfang der Kinder mit deutscher Muttersprache.

In Bundesländern, in denen die 68er Eskapaden der Bildungsreform in Form von Gesamtschulen flächendeckend um sich gegriffen haben, entwickelt eine dritte fatale Ursache ihre Wirkung. Als ebenso hartnäckiger, wie populärer Irrtum stellt sich immer mehr die Mär von den sozialen Wohltaten des Gesamtschulkonzepts heraus. Dabei ist der Fehlschlag des Gesamtschulkonzepts seit nahezu dreißig Jahren erwiesen, wenn dies auch damals noch nicht einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. Schon 1973 wurde das Projekt „Leistungsmessung in Gesamtschulen“ am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIIPF) mit dem Ergebnis abgeschlossen, daß das Gesamtschulkonzept nicht zur Leistungsintegration von Schülern aus sozial schwachen Schichten führt. „Chancengleichheit“ wurde damals noch in seiner ursprünglichen Bedeutung verstanden, als Chance, bei gleicher Leistung gleich gefördert zu werden. Das System der Gesamtschule kann dies eindeutig nicht bieten. Die Nivellierung des Schulsystems hilft den Schülern aus sozial benachteiligten Schichten nicht weiter, die Egalisierung führt nicht zur Chancengleichheit und auch nicht zur sozialen Integration. Die leistungsstärkeren Schüler können die Nachteile des Gesamtschulsystems teilweise kompensieren, allerdings mit steigendem Aufwand und nur solange der Bildungsvorsprung im Elternhaus anhält. Gleichwohl gibt es nach wie vor bildungspolitische Kräfte, die das Gesamtschulkonzept trotzdem weiterhin flächendeckend fordern. Sie sehen sich durch die PISA-Studie bestätigt und hoffen auf einen späten Sieg der nivellierenden Bildungseinrichtungen.

Wie, oder besser durch wen, kann nun aus dieser Bildungsmisere herausgeholfen werden? Schüler neigen in der Regel zur Bequemlichkeit und die meisten der Lehrer, insbesondere der neueren Provenienz, auch. Auf ihre Eigeninitiative zu hoffen, wäre vermessen. Den Politikern kann mit einer gewissen politökonomischen Rationalität unterstellt werden, daß ihnen das niedrige, intellektuelle Niveau künftiger Wähler durchaus entgegenkommt. Lassen sich doch auf Brot und Spiele fixierte, ungebildete Wahlvölker mit dem nun nachgewiesenen geringen Vermögen, Zusammenhänge zu durchschauen, doch leichter manipulieren als aufgeklärte Bürger. Die für die Produktion der Minimalversorgung notwendigen Intelligenzleistungen ließen sich auf die besser ausgebildeten ausländischen Zuwanderer übertragen. Letzte Hoffnung kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt daher nur der Initiative der betroffenen Eltern entspringen. Sie dürfen sich die Verwarlosung ihrer Spösslinge nicht gefallen lassen. Wenn die Eltern allerdings auch schon bildungsgeschädigt sind, wird es duster.


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