© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
Aristokrat mit bohemehaftem Charme
Eine Bildbiographie zum hundertsten Geburtstag des Schriftstellers Ödön von Horváth
Werner Olles

Ödön von Horváths tiefer Blick in die Abgründe menschlicher Emotionen ist zeitlos. Die Auseinandersetzung mit den Werken des vor hundert Jahren geborenen Schriftstellers, der nur 37 Jahre alt wurde, ist so intensiv wie nie zuvor. Die von dem Literaturhistoriker Heinz Lunzer, der Kunst- und Kulturhistorikerin Victoria Lunzer-Talos und der Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Tworek anläßlich seines 100.Geburtstages vorgelegte Bildbiographie mit zahlreichen bisher unbekannten Fotografien und Dokumenten, mit Zitaten und ausführlichen Kommentaren eröffnet einen eindrucksvollen Zugang zu Leben und Werk dieses faszinierenden Dramatikers und Romanciers zwischen den Weltkriegen, dessen Werke noch heute an vielen Bühnen aufgeführt werden.

Edmund Josip (Ödön) Horváth wurde am 9. Dezember 1901 in eine großbürgerliche Beamtenfamilie der österreichisch-ungarischen Monarchie hineingeboren. Ein Jahr später verließ die Familie Susak, einen Vorort von Fiume, die Geburtsstadt Horváths, und übersiedelte zunächst nach Belgrad und später nach Budapest. Nach dem Besuch des dortigen Rákóczy-Gymnasiums folgte Ödön seinen Eltern nach München, wohin der Vater versetzt worden war. Hier studierte er Philosophie und Germanistik, schloß seine Studien jedoch nicht ab. Die Eltern begleiteten den Wunsch des Sohnes, Schriftsteller zu werden, mit freundlichem Wohlwollen und unterstützten ihn, so daß seiner künftigen Laufbahn keinerlei Hindernisse im Wege standen.

Horváth hielt sich jetzt abwechselnd im Landhaus der Familie in Murnau, in München und in Berlin auf. Er schrieb „Sportmärchen“, ein Stück über den Bau der Seilbahn auf die Zugspitze und die Komödie „Zur schönen Aussicht“. In der „Deutschen Liga für Menschenrechte“ beteiligte er sich an Recherchen für ein Buch, das die Fememorde der Freikorps, der „Schwarzen Reichswehr“ und anderer illegaler Vereinigungen der äußersten Rechten thematisierte. Sie wurden später der Hintergrund für sein Stück „Sladek“, das er in zwei Varianten ausarbeitete. 1930 erschien der Roman „Der ewige Spießer“, ein Jahr später das Volksstück „Die italienische Nacht“. Am 2. November 1931 wurden in Berlin die „Geschichten aus dem Wienerwald“ uraufgeführt. Horváth schildert darin den verzweifelten Ausbruchsversuch einer jungen Frau aus ihrer kleinbürgerlichen Umgebung; die Szenen sind durch Ortsangaben und sprachliche Eigenheiten in Wien und Umgebung situiert. Teile des Publikums und die Wiener Presse empörten sich über die drastische Schilderung des kleinbürgerlich-proletarischen Milieus und über den Desillusionismus, der den Zuschauer treffen sollte. Im November 1932 wird in Leipzig das Volksstück „Kasimir und Karoline“ uraufgeführt.

Im Rahmen der nationalsozialistischen Kulturpolitik zwingen die neuen Machthaber den Intendanten Heinz Hilpert 1933, die angekündigte Inszenierung von Horváths „Glaube, Liebe, Hoffnung“ abzusagen. Auch in diesem Stück erscheint der Mensch als im Grunde böse, beherrscht von Egoismus, Wirtschaftsdenken und Lüge. Die Erotik ist reduziert auf grob Triebhaftes. Zudem schreckte der Dichter auch nicht davor zurück, die Wirkung der Diktatur auf den Einzelnen zu zeigen.

Ein Jahr später rechtfertigte sich der Schriftsteller bei den nationalsozialistischen Behörden als Nicht-Gegner des Dritten Reiches und wurde in den „Reichsverband Deutscher Schriftssteller“ aufgenommen. Noch im gleichen Jahr wurde in Zürich die Posse „Hin und Her“, ein Stück um die Zu- und Aberkennung von Heimatrechten, uraufgeführt. Im Herbst 1935 übersiedelte Horváth nach Wien und wurde daraufhin in Murnau als flüchtiger Kommunist gemeldet. Während eines Besuchs bei seinen Eltern in Bayern forderte ihn die örtliche Gendarmerie auf, den Ort Possenhofen sofort zu verlassen. Rasch hintereinander schrieb er nun mehrere Romane. „Jugend ohne Gott“ erschien 1937 im niederländischen Exilverlag Allert de Lange. Im Dezember des gleichen Jahres wird in Wien das Stück „Himmelwärts“ uraufgeführt.

Am 13. März 1938 floh Horváth aus Österreich, in das am Tag zuvor deutsche Truppen eindrangen, nach Ungarn, wo er fast ein Jahr als Gast bei den Mäzenen Hatvany in Budapest weilte. Nach einem kurzen Aufenthalt bei der Schauspielerin Lydia Busch in Teplitz-Schönau reiste er über Zürich und Amsterdam nach Paris weiter. Am 1. Juni 1938 wurde er bei einem Spaziergang auf den Champs Elysées während eines schweren Gewitters von einem herabfallenden Ast erschlagen.

In Horváths Werken erinnern Ton und Blick oft an Johann Nestroy, doch herrscht kaum dessen Komik vor. Seine Zeitgenossen, zum Beispiel Carl Zuckmayer und Theodor Csokor, liebten den jungen Schriftsteller, der altösterreichische adlige Familie mit bohemehaftem Charme verband. Reich illustriert informiert das Buch über Horváths Biographie und seine Werke, deren Thematik durch umfassendes zeitgenössisches Material erläutert wird, und vermittelt, durch viele noch unbekannte Dokumenteunterstrichen, einen frischen Zugang zur Person dieses faszinierenden, oft verkannten und viel zu früh verstorbenen Schriftstellers. 

Heinz Lunzer, Victoria Lunzer-Talos, Elisabeth Tworek: Horváth. Einem Schriftsteller auf der Spur. Residenz Verlag, Salzburg 2001, 160 Seiten, 39,90 Mark


 
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