© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
Die getäuschte Öffentlichkeit
Terrorismus: Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem 11. September / Was verschweigen die US-amerikanischen Geheimdienste?
Michael Wiesberg

Wenn nicht alles täuscht, dann dreht sich derzeit der Wind in der Berichterstattung über den „Kreuzzug“ der „zivilisierten Welt“ gegen den Terrorismus. Mehr und mehr fließen kritische Töne ein, die vor Wochen noch undenkbar gewesen wären. So sprach Spiegel-Online am 29. November mit Blick auf die Drohgebärden der USA in Richtung Irak von den USA als „Hegemon in Washington“ und von den Engländern als dessen „Londoner US-Vasallen“. Deutliche Worte, die bisher im Spiegel und anderswo in dieser Form undenkbar erschienen.

In einem Kommentar für die aktuelle Spiegel-Ausgabe erinnert Rudolf Augstein an ein Massaker an gefangenen Taliban: „In Takhteh Pol nahe Kandahar richteten vorletzte Woche paschtunische Verbündete des Westens 160 Kriegsgefangene hin; nicht nur für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ein ‚Kriegsverbrechen’ ... Ist ein Anti-Amerikaner“, fragt Augstein, „wer das anprangert? Undankbar trotz der Carepakete nach dem Zweiten Weltkrieg und alles anderen Guten, was wir Deutschen den USA verdanken?“

Etwa zeitgleich sickerten Details über die blutig niedergeschlagene Revolte gefangener Taliban in Masar-i-Sharif durch. Während die Amerikaner bemüht sind, den bei diesem Aufstand umgekommenen CIA-Offizier Johnny Spann als „Helden“ zu inszenieren, verbreiten britische Journalisten eine ganz andere Version der Ereignisse. Sie beschuldigen Spann, den Aufstand mit seinem provokanten Verhalten gegenüber den Taliban überhaupt erst ausgelöst zu haben. 72 Stunden wurden die Kriegsgefangenen daraufhin von der US-Luftwaffe bombardiert. Der überlebende Rest wurde anschließend von den Soldaten der Nordallianz mit tatkräftiger Unterstützung amerikanischer und britischer Elitesoldaten niedergemacht. Spann soll nach den Aussagen von Oliver August, Korrespondent der Londoner Times, kaltblütig drei Gefangene während eines Verhörs erschossen haben. Anschließend hätten er und sein CIA-Kollege jedoch die Kontrolle über die Situation verloren. Die Kriegsgefangenen hätten Spann ergriffen und umgebracht. Das sei der Auslöser für die Meuterei gewesen, in dessen Verlauf es den Kriegsgefangenen gelungen sei, etliche Wächter der Nordallianz zu töten und ihnen die Waffen abzunehmen. Augusts Aussagen wurden von Justin Huggler, Korrespondent des Independent in Masar-i-Scharif, weitgehend bestätigt.

Wenig erfreulich für die „zivilisierte Welt“ dürfte wohl auch das Foto eines Soldaten der Nordallianz sein, das insbesondere in den englischen Medien verbreitet wurde. Auf diesem Foto bricht dieser Soldat mit einer langen Metallspitze einen Goldzahn aus dem Gebiß eines toten Taliban heraus.

Daß Spann der CIA angehörte, kann vor dem Hintergrund der trüben Rolle, die insbesondere dieser Geheimdienst im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. September spielt, nicht überraschen. Erstaunlich ist allerdings, daß über bestimmte Umgereimtheiten dieser Ereignisse so gut wie nicht berichtet wird. Deshalb kommt dem Interview, das die Zeitschrift Konkret (12/01) mit dem ehemaligen Bundesforschungsminister Andreas von Bülow führte, eine besondere Bedeutung zu. Bülow ist einer größeren Öffentlichkeit durch sein Buch „Im Namen des Staates“ (München 1998) bekannt geworden. Der ehemalige SPD-Politiker zeigt darin die Verquickung von Geheimdiensten und internationalem Terrorismus auf, was ihn zu der Frage führt, „was an dem gesamten Terrorismusgeschehen echt ist und was zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, zur Lenkung der Wähler von außen wie von innen in Szene gesetzt wird“. Von Bülow vertritt die hierzulande eher anstößige Auffassung, daß hinter vielen Attentaten radikaler Araber der israelische Geheimdienst stehe. Thesen wie diese erklären die eher zurückhaltende Rezeption, die dieses Buch in deutschen Medien erfahren hat.

Bülow spricht in Konkret im Zusammenhang mit dem 11. September Aspekte an, die Aufmerksamkeit verdienen. Da sind einmal die „Insider-Börsengeschäfte“ zu nennen. Kurz vor den Terrorangriffen gab es eine plötzliche Welle von spekulativem Handel an den amerikanischen Aktien- und Anleihemärkten, die Indiz dafür sind, daß eine bestimmte Gruppe von Investoren von der anstehenden Katastrophe gewußt haben mußte. Deren Aktivitäten ergeben nur vor dem Hintergrund der Erwartung Sinn, daß der Wert der Aktien von bestimmten Fluggesellschaften, Touristikunternehmen und Versicherungsgesellschaften mit Sicherheit fallen wird. Diese Spekulationsgeschäfte haben erstaunlicherweise in Europa kaum Aufmerksamkeit gefunden. Ebenso bei so wichtigen amerikanischen Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post. Von Relevanz ist das Ausmaß dieser Finanztransaktionen, die mit Sicherheit nicht das Werk von Bin Laden und seinen Anhängern alleine gewesen sein können. Mit Blick auf den Ankauf von Staatsanleihen stellte das Wall Street Journal am 2. Oktober fest: „Staatsanleihen mit einer Laufzeit von fünf Jahren dürften wohl die sicherste Investition im Falle einer ernsthaften Staatskrise, vor allem dann, wenn sie die USA trifft, sein. Diese Briefe sind aufgrund ihrer Sicherheit und der Garantien, die die Regierung gibt, so attraktiv.“

Staatsanleihen würden immer dann nachgefragt, wenn Investoren vor riskanteren Transaktionen zurückschreckten. Tatsächlich ist der Wert dieser Staatsanleihen nach dem 11. September erheblich angestiegen.

Beziehungen zwischen CIA und der Wall Street

Wo nun ist die Verbindung zum CIA? Aufschluß darüber hat Michael C. Ruppert gegeben. Ruppert war früher Polizeioffizier in Los Angeles und Drogenfahnder. Die CIA hat Rupperts Aussagen zufolge ohne Erfolg versucht, ihn anzuwerben. Dieser erregte in den USA Aufsehen, weil er der CIA Drogenhandel zur Finanzierung verdeckter Aktivitäten nachweisen konnte. In einem Interview (12.Oktober) mit einem kalifornischen Hörfunksender machte Ruppert darauf aufmerksam, daß die derzeitige Nummer drei der CIA, A.B. („Buzzy“) Krongard, der dort momentan die Position des „Exekutive Director“ innehat, bis 1998 Anlageberater für besonders betuchte Kunden bei Banker’s Trust war, der US-Tochter der Deutschen Bank. Aus Krongards ehemaliger Abteilung wurden viele der verdächtigen Transaktionen vor dem 11. September vorgenommen. Krongards Karriere ist den Ausführungen von Ruppert gemäß so erstaunlich nicht. John Deutch zum Beispiel, der in Ruhestand gegangene frühere CIA-Direktor, sitzt im Direktorium der Citigroup. Ebenso Nora Slatkin, früher Exekutive Director der CIA. Maurice Greenberg, heute Vorsitzender der AIG Insurance, der drittgrößten Investmentgruppe der Welt, war auf dem Sprung, CIA-Direktor zu werden. Greenberg scheiterte allerdings an einem Veto des damaligen US-Präsidenten Clinton.

Ruppert erklärte in dem Interview, daß es eine „unentwirrbare und unvermeidliche Beziehung zwischen der CIA und der Wall Street“ gebe. Er machte darauf aufmerksam, daß die Höhe des CIA-Budget unbekannt sei, weil dieses in den Budgets der anderen Regierungsabteilungen eingestellt werde. Einer guten Quelle zufolge, so Ruppert, erhalte der CIA schätzungsweise 30 Milliarden Dollar per anno.

Natürlich erhebt sich hierbei sofort die Frage, warum der CIA, falls er tatsächlich von der anstehenden Katastrophe wußte, keine Schritte unternommen hat. Ruppert verweist zunächst auf Pearl Harbor. Der Angriff der Japaner hätte stattgefunden, obwohl Roosevelt genaue Kenntnis über die japanischen Absichten und die US-Marine den Funkcode der Japaner entschlüsselt hatte. Ruppert deutet Roosevelts Vorgehen als Präzedenzfall. Diesmal seien seiner Auffassung gemäß ökonomische Inkonsistenzen ausschlaggebend gewesen; Finanzblasen, die zu platzen drohten, weil die US-Ökonomie einer Rezession entgegensteuere. Vor dem 11. September hätte es Indizien dafür gegeben, daß derivative Finanzprodukte in Höhe von 20 Billionen Dollar passé gewesen wären. Der Dow Jones verlor in den drei Wochen vor dem Anschlag über 900 Punkte. An der Börse deutete vieles auf einen kommenden Crash hin.

Als Folge aus dem 11. September ergäben sich für die Regierung Bush vor diesem Hintergrund zwei handfeste Vorteile: Es gäbe einen Feind, der für die ökonomische Situation verantwortlich gemacht werden könnte. Weiter macht Ruppert darauf aufmerksam, daß den Kongreß eine Reihe von Gesetzesinitiativen passiert hätten, die hohe Folgekosten nach sich zögen und damit zu einer Inflationierung der Finanzblase beitragen könnten. Daß Rupperts Behauptungen schnell als „verschwörungstheoretisch“ abgekanzelt werden können, liegt auf der Hand. Gedankengänge wie die seinigen müssen dennoch möglich sein, hält man sich vor Augen, was von Bülow in dem Interview mit Konkret ausführte: „ ... die wichtigste Aufgabe der Geheimdienste ist die Täuschung der Öffentlichkeit“.

Ruppert steht mit seinen kritischen Einwänden, zumindest was seine Analyse angeht, beileibe nicht alleine da. Am 21. September dieses Jahres erschien vom sicherlich unverdächtigen israelischen „Herzliyya International Policy Institute for Counterterrorism“ ein Beitrag, der mit „Schwarzer Freitag: Der größte Insiderhandel der Welt?“ übertitelt war. In diesem Artikel werden minutiös die angesprochenen Finanzoperationen dokumentiert. Mit Blick auf die in den Anschlag involvierten Fluglinien stellt das Institut fest, daß es ähnliche Transaktionen wie bei diesen Fluglinien bei anderen nicht gegeben hätte. Festzuhalten bleibt auf jeden Fall, daß es Insidergeschäfte im erheblichen Umfang gegeben hat, die nicht ausschließlich auf bin Laden und sein Umfeld zurückgeführt werden können.

Ein anderer Aspekt, der auch von Andreas von Bülow angesprochen wird; ist die geschäftliche Verbindung der Familie Bush mit der Familie Bin Laden über die US-Anlagefirma Carlyle. Hierüber berichtete der britische Guardian am 31. Oktober. Diese Firma liegt eng am Zentrum der amerikanischen Macht, etwa in der Mitte zwischen dem Weißen Haus und dem Capitol. Daß von dieser Firma bisher kaum jemand etwas gehört hat, ist durchaus nach dem Geschmack ihrer Gründer David Rubinstein, einem Mitarbeiter der ehemaligen Regierung Carter, und zweier Rechtsanwälte. Inzwischen gibt es eine Reihe namhafter ehemaliger US-Politiker, die für Carlyle arbeiten: Bush sen., James Baker und der britische Ex-Premierminister John Major. Oder der vormalige US-Verteidigungsminister Frank Carlucci. Aber auch der einstige Schatzmeister der Weltbank, Afsaneh Masheyekhi oder einflußreiche südostasiatische Börsenhändler haben bei Carlyle angeheuert. Ihren Einfluß verdankt die Firma also gleich einer ganzen Reihe ehemals führender Politiker, die auf ihren Reisen strategische Netzwerke für Carlyle aufbauen konnten.

Im Zusammenhang mit den Rüstungsgeschäften von Carlyle fragte der Baltimore Chronicle am 31. Oktober: „Ein wichtiger Grundsatz des Journalismus besteht darin, danach zu fragen, wem etwas nutze. Im Falle eines Krieges bekommt eine derartige Frage eine herausragende Bedeutung. Angenommen, die Gewinne aus Verträgen, die militärische Geschäfte betreffen, würden in die Taschen eines ehemaligen US-Präsidenten wandern, dessen Sohn aktuell Präsident ist. Würde Sie dann nicht erwarten, daß die Medien über einen derart wichtigen Aspekt berichten?“

Der frühere US-Verteidigungsminister Frank Carlucci ist derzeit Vorstand und geschäftsführender Direktor von Carlyle, das seine Gewinne vorwiegend aus der mit militärischen Konflikten verbundenen Waffenbeschaffung zieht. Verwundert fragt die Zeitung, warum sie das einzige Blatt ist, das über diese „big story“ berichtet. Dies ist zwar übertrieben, im Kern aber nicht unwahr. Nur das Wall Street Journal informierte neben Baltimore Chronicle, nach Wissen des Verfassers, am 27. September über die Geschäfte von Carlyle unter der Schlagzeile „Die Familie Bin Laden könnte von den steigenden Militärausgaben aufgrund ihrer engen Bindungen zu einer US-Bank profitieren. Der Name dieser US-Bank lautet: Carlyle Group“. Wenn die USA ihre Verteidigungsausgaben erhöhe, so Baltimore Chronicle, um Osama bin Ladens mutmaßliche terroristische Aktivitäten einzudämmen, wird die Familie Bush in nicht unerheblichem Maße davon profitieren.

Bezeichnend ist auch eine Meldung des britischen Oberserver vom 7. November, in der FBI- und US-Geheimdienstmitarbeiter darüber berichten, daß sie aus politischen Gründen vor dem 11. September daran gehindert worden seien, Untersuchungen über die Mitglieder der Bin Laden-Familie durchzuführen. Dokumente ergaben, daß das FBI Untersuchungen gegen zwei Mitglieder des Bin Laden-Clans einleiten wollte. Darüber hinaus sollte die Weltversammlung Junger Muslime, die in Verdacht steht, Verbindungen zum Terrorismus zu unterhalten, und mit der diese Familienmitglieder angeblich in Verbindung gestanden haben, untersucht werden.

Die Liste der Ungereimtheiten wird also immer länger. Um hier nur einige weitere zu nennen: Die Attentäter wurden, obwohl die Amerikaner völlig überrascht gewesen sein sollen, bereits kurz nach dem Anschlag als Muslime identifiziert. Die Ermittler stießen bereits Stunden nach dem Anschlag an verschiedenen Orten auf angeblich heiße Spuren. Dies ist angesichts der Behauptung, die amerikanischen Geheimdienste hätten keine Hinweise auf das Attentat gehabt, zumindest erstaunlich. Die FAZ berichtete am 13. September: „In die Geschichte der amerikanischen Geheimdienste wird der 11. September als Tag des größten Desasters eingehen. Denn die übereinstimmende Aussage der mehr als zehn amerikanischen Dienste, keine Hinweise auf die lange geplanten und gut vorbereiteten Anschläge erhalten zu haben, ist nur ein Teil der Wahrheit. Und es war nicht das erste Mal, daß die ‚Intelligence Community’ der Vereinigten Staaten vorliegende Hinweise nicht beachtete oder aber unzutreffend analysierte.“

Bin Laden soll der Hauptverdächtige bleiben

Diese heißen Funde Stunden nach dem Anschlag waren aber bei weitem nicht alles, was stutzig machen muß. Der Spiegel berichtete: „Die Amerikaner haben blitzschnelle Vorarbeit geleistet: Nur einen Tag nach dem Schlag, der das Land entsetzte, haben sie nicht nur Namen herausgefunden, sondern auch eindeutige Beziehungen zwischen den verdächtigen Passagieren der unterschiedlichen Maschinen herstellen können: Das FBI Miami hat einen Führerschein für Marwan al-Schahi entdeckt, der an der Sheridan Street 3389 wohnte - der gleichen Adresse, die auch für Atta und al-Umari registriert sei, heißt es in dem FBI-Papier.“

Und der Focus teilte mit: „Andererseits sind deutsche Sicherheitsexperten nach wie vor verblüfft, mit welcher Geschwindigkeit die US-Bundespolizei dem BKA die höchst konspirativen Verbindungen von Atta und seinen mutmaßlichen Hamburger Mittätern Marwan Al-Shehhi, 23, und Ziad Jarrah, 26, präsentieren konnte. ‚Wie auf Knopfdruck’, sagt ein Insider. ‚So, als hätten die Amerikaner schon lange vorher eine Menge über die Täter im Datenspeicher gehabt.’“

Augenscheinlich liegt den Amerikanern viel daran, daß Bin Laden der Hauptschuldige für die Rechtfertigung des Krieges bleibt. Alle Aktivitäten, wie die der Suche nach den Hinterleuten der Insidergeschäfte, werden dem rigoros untergeordnet. „US-Fahnder sollen ihre Ermittlungen zu den Terror-Attacken vom 11. September nach dem Willen des US-Justizministeriums und des Bundeskriminalamtes FBI einschränken und ihre Kräfte auf die Vorbeugung neuer Anschläge konzentrieren“, berichtete Spiegel-Online am 9. Oktober. „Die Ermittler müssen verstehen, daß wir im Moment nicht versuchen, ein Verbrechen aufzuklären. Unser Ziel Nummer eins ist Vorbeugung, sagte ein Justiz-Mitarbeiter.“

Uwe Galle stellte in diesem Zusammenhang in einem Artikel für die Schweizer Wochenzeitung Zeit-Fragen (43/01) die richtige Frage: „Wie mag man wohl neuen Anschlägen vorbeugen können, ohne die Urheber der alten Anschläge herausgefunden zu haben?“


 
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