© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
In die Ecke gestellt
Vertriebene: Paul Latussek als BdV-Vize abgesetzt / Thüringer Verband solidarisch
Jörg Fischer

Die FAZ gab schon einen Tag vor der außerordentlichen Bundesversammlung des Bundes der Vertriebenen (BdV) die Marschrichtung vor: „Die Erkenntnis, daß über Auschwitz jahrzehntelang überhöhte Opferzahlen verbreitet wurden, ist nicht neu; und darauf hinzuweisen ist kein Vergehen“, aber BdV-Vize Paul Latussek sei „kein Aufklärer, sondern ein dilettierender Demagoge. An die Spitze eines Verbandes, der sich für Völkerverständigung und universelle Menschenrechte einsetzt, gehört er nicht.“

Einen Tag später, am 29. November, wurde der 65jährige als Vizepräsident abberufen. Bei der von vielen Kameras beobachteten offenen Abstimmung votierten 63 BdV-Mitglieder für seine Abwahl, 23 dagegen. Es gab elf Enthaltungen. Anlaß der Abwahl war eine Rede Latusseks vom 9. November auf dem BdV-Tag im thüringischen Arnstadt: „In Auschwitz gab es offensichtlich keine sechs Millionen Opfer, sondern, wie ich in Polen erfahren habe, sind 930.000 nachgewiesen. Dabei geht es nicht um die Relativierung des Verbrechens, sondern um die geschichtliche Wahrheit.“ Nachdem dies durch die Lokalpresse publik wurde, forderten nicht nur PDS und SPD, sondern auch die CDU Latusseks Ablösung. Dem BdV wurde mit Fördermittelentzug gedroht. Die Erfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts auf Volksverhetzung. Latussek selbst sieht sich falsch verstanden. (JF-Interview 48/01).

Auch auf der Bundesversammlung bedauerte er, daß seine „unbedachte“ Wortwahl Anlaß zu „Mißverständnissen“ gegeben habe. Dafür entschuldige er sich bei den jüdischen Opfern, „aber niemals bei denen, die sich, ohne den wahren Wortlaut zu kennen, zu selbsternannten Richtern machten“ - und meinte damit BdV-Chefin Erika Steinbach. Die CDU-Politikerin habe schon am 10. November „Konsequenzen“ gefordert, ohne Latusseks genaue Worte zu kennen und ohne ein Wort mit ihm zu reden. Daß das Verhältnis Latussek-Steinbach aber schon länger gestört ist, offenbarte die BdV-Chefin am 22. November in der FAZ: „Latussek habe seine Position auf Bundesebene dem Kandidatenmangel in den östlichen Ländern zu verdanken.“

„Wir lassen uns nicht wegen Äußerungen, die Sie heute als mißverständlich bezeichnen, in eine Ecke stellen, wo wir nicht hingehören“, sagte Steinbach zur Abwahl. Latussek habe dem BdV „erheblichen Schaden zugefügt, und das leider nicht zum ersten Male“. Sie meinte damit wohl die notorische Kritik von PDS und SPD. Etwa im Mai 2000: Latussek hatte im Erfurter Landtag das BdV-Flugblatt „Was jeder Deutsche wissen sollte“ ausgelegt, in dem die „willkürliche Verschiebung der deutschen Ostgrenze an die Oder und Neiße“ beklagt wurde. Das zeuge „von nationalistischem Gedankengut“, so damals SPD-Fraktionschef Heiko Gentzel.

Seinen Platz als Chef des BdV Thüringen will Latussek nicht räumen, er habe das Vertrauen der Mitglieder, sagte er der JF. Auf der Weihnachtsfeier des BdV Ilmenau war daher die angedrohte Streichung von Fördermitteln ein Thema. BdV-Kreischef Gerd Luschnat meinte: „Die Vertriebenen, die in der DDR schon 40 Jahre lang bestraft wurden, lassen sich auch jetzt nicht erpressen. Wir halten zusammen!“


 
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