© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
„Das ist Völkermord“
Shamil Mohammed, Geschäftsträger des Irak in Deutschland, über den drohenden Krieg der USA gegen sein Land
Moritz Schwarz

Herr Mohammed, Ihre Regierung hat die jüngsten Forderungen der USA nach Zulassung einer neuen UN-Sondermission zur Kontrolle der Einhaltung des Verzichtsabkommens über Massenvernichtungswaffen im Irak abgelehnt. Befürchten Sie nun einen US-Militärschlag gegen Ihr Land?

Mohammed: Wahrscheinlich leider ja, allerdings spielt dabei die von Ihnen erwähnte Ablehnung der UN-Kontrollen keine Rolle. Die USA und Großbritannien suchen nur eine Legitimation, um gegen den Irak loszuschlagen, weil die Amerikaner glauben, daß die Gelegenheit günstig ist. Jetzt bedarf es nur noch eines Vorwandes.

Mit welcher Art von Angriff rechnen Sie?

Mohammed: Wir wissen nicht, wie, wir wissen nur, daß ein Angriff sehr wahrscheinlich ist.

Befürchten Sie eine Strafaktion in Form einer Luftoffensive oder einen neuen Krieg gegen den Irak unter Einsatz des US-Heeres?

Mohammed: Man weiß es nicht, aber man muß mit dem Schlimmsten rechnen. Das hängt davon ab, was sich die Amerikaner dabei denken.

Sie sprachen bezüglich der UN-Kontrollen von einem Vorwand. Das hieße, die USA wollen einen Krieg mit dem Irak. Ein schwerer Vorwurf.

Mohammed: Um was es den Amerikanern tatsächlich geht, ist, Gründe zu finden, um die Uno-Sanktionen gegen uns immer weiter zu verlängern. Deshalb stellen sie nun neue Forderungen. So verschaffen sie sich die Legitimation, das Embargo aufrechtzuerhalten oder den Irak anzugreifen. Es ist für die USA eine Gelegenheit, alte Rechnungen zu begleichen. Und nach uns wird der Nächste an der Reihe sein, vielleicht der Libanon, Somalia oder der Sudan. Die Kontrolleure der Uno waren bis 1998 im Irak tätig und haben das Land dann freiwillig verlassen. Ich denke, diese Tatsache macht offensichtlich, daß die Forderung nach erneuten Kontrollen lediglich ein Mittel ist, um sich die politische Deckung für eine erneute großangelegte Aggression gegen das Land zu verschaffen.

Die Kontrolleure gingen „freiwillig“, weil sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit behindert wurden.

Mohammed: Das ist nicht richtig. Der Irak hat mehr als acht Jahre mit den UN-Kontrolleuren zusammengearbeitet. Diese Kontrolleure haben aber andere Aufgaben wahrgenommen als jene, die für die UN-Mission vereinbart waren. Sie haben Spionage für die USA und Israel betrieben. Das haben inzwischen sowohl Uno-Generalsekretär Kofi Annan wie auch das Mitglied der Kontrollkommission, der US-Amerikaner Scott Ritter bestätigt. Die Abreise der Kontrollkommission 1998 erfolgte auf Befehl der USA, um den Amerikanern ein Alibi zu verschaffen, Irak zu bombardieren.

Inzwischen scheint sich der Spionage-Verdacht sogar zu bewahrheiten, dennoch war das Arsenal des Irak an Massenvernichtungswaffen eine Bedrohung für die Region.

Mohammed: Der Irak bedroht seine Nachbarn nicht. Jetzt besitzt der Irak keine Massenvernichtungswaffen mehr. Das wissen nicht nur die Amerikaner, sondern die ganze Welt. Es ist legitim, daß jedes Land das Recht hat, Verteidigungswaffen zu besitzen. Israel, das arabische Gebiete besetzt hält, verfügt über alle Arten von Massenvernichtungswaffen. Der Beschluß der Uno besagt nun, diese Vernichtungswaffen in der gesamten Region zu ächten. Wir haben unsere Verpflichtungen erfüllt. Israel jedoch bis heute nicht. Aber das kümmert leider niemanden.

Sie sprechen von Verteidigung, haben aber Ende der achtziger Jahre chemische Waffen gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt.

Mohammed: Das ist nicht richtig.

Es gibt Filmaufnahmen, die diese Behauptung stützen.

Mohammed: Die Amerikaner selbst haben damals die Richtigkeit dieser Behauptung stark angezweifelt.

Was tun Sie, wenn die USA Beweise erbringen, daß Sie die Forschung an solchen Programmen wieder aufgenommen haben?

Mohammed: Das haben wir nicht, und das weiß man auch in den USA. Die Amerikaner haben ihre Forderungen erst in jüngster Zeit wieder erhoben - nämlich nach dem 11. September! Das ist doch auffällig. Präsident Bush hat die Vorwürfe gegen uns aus der Mottenkiste gekramt. Es sieht vielmehr danach aus, als sollten wir schlicht das nächste Ziel der amerikanischen Rache-Kampagne für die Anschläge auf New York und Washington werden.

Mohammed Atta, einer der Führer des Terrorkommandos vom 11. September und Pilot der ersten Maschine, die das New Yorker Welthandelszentrum rammte, traf sich nach US-Informationen im März 1999 mit einem Agenten des irakischen Geheimdienstes in Prag.

Mohammed: Das ist nicht wahr und würde auch gar nichts beweisen. Das ist eine erfundene Geschichte der CIA und des Mossad.

Der Irak hat 1999 Osama bin Laden Asyl angeboten.

Mohammed: Nein, wir haben und hatten nie Kontakt mit Bin Laden oder al-Qaida. Und auch mit dem Taliban-Regime hatten wir nie Kontakte.

Der Chef der UN-Kontrollkommission, Richard Butler, behauptet, Osama bin Laden in einem Hotel in Bagdad gesehen zu haben.

Mohammed: Ich kenne diesen Vorwurf, das ist eine Lüge. Präsident Saddam Hussein hat sich nach dem 11. September extra in drei offenen Briefen an die westlichen Nationen erklärt. Wir haben mit Terroristen nichts zu tun.

Es wird ihnen sogar vorgeworfen, sie auszubilden.

Mohammed: Das ist falsch. War unter den Attentätern vom 11. September etwa auch nur ein Iraker? Elf Jahre immer wieder völkerrechtswidriges Bombardement durch US-Kampfflugzeuge und ein Embargo, das die Zivilbevölkerung trifft - das ist Terrorismus!

Dient die Spezialeinheit 999 der Ausbildung von Terroristen?

Mohammed: Warum behaupten Sie so etwas? Es gibt dafür weder Beweise, noch gibt es überhaupt eine Spezialeinheit 999.

Nisar al-Chasradschi, ihr ehemaliger Generalstabschef und persönliche Berater Präsident Saddam Husseins, spricht nicht nur von Übungen einer Einheit 999 in Mahmudija und Samadija, sondern auch von einem Atombombenbauprogramm in Salman Pak.

Mohammed: Al-Chasradschi hat das Land freiwillig verlassen, heute sitzt er in Dänemark und wird von CIA und Mossad finanziert. Er will sich rächen und erzählt deshalb der Presse Unwahrheiten. Hat er irgendwelche Beweise für seine Behauptungen? Dauernd gibt es solche Behauptungen, nie aber Beweise.

Er schätzt, daß 95 Prozent der Iraker den Sturz Saddam Husseins ersehnen.

Mohammed: Völlig absurd, das Gegenteil ist richtig.

Fürchten Sie nicht, die Vereinigung der Exil-Opposition „Irakischer Nationalkongreß“ könnte sich mit den Amerikanern verbünden und ihre Anhänger mobilisieren?

Mohammed: Der sogenannte Nationalkongreß hat im Irak praktisch keine Anhänger und erst recht keine Basis. Und sein Geld bekommt er von der CIA.

1991 gab es unter den Schiiten im Süden des Iraks erhebliche Aufstände gegen die Herrschaft Präsident Husseins, und die Kurden warten nur darauf, sich erfolgreich zu erheben.

Mohammed: Das war eine ganz andere Situation. Die Amerikaner haben in Afghanistan scheinbar einen großen Erfolg gehabt. Nun glauben sie, man könnte das Gleiche auch im Irak machen. Aber da täuschen sie sich.

Wie wollen Sie den militärisch so weit überlegenen USA widerstehen?

Mohammed: Die Amerikaner können uns angreifen, sie können uns töten, sie können ihre Verbrechen begehen - das ist für sie kein Problem: Kriege kann man führen. Aber ihr Ziel, uns zu besiegen, werden sie nicht erreichen.

Einem US-Angriff hätte der Irak nichts entgegenzusetzen. Führen Sie dann nicht einen aussichtslosen Kampf, der nur unnötige Opfer unter der Zivilbevölkerung kosten würde und die Gefahr eines völligen Zusammenbruchs des Irak birgt?

Mohammed: Der Irak kann sich verteidigen, wir halten der unablässigen anglo-amerikanischen Aggression seit nunmehr elf Jahren stand, und zwar allen Arten von Aggression, die in dieser Zeit gegen uns eingesetzt worden sind - von den Raketen und Bomben bis zum Hunger. Aber natürlich fürchten wir das verbrecherische Benehmen unseres Feindes, weil er leider keine Moral hat.

Wäre ein Akzeptieren erneuter Uno-Kontrollen nicht der beste Weg, um den Amerikanern den von Ihnen behaupteten Vorwand für einen Krieg zu nehmen?

Mohammed: Der Irak hat die Resolutionen der Vereinten Nationen über Vernichtungswaffen akzeptiert und erfüllt, wir haben alle vereinbarten Kontrollen zugelassen, und die Inspekteure haben ihre Mis-sion durchgeführt. Der ehemalige Chef der Kontrollkommission, Ekyos, bestätigte 1995, daß die Kontrolleure 95 Prozent ihrer Verpflichtungen erfolgreich erfüllt hätten. Wir sind ein souveränes Land. Daß nun einfach selbstherrlich neue Forderungen von Seiten der USA gestellt werden, können wir nicht akzeptieren. Genug ist genug. Wir erwarten, daß nun die Uno ihre Verpflichtungen einhält und das Embargo gegen uns endlich aufhebt.

Danach sieht es im Moment nicht aus. Wie lange kann der Irak das Embargo noch durchhalten?

Mohammed: Uns ist klar, daß der Sicherheitsrat das Embargo in absehbarer Zukunft nicht aufheben wird, das werden die USA mit ihrem Veto zu verhindern wissen. Aber wir sind stolz auf unser Volk, das all dem so tapfer standhält. Wir appellieren an die Weltgemeinschaft, sich auch gegen dieses Embargo zu stellen.

Das Embargo hat nach allgemeinen Schätzungen etwa 500.000 irakischen Kindern das Leben gekostet.

Mohammed: Tatsächlich sind es bereits eineinhalb Millionen Kinder - das ist ein Völkermord.

Warum erzwingen Sie in diesem Fall nicht nachdrücklicher ein Vorgehen der Uno?

Mohammed: Wir unterlassen nichts, um dieses Verbrechen anzuklagen, allerdings kennt die Welt doch schon die Wahrheit. Einige Länder haben es bereits offiziell verurteilt, daß hier versucht wird, ein ganzes Volk auszuhungern und zu töten, nur um politische Ziele zu erreichen. Doch leider ist die Uno eben unter der Kontrolle der Amerikaner.

Inzwischen tauschen die USA wenigstens Lebensmittel gegen Öl. Und die Amerikaner sind bereit, über eine weitere Modifikation des Embargos zu verhandeln. Warum gehen Sie auf diesen Vorschläge nicht ein, um die Situation für das Volk zu bessern?

Mohammed: Das Programm „Öl für Lebensmittel“ kam auf Wunsch der Uno und nicht der Amerikaner zustande. Die sogenannten neuen amerikanischen Vorschläge beinhalten noch schlimmere Maßnahmen gegen das irakische Volk.

Sie lehnen solche Verhandlungen ab: Für den Irak kommt nur die völlige Aufhebung des Embargos in Frage. Das erscheint recht radikal.

Mohammed: Nur wenn das Embargo endlich aufgehoben wird, hat der Irak eine Chance, sich wieder normal zu entwickeln und Wohlstand für die Iraker zu erreichen. Denken Sie nur an die deutschen Diplomaten Hans Graf von Sponeck und Jutta Burkhardt, die aus Protest gegen das Embargo und „Öl für Lebensmittel“-Programm von ihren Uno-Posten zurückgetreten sind. Über 1.200 Wirtschaftsverträge im Wert von vier Milliarden Dollar sind durch die US-Blockade auf Eis gelegt.

Wenn die USA den Irak angreifen, werden Sie dann wiederum - wie schon 1991 - Israel angreifen?

Mohammed: Die Israelis haben bereits angekündigt, sie würden im Falle eines Krieges gegen den Irak die USA unterstützen. Die Aggression geht also auch von Israel aus. Allerdings muß sich Israel klar sein: Krieg ist Krieg, und die Iraker müssen sich verteidigen.

Die regierende Baath-Partei ist eine sozialistische Partei. Präsident Saddam Hussein hat sich aber 1991 ausdrücklich zum Islam bekannt und den Krieg gegen Amerika zum Dschihad erklärt. Versteht sich der Irak noch als ein sozialistisches Land?

Mohammed: Auf jeden Fall. Denn Sozialismus und Islam sind keine Widersprüche. Unser Islamismus ist schließlich kein Fundamentalismus, und unser Sozialismus zielt auf gesellschaftliche Gerechtigkeit nach arabischen Werten.

Die Bundesrepublik Deutschland hat stets alle Maßnahmen der USA gegen den Irak unterstützt, wie ist ihr Verhältnis zu Deutschland?

Mohammed: Wir hatten eigentlich immer gute Beziehungen zu Deutschland. Leider ist das seit 1990 nicht mehr so. Aber es bessert sich langsam wieder. Der Irak war vor 1990 der wichtigste Handelspartner Deutschlands in dieser Region. Das Volumen unseres gemeinsamen Handels ist aber leider von ehemals achteinhalb Milliarden auf 200 Millionen Mark gesunken. Wir wünschen uns deshalb das alte Einvernehmen zurück. Wir schätzen es, daß die Bundesregierung in ihrer jüngsten offiziellen Erklärung einen Angriff auf den Irak ablehnt. Das gibt uns die Hoffnung, die Beziehungen zwischen dem Irak und Deutschland künftig wieder auszubauen und zu vertiefen.

 

Shamil Mohammed geboren 1956 in Haaditha im Irak. An der Universität von Bagdad studierte er Deutsch und trat 1977 der Baath-Partei, der irakischen Regierungspartei bei. Nachdem er bereits die Mission des Irak bei der Uno in Genf und Bern betreut hatte, wurde er 1998 Geschäftsträger der Botschaft des Irak in Deutschland. Seit dem Kuwait-Krieg 1991hat der Irak keinen offiziellen Botschafter mehr in der Bundesrepublik Deutschland.

 

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