© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
Berlin sieht rot
In der Hauptstadt kommt es zu einer Annäherung von SPD und PDS
Ronald Gläser

Die Ampel schaltet auf Rot. In Berlin endeten am Dienstag abrupt die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP. Während sich die Alternativen und die Liberalen wechselseitig die Schuld für das Scheitern der Gespräche in die Schuhe schieben, stehen die PDS-Genossen als Koalitionspartner der Sozialdemokraten Gewehr bei Fuß. SPD-Bundesgeschäftsführer Müntefering signalisierte bereits das Einverständnis der SPD-Spitze für Verhandlungen mit der PDS. Die Hauptstadt wird also vermutlich bald von einem Volksfrontbündnis nach dem Modell Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern regiert, womöglich mit Gregor Gysi als Kultursenator und Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Die SED-Nachfolger sind ihrem Ziel, die Trutzburg des kapitalistischen Klassenfeindes zu schleifen, näher denn je.

Trotzdem ist die jüngste Entwicklung für die politische Landschaft in Deutschland erfreulich. Die Machtergreifung der Honecker-Erben in der ehemaligen Frontstadt ist ein Pyrrhussieg für die neuen Bündnispartner SPD und PDS. Die Polarisierung steigert den Kampfgeist im bürgerlichen Lager, während die Impotenz der politischen Linken zutage tritt. Selbst ein Machtwechsel auf Bundesebene erscheint 2002 nicht mehr so unwahrscheinlich.

Ein Teilnehmer aus der FDP-Verhandlungsgruppe berichtete vom ersten Scheitern der Verhandlungen. Die Grünen hätten bei strittigen Punkten eine besonders kompromißlose Haltung an den Tag gelegt. So bestanden sie starrsinnig auf der Schließung des Flughafens Tempelhof. Der Flughafen ließe sich als Trumpfkarte im Standortwettbewerb ausspielen. Aber die Konjunktur bedeutet nichts, wenn es um ein verkehrspolitisches Dogma geht. Die Atmosphäre veränderte sich schlagartig. Bis zum Morgengrauen verhandelten die Parteien. Rücksichtnahme und Gesprächsbereitschaft verkümmerten im Gebrüll und Gelächter über die Gegenseite. Peter Strieder bemühte sich, der FDP die Schuld in die Schuhe zu schieben. Der SPD-Landesvorsitzende behauptete, die FDP-Bundesführung habe die Berliner Parteifreunde ferngesteuert, was Landeschef Günter Rexrodt glaubwürdig dementierte.

Der ehrgeizige Genosse Strieder kann nur denjenigen Bürgern etwas vorgaukeln, die getäuscht werden wollen. Der Putsch gegen Eberhard Diepgen im Sommer war zu professionell eingefädelt. Auch das Scheitern der angestrebten Ampelkoalition war kein Betriebsunfall. Strieder hat vor der Wahl bereits seine Präferenzen für die PDS-Option geäußert.

Die Grünen-Unterhändler wollten eine „NPD-Terminologie“ bei den Freidemokraten ausgemacht haben. Kenner der linksliberalen FDP-Parlamentäre argwöhnen, daß entweder permanenter Drogenrausch oder wohlkalkulierte Bosheit diesen Tadel verursacht haben.

Weil der Widerwille der Alternativen nicht ausreichte, fuhren die Sozialdemokraten schwerere Geschütze auf. Am Montagabend legten sie völlig unvermittelt einen archaischen sozialistischen Wunschzettel vor. Zuvor war von den geradezu schauderhaften neuen Steuern und Steuererhöhungen nie gesprochen worden. Selbst der charakterloseste unter den willfährigen FDP-Funktionären konnte diesen Affront nicht akzeptieren.

Peter Strieders Erfolg ist eine Schlappe für den Bundeskanzler. Die Liaison mit der PDS wird sich für die sozialdemokratische Linke nicht auszahlen. Gerhard Schröders Reputation als deutscher Tony Blair oder Bill Clinton wird als Köder für die „Neue Mitte“ enttarnt.

Die wiederbelebte sozialistische Einheitskoalition wird in Kürze bankrott gehen. Die Stadt ist pleite, was dem neuen Senat wenig politischen Spielraum verschafft. Die wirtschaftliche Talfahrt wird sich beschleunigen. In fünf Jahren wird es den Berlinern nicht besser gehen als heute. Es wird am Ende der Legislaturperiode mehr Ausländer und mehr Kriminalität in der Spree-Metropole geben. Neue Sondersteuern und weitere Schikanen werden die Autofahrer drangsalieren. Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst wie in der komatösen Privatwirtschaft Berlins droht die Arbeitslosigkeit. Viele landeseigene Betriebe kann die Stadt nicht mehr verkaufen. Dadurch wird auch die Beköstigung linker Klientelgruppen erschwert.

Die PDS wird dadurch als Protestpartei entzaubert. Von nun an sind Gysi & Co. gezwungen, Verdrossenen und Unzufriedenen den Anstieg der Arbeitslosenrate zu erklären. Eine Verschlechterung der soziokulturellen Koordinaten ist auch nicht zu befürchten. Schon der SPD-Bildungssenator Böger hat aktiv zur Verklärung der DDR-Vergangenheit beigetragen. An SED-Opferverbände oder die Vertriebenen erinnerte sich die CDU nur, wenn Wahlen vor der Tür standen.

CDU, FDP und gegebenenfalls die Schill-Partei haben dann reale Chancen, die zuvor überwältigende linke Mehrheit zu brechen. Eine linksgerichtete FDP hätte solche Hoffnungen im Keim erstickt. Die Liberalen haben der lockenden Versuchung widerstanden. Die Ampelkoalition hätte eine Wahlniederlage in spätestens fünf Jahren zwingend zur Folge gehabt. Die drohende PDS-SPD-Herrschaft gibt dem bürgerlichen Lager Zeit zur Erneuerung. Die Volksfront hat ihren Zenit überschritten.


 
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