© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Frisch gepreßt

Schurkenstaat. Wie der jüngste Essay des New Yorker Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky belegt, wird die schärfste USA-Kritik immer noch im Bauch des Leviathan formuliert. Oder welche bundesdeutsche Intellektuelle würde sich trauen, wohl fundiert zu behaupten, daß für die Hälfte der Weltbevölkerung „nationale“ Wirtschaftspolitik von Washingtoner Bürokraten betrieben werde, daß nationalstaatliche Souveränität zugunsten der privaten Macht der US-Konzerne unterhöhlt wird, daß Millarden von Menschen fortwährend „einseitigen Sanktionen“ jener Macht ausgesetzt sind, die andere gern als „Schurkenstaaten“ ächtet? (War against People. Menschenrechte und Schurkenstaaten. Europa Verlag, Hamburg/Wien 2001, 160 Seiten, 24,50 Mark).

 

Vatikan. Die These des anglo-jüdischen Historikers David I. Kertzer ist denkbar simpel: Seit dem 19. Jahrhundert habe die katholische Kirche entscheidenden Anteil an der Entstehung der modernen Judenfeindschaft und müsse sich deshalb auch - dies deutet Kertzer nur vorsichtig an -eine Mitverantwortung am Schicksal der europäischen Juden zwischen 1941 und 1944 zurechnen lassen. In der materialreichen Studie wird freilich das Verhältnis des Vatikan zur jüdischen Minderheit, ihren Verbänden, publizistischen Organen wieder nicht als Interaktion, sondern im ahistorischen Täter-Opfer-Schema dargestellt (Die Päpste gegen die Juden. Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus. Propyläen, Berlin 2001, 447 Seiten, 48,90 Mark).

 

Cohn-Bendit. Nonkonformität und Unabhängigkeit - nicht viele der klassischen Alt-68er haben sich diese Tugenden bewahrt. Daniel Cohn-Bendit könnte im Gegensatz zu vielen seiner damaligen Mitkämpfer am ehesten als ein Exponent dieser Attitüden gelten. Obwohl der „Marsch durch die Institutionen“ auch „Dany le rouge“ mit den Verlockungen der Macht vertraut machte, konnte er sich, durch seine Zweistaatlichkeit erleichtert, immer den Weg der Unverbindlichkeit offen halten. Die ehemalige WDR-Redakteurin Sabine Stamer gibt in ihrer Biographie interessante Einblicke in die Frankfurter Sponti-Zeit dieses medienverliebten „Vollblutpolitikers jenseits der Politik“ (Cohn-Bendit. Die Biographie. Europa-Verlag, Hamburg 2001, 320 Seiten, 36,50 Mark).


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen