© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Vermarktete Religion
Ein Wiederaufbau der Buddha-Statuen von Bamiyan bedeutete keine Wiedergeburt des Heiligen
Lennart Lopin

Im März dieses Jahres erregten die Taliban das erste Mal weltöffentliches Interesse, nachdem ihre Führung unter Mullah Omar die endgültige Zerstörung der beiden Buddha-Statuen von Bamiyan anordnete. Im Sturm der heftigen Empörung über diesen „barbarischen Akt“ wurde nicht überall bekannt , daß der Statuenkomplex, der ursprünglich ein buddhistisches Kloster aus dem fünften Jahrhundert darstellt, schon im zehnten nachchristlichen Jahrhundert von den moslemischen Eroberern empfindlich verstümmelt wurde.

Über mehr als tausend Jahre war Afghanistan ein buddhistisch geprägtes Land, daß auf den Missionsrouten der von Kaiser Ashoka nach Griechenland und Ägypten ausgesandten Mönchsdelegationen, schon sehr früh in den Einflußbereich der buddhistischen Lehre kam. An einem Seitenarm der Seidenstraße gelegen, welcher den Mittelmeerraum mit Nordindien verband, zog das karge Land nicht nur Kaufleute und Händler an, sondern beherbergte aufgrund einer Vielzahl von natürlichen Höhlensystemen bald gigantische Felsenklöster. Darauf setzte eine fruchtbare künstlerische Tätigkeit um etwa 100 nach Christi ein, die in den zum Teil von griechischem Handwerk beeinflussten Buddha-Statuen und Höhlenmalereien gipfelte, und in den beiden 53 und 36 Meter hohen Buddha-Statuen von Bamiyan ein eindrucksvolles Zeugnis schuf.

Um das Jahr 999 jedoch, als sich unter dem Schwert des Islam der Herrschaftsbereich der türkischen Dynastie der Ghasnawiden in Persien ausdehnte, wurden tausende dieser Klöster zerstört, Mönchsgemeinden ausgelöscht, und die vergoldeten Statuen von Bamiyan, die eindrucksvolle Eingangsportale zu versteckten Klosteranlagen bildeten, verloren schon damals ihr „Gesicht“. Als Götzenbilder den Eroberern ein Dorn im Auge, zerstörten sie mit primitivsten Mitteln die Gesichter der gigantischen Felsstatuen.

Die moderne Waffentechnik erlaubte es den moslemischen Taliban nunmehr, das Werk ihrer Glaubensvorgänger mit Hilfe von Panzern und Flugabwehrkanonen zu vollenden. Da der Buddhismus in dem rebellischen Gebirgsstaat schon seit 900 Jahren keine Rolle mehr spielt, war dies insofern kein ungewöhnlicher Vorgang. Doch was vor Jahrhunderten im fernen Hindukush einst unbeachtet blieb, ließ sich in der medialen Gegenwart nicht verheimlichen.

Die Zerstörung der beiden Statuen, von denen außer einem Trümmerhaufen nichts mehr übrig blieb, hat die Schützer des Weltkulturerbes auf den Plan gerufen. In einem dreistufigen Unternehmen wollen nun zwei Schweizer Organisationen, das Afghanistan-Museum in Bubendorf und die Internet Gesellschaft „new7wonders“, die Bamiyan-Statuen zuerst virtuell rekonstruieren, um sie dann im Maßstab 1:10 nachzubauen, und außerdem prüfen, inwieweit es afghanischen Handwerkern gelingen könnte, die Originalstatuen wieder - etwas tiefer im Felsen - nachzubilden.

Das gesamte Projekt soll auf Spendengeldern basieren und hat auch Fachleute angezogen. So will die US-Amerikanerin Deborah Klimburg-Salter, die an der Universität Wien Kunstgeschichte unterrichtet, vor allem bei der Rekonstruktion der Statuen das Schweizer Projekt gezielt unterstützen, da die Wiener Universität gerade auf dem Gebiet der computerunterstützten Rekonstruktion von historischen Gebäuden ein gewisses Renommee besitzt. Auch die Chinesen haben ihrerseits Interesse an einem Wiederaufbau gezeigt. So hat sich ein chinesischer Unternehmer gefunden, der ebenfalls eine Kopie der Statuen (allerdings im Maßstab 1:2!) anfertigen lassen will.

Bei all den Diskussionen um den unbegreiflichen Akt der Zerstörung durch die Taliban wird über die Motivation der „radikalen“ Vorgehensweise der islamischen Gruppierung kopfschüttelnd hinweggegangen. Daß den Buddhisten, ähnlich den frühen Christen, über 500 Jahre lang eine Abbildung Buddhas gar nicht in den Sinn kam, sondern die Statuen erst geschaffen wurden, als der Buddhismus volksreligiösen Charakter annahm - in diesem Fall um die Macht einer lokalen Herrscherfamilie zur Schau zu stellen - ist wenig bekannt.

Für den Buddhisten, der der Vergänglichkeit aller Dinge stets eingedenk zu sein hat, ist die Zerstörung der meisterhaften Kunstwerke nur eine allzudeutliche Ermahnung an den Charakter irdischen Lebens. Für den fundamentalen Moslem hingegen muß die nachbarschaftliche Toleranz eines Götzenbildes ein infames Sakrileg darstellen. Beide, im gläubigen Leben ihrer Religion, hätten die Vernichtung der Statuen auf ihre Art und Weise verstanden. Von einer materiell orientierten Weltöffentlichkeit westlicher Prägung, für die der Untergang jeder gegenständlichen Erscheinung zugleich eine Beschneidung des eigenen Selbstverständnisses bedeutet, kann dies jedoch leider nicht mehr erwartet werden.

„Gott ist tot“, weiß man seit Nietzsche, und aufflackernde Spiritualität verkommt zur Modeerscheinung. So wird in dem Wiederaufbau des Figurenreliefs von Bamiyan auch vornehmlich die Wiederherstellung einer wichtigen Geldquelle für die einheimische Region gesehen und weniger der ideelle Symbolgehalt einer solchen Statue bedacht. Doch vermarktete Religion verliert ihren Wert, da sie unbezahlbar ist. Die Taliban wissen das, die Buddhisten wissen das. Nur der westlichen Wertegemeinschaft scheint zumindest dieser eine Wert verlorengegangen. 


 
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