© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Profitable Verschwörung aufgedeckt
Vitaminkartell: Globalisierte Wirtschaftskriminalität mit regionaler Strafverfolgung / Milliardenstrafen durch Wettbewerbsbehörden
Bernd-Thomas Ramb

Das Vergehen ist unstrittig. Die international operierenden Chemie- und Pharmafirmen Roche (Ex-Hoffmann-La Roche), BASF, Aventis (Hoechst/Rhone-Poulenc), Merck und weitere kleinere Unternehmen haben vom September 1989 bis zum Februar 1999 den Weltmarkt für den Handel mit Vitaminen unter sich aufgeteilt und dazu überzogene Preisabsprachen getroffen. Die Dimensionen sind beträchtlich.

Die künstlichen Vitaminprodukte A, B2, B5, C, E sowie das dazugehörige Beta-Carotin werden in einem weltweiten Umfang von ca. fünf Milliarden Dollar jährlich gehandelt. Die Nachfrage nach Vitaminpräparaten nimmt dabei jedes Jahr um etwa sieben Prozent zu, nicht zuletzt weil Vitamine zunehmend als Therapiemittel entdeckt - oder zumindest von den Konsumenten dafür gehalten werden. Den größten Weltmarktanteil von 40 Prozent besitzt die Schweizer Firma Roche, die auch als Initiator des Kartells angesehen wird. Zweitgrößter Akteur ist die deutsche BASF, die nach dem Aufkauf des japanischen Vitaminfabrikanten Takeda über einen globalen Marktanteil von 30 Prozent verfügt. Die Schadenshöhe, die durch die illegalen Preisabsprachen entstanden ist, kann nur geschätzt werden. Sie dürfte jedoch in Höhe einiger Milliarden Dollar liegen. So betrug etwa die Gewinnquote von Roche in den Superjahren des Kartells fast ein Viertel des Umsatzes. Nach der Zerschlagung halbierte sich die Gewinnmarge auf zwölf Prozent vom Umsatz. Ähnliches gilt für die BASF, die nun über magere Gewinne von angeblich nur noch zwei Prozent des Umsatzes klagt.

Das Ende des Kartells, immerhin fast drei Jahre zurückliegend, läutete die US-Kartellbehörde ein. Sie unterrichtete bereits im März 1999 die betroffenen Firmen über entsprechende Ermittlungen. Der Leiter der Kartellbekämpfungsabteilung im US-Justizministerium, Joel I. Klein, bezeichnete damals das „Vitaminkartell“ als die „umfassendste und schädlichste kriminelle Kartellverschwörung, die jemals aufgedeckt wurde“. Ein Jahr später zahlte die Firma Roche eine Strafe von 500 Millionen Dollar, BASF kam mit etwa 225 Millionen Dollar davon. Insgesamt verhängte die US-Kartellbehörde an die beteiligten Firmen Bußgelder in einer Gesamthöhe von einer Milliarde Dollar. Einer der Hauptakteure, Roche-Manager Kuno Sommer, mußte zudem eingestehen, die US-Wettbewerbsbehörde bei einer Anhörung 1997 bewußt angelogen zu haben und deshalb eine Freiheitsstrafe antreten.

Die EU-Wettbewerbskommission wurde erst später aktiv. Selbst die Schweizer Wettbewerbshüter konnten bereits im letzten Jahr ihre Bußgelder eintreiben. Auch liegt die Strafhöhe der EU deutlich unter den US-Ausmaßen, obwohl das betroffene Marktvolumen ähnliche Größenordnungen erreicht. Die EU beschränkt sich auf ein Gesamtstrafmaß von 885 Millionen Euro, von denen die Schweizer Firma Roche den Hauptanteil von 462 Millionen zu tragen hat.

Die BASF muß den zweitgrößten Betrag in Höhe von 296 Millionen Euro und damit mehr als an ein Drittel zahlen. Auch wenn die EU-Wettbewerbsbehörde beteuert, noch nie eine Strafgeldzahlung in dieser Höhe verhängt zu haben - die höchste war bisher ein Bußgeld von 272 Millionen Euro, das ein Reedereikartell zu entrichten hatte - die Strafhöhe liegt unverständlich tief unter dem amerikanischen Maß. Dabei schloß sich EU-Kommissar Monti durchaus der früheren US-Einschätzung an, daß Vitamin-Kartell sei das schlimmste gewesen, gegen das jemals ermittelt wurde.

Wenn nun einzelne Pharmafirmen, wie etwa Roche, überlegen, gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einzulegen, sollte dies durchaus die Gefahr bergen, die Strafgelder in einem neuen Verfahren nochmals nach oben zu verändern. Neben der Diskussionsbedürftigkeit der Bußgeldhöhe besteht durchaus die grundsätzliche Frage der Begründung solcher Verfahren. Rechtlich eindeutig sind Kartelle, gerade mit der Zielsetzung der Preisabsprache zur Gewinnerhöhung, strafwürdige Unterfangen. Selbst aus der theoretischen Sicht der neoliberalen Marktwirtschaft, die eine Kartellbildung nicht prinzipiell verurteilt, sind solche Kartelle schädlich, im Gegensatz zu Unternehmensvereinigungen, die eine Kostenreduktion zum Zwecke der Verlustminderung zum Ziel haben oder den Effekt von Preissenkungen bewirken.

Dieser Tatbestand lag im Falle des Vitamin-Kartells eindeutig nicht vor. Sogar im nun wiederhergestellten globalen Wettbewerb kann etwa die BASF immer noch Gewinne in Höhe von zwei Prozent vorweisen. Ob dies angesichts des relativ geringen Umfangs der weltweit gehandelten Vitaminprodukte für die BASF zu viel oder zu wenig ist, bleibt der unternehmerischen Einzelentscheidung vorbehalten. Im Falle Roche ist das Profiterhöhungsmotiv noch eindeutiger, da die wettbewerbliche Gewinnmarge von zwölf Prozent durch das Kartell auf 24 Prozent angehoben wurde. Daneben erhebt sich aber auch die Frage nach den eigentlich Klageberechtigten. Im Falle der USA wurde seinerzeit mit der Bußgeldzahlung an die US-Behörde eine Sammelklage privater Geschädigter abgewiesen. Eine ähnliche Konstruktion fehlt in Europa. Den Schaden durch überhöhte Preise hatten aber die Konsumenten, wie auch die Nahrungs- und Futterindustrie, die auf die Verarbeitung von Vitaminprodukten angewiesen ist.

Wie werden diese nun entschädigt? Die EU besitzt nicht nur ein Monopol auf die Festlegung der Schadenssumme, sondern auch ein Rechtsmonopol auf die Klageerhebung. Letztlich ist somit ein monopolartiges Kartell durch ein politisch-rechtliches Monopol bekämpft worden. Daß die Bußgeldeinnahmen der EU möglicherweise, wenngleich in unbekannter Dimension und Aufteilung, die Zahlungspflicht der EU-Länder und damit die Steuerlast der Bürger reduziert, ist ein zu schwacher Trost.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen