© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Raus aus der Zelle - rein in die Zelle
Jugendkriminalität: Der abgeschobene Serienstraftäter „Mehmet“ kann nach Deutschland zurückkehren / Günther Beckstein will ihn wieder inhaftieren
Beatrix Madl

Wenn der jugendliche Serienstraftäter „Mehmet“ nach München kommt, könnte er gleich wieder Ärger mit der Justiz bekommen. Die Münchner Staatsanwaltschaft will die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen ihn beantragen. Damit könnte der jugendliche Türke erneut vor Gericht und sogar ins Gefängnis kommen. Wegen des Überfalls auf einen Schüler war Muhlis A., wie „Mehmet“ richtig heißt, im Oktober 1998 zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Noch bevor das Urteil rechtskräftig werden konnte, wurde der damals 14-jährige Türke im November 1998 aus der Untersuchungshaft nach Istanbul abgeschoben, das laufende Strafverfahren eingestellt. Die Staatsanwaltschaft wartet mit ihrem Schritt nur noch darauf, bis der nun 17jährige wieder deutschen Boden betritt. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein kommentierte dies gegenüber einer großen deutschen Tageszeitung auch schon mit Genugtuung: „Wenn die Revision dieses Urteil bestätigt, wäre Mehmets Freiheit hier von kurzer Dauer.“ Noch haben alle Anstrengungen des jugendlichen Serienstraftäters „Mehmet“, so schnell wie möglich wieder nach München zu kommen, nicht gefruchtet. Das Urteil, das ihm seine Rückkehr erlaubt, ist noch nicht rechtskräftig. Nur im Fall seiner Rechtskraft darf er wieder in Deutschland landen. Eine Auseinandersetzung mit der Justiz, die dann möglicherweise folgt, wäre dann wohl ein erstes Frusterlebnis, vor dem der Gerichtsgutachter Professor Norbert Nedopil schon gewarnt hat.

Der Psychiater räumte in seiner - für „Mehmet“ insgesamt positiven - Expertise ein, daß der 17jährige zwar gereift sei, bei Frust aber rückfällig werden könne. Nun soll mit einer sogenannten „intensiven sozialpädagogische Einzelbetreuung“ des Jungen für rund 100.000 Mark jährlich vorgebeugt werden. Während der Zeit in der Türkei, in der Muhlis A. gelegentlich als Lackierer und Radiomoderator jobbte, sei dessen Aggressivität aber nicht merklich gesunken, stellte der Gutachter fest. Weil jedoch nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, daß Muhlis A. wieder straffällig werde, soll er nun nach Überzeugung der obersten bayerischen Verwaltungsrichter zurückkehren dürfen.

Und daß, obwohl die frühere „intensive sozialpädagogische Betreuung“ nichts genützt hatte. Gerade einmal zweieinhalb Wochen lang war „Mehmet“ 14 Jahre alt, da beging er im Juli 1998 bereits seine 62. und bisher letzte Straftat, der Überfall auf einen Schüler, weswegen er dann später auch verurteilt wurde. Im zarten Kindesalter von sieben Jahren begann Muhlis A. seine kriminelle Karriere. Diebstahl, Raub und Körperverletzung reihten sich aneinander. Als Elfjähriger stahl er 90 CDs sowie mehrere Fahrräder und beging zudem zahlreiche Überfälle. Dabei ging der türkische Junge mit bemerkenswerter Aggressivität vor. Eine junge Zeugin bedrohte er mit einem Messer. Als Dreizehnjähriger schlug er einen Jungen bei einer Faschingsfeier krankenhausreif, um an dessen Geld zu kommen. Offen und ohne Reue gestand er später, schon in der Absicht sich zu prügeln auf die Party gegangen zu sein. Erst im Juli 1998 konnte ein Jugendrichter Haftbefehl erlassen, weil Muhlis A. zum Zeitpunkt seines Überfalls auf einen Schüler bereits strafmündig war.

Nun stützte sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung für die Rückkehr „Mehmets“ auf das EWG-Assoziierungsabkommen mit der Türkei von 1980. Demnach dürfen sich türkische Jugendliche, deren Eltern seit längerem in Deutschland arbeiten, dort auch aufhalten. Da der Verwaltungsgerichtshof keine Revision zuließ, gibt es nur eine geringe Chance, die Rückkehr des jugendlichen Serienstraftäters zu verhindern. Bayerns Innenminister Günther Beckstein und der Münchner Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle versuchen dies mit einer Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Mit diesem Rechtsmittel wird die Rückkehr von Muhlis A. zunächst einmal aufgeschoben. „Spätestens dann, wenn er in seine Neuperlacher Clique zurückkehrt, droht aber doch ein Rückfall in frühere Verhaltensmuster“, befürchtet der Innenminister. Der Stadtteil Neuperlach im Münchner Südosten ist ein Viertel mit hohem Ausländeranteil, in dem vorwiegend Sozialschwache leben.

Und „Mehmets“ Anwalt Alexander Eberth stellte auch schon einen Antrag auf „sofortige Vollziehbarkeit des Urteils“. Damit will er eine Rückkehr von Istanbul nach München schon in den nächsten Wochen durchsetzen. Die Abschiebung kritisierte der Anwalt als „ausländerfeindlich“. 


 
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