© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Heiße Eisen werden abgekühlt
Zuwanderung I: In der CDU bröckelt die Ablehnungsfront gegen den rot-grünen Gesetzentwurf / CSU fordert zur Auseinandersetzung auf
Paul Rosen

Direkt nach der Parlamentswahl in Dänemark keimte bei der bayerischen CSU Siegeshoffnung. In dem skandinavischen Land hatten die bürgerlichen und rechten Parteien den Kampf gegen Überfremdung durch zu massive Zuwanderung auf ihre Fahnen geschrieben und die Wahl souverän gewonnen. Das müsse, denken seitdem die Strategen in der bayerischen Staatskanzlei, auch in Deutschland möglich und damit der Sieg für die Union bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 zu erreichen sein. Doch Politik ist bekanntlich nicht die reine Lehre, sondern die Kunst des Möglichen. Und mit der großen Schwester CDU dürfte die bayerische Strategie, in einem vom Thema Zuwanderung geprägten Wahlkampf zu punkten, nicht zu machen sein.

Erfolg in der Politik hängt natürlich auch immer von Mehrheiten ab. Die rot-grüne Koalition hat sich auf ein Zuwanderungsmodell verständigt, das im Gegensatz zur Ankündigung von Innenminister Otto Schily (SPD), die Zuwanderung begrenzen zu wollen, eine erhebliche Ausweitung von Zuwanderungs- und Asylgründen vorsieht. So stellten die innenpolitischen Sprecher von CDU und CSU aus Bund und Ländern fest, die Ausweitung der Anerkennung von Fluchtgründen auf nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung hebe das Grundgefüge des deutschen Asylrechts aus den Angeln. Schilys Gesetzentwurf sei ein Etikettenschwindel. Auch andere Regelungen, wie etwa die aus Sicht der Union nicht ausreichende Senkung des Nachzugsalters von Familienangehörigen von Ausländern, dürften die Einreisezahlen nach Deutschland nicht senken. Im Bundestag haben SPD und Grüne für ihr Zuwanderungsmodell eine tragfähige Mehrheit. Im Gegensatz zum Bundeswehr-Einsatz ist die Zuwanderung nicht umstritten.

Probleme gibt es für Schily jedoch im Bundesrat, dessen Zustimmung er ebenfalls braucht. SPD und Grüne verfügen dort über 31 Länderstimmen, genauso viel wie die Unionsländer, für die Mehrheit werden jedoch 35 Stimmen gebraucht. Seitdem richten sich alle Blicke auf die Große Koalition von SPD und CDU in Brandenburg, wo Jörg Schönbohm das konservative Aushängeschild der CDU und Landesinnenminister ist. Mit den vier Stimmen von Brandenburg könnte Schily seine Mehrheit erreichen.

Nach wachsweichen Äußerungen von Schönbohm im CDU-Präsidium, wo er nach Ansicht von Teilnehmern etwas zu deutlich auf die Interessen seines Bundeslandes verwiesen haben soll, wächst in der CSU die Sorge, Schönbohm könne sich aus der Frontlinie gegen Rot-Grün schleichen und die Zuwanderungsregelung passieren lassen. Doch die CDU-Front bröckelt auch an anderen Stellen. So signalisiert die Große Koalition in Bremen, daß sie den Schily-Entwurf sympathisch findet. Pech für den Bundesinnenminister. Die Hansestadt verfügt nur über drei Stimmen und damit eine zu wenig, um ihm helfen zu können. Da müßte noch ein anderer Abweichler mitmachen, um Rot-Grün zu einer Mehrheit zu verhelfen. Es gebe allerdings noch „andere Potentaten der CDU, die nicht hundertprozentig kalkulierbar sind“, ahnt bereits CSU-Landesgruppenchef Michael Glos mit Blick auf den Vorsitzenden der CDU-Zuwanderungskommission, den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller. Auch Müller steht bei den Bayern unter Verdacht, eine weiche Linie in der Politik zu fahren, statt den harten Schlagabtausch mit dem politischen Gegner zu führen. Besonders verdächtig machte sich Müller durch seine Ankündigung, sich wieder mit Schily treffen zu wollen. Dabei sollen offenbar Einigungsmöglichkeiten ausgelotet werden. Die Stimmen von Bremen und dem Saarland würden auch für eine Mehrheit reichen, falls Brandenburg doch neutral bleibt.

Der CSU-Bundesratsminister, Reinhold Bocklet, warf der CDU bereits eine schlingernde Haltung in der Zuwanderungsfrage vor. Auch Stoiber hält eine klare (das heißt ablehnende) Haltung der Opposition für das Kerngut der Union. Der Bayer, der nach dem Willen der Mehrheit der CDU und CSU-Funktionäre der bessere Kanzlerkandidat wäre, glaubt nicht, daß die Union nur mit Wirtschaftsthemen die Wahl gewinnen kann. CSU-Leute erinnern gern an die Auseinandersetzung um die doppelte Staatsbürgerschaft: Damit kam die Union nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 wieder auf Touren, brach mit der Machtübernahme in Hessen Rot-Grün einen Zacken aus der Krone und setzte danach zu einer sensationellen Wahlsiegestour an, die erst durch die Aufdeckung der Spendenaffäre beendet wurde.

Merkel verbittet sich Ratschläge aus Bayern

Damals dasselbe Bild wie heute: Während CDU-Leute und CSU-Mitglieder im Süden der Republik eifrig Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sammelten, hielten sich CDU-Funktionäre im Norden und fast die gesamte CDU-Bundesführung sehr bedeckt. Erst nach dem hessischen Erfolg waren alle überzeugt, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. So werden CDU-Funktionäre auch heute nicht müde, der CSU Einmischung vorzuwerfen. Schönbohm riet der CSU, den Mund zu halten, und Parteichefin Angela Merkel verbat sich Ratschläge aus bayerischen Gefilden. Dort ist man der Ansicht, Schönbohm solle die Koalition platzen lassen, falls Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) im Bundesrat überraschend Ja sagen sollte.

Vergeblich erscheint der bayerische Rat, Schönbohm und auch die CDU-Bundesführung sollten „das Ende bedenken“. Dabei ist das Ende doch absehbar: Fällt die CDU bei der Zuwanderung um, weil ihr ein harter Streit mit der SPD und den Grünen unangenehm ist, fehlt das zündende Thema für den Bundestagswahlkampf. Allein mit Wirtschaftsthemen ist die Wahl nicht zu gewinnen. Auch die SPD hatte schon zu Helmut Kohls Zeiten regelmäßig versucht, die steigenden Arbeitslosenzahlen zum beherrschenden Thema zu machen. Solange in Deutschland Nichtarbeiten aber immer noch relativ gut von den Sozialkassen besoldet wird, ebbt das Thema ab. Die Sozialdemokraten haben dies mit schöner Regelmäßigkeit in ihren eigenen Oppositionszeiten erlebt.

Nur: Das Thema Zuwanderung wird diskutiert, an Stammtischen, beim Sport und in den Familien. Die CDU muß wissen, daß sich verschwiegene Themen ihre Parteien suchen. Bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg war das bereits beim Thema Innere Sicherheit zu erleben - Schill ante portas.


 
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