© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Ein Spiel auf doppeltem Boden
Oper: Willy Deckers „Walküre“ an der Semperoper in Dresden
Konrad Pfinke

Alles ist Theater. Zumindest Wotan mag es glauben, wenn er als Regisseur den „großen Gedanken“ zu realisieren sucht, indem er Menschen nach seinem Bilde auf die Bühne stellt, die die Dresdner „Walküre“ doppelbödig ausfüllt - denn Willy Decker bleibt natürlich bei der Theatermetapher: den schönen Sesselreihen, vor denen einst Erda ihren großen Weltentraum begann, den Brettern, auf und unter denen nun die Menschen und Götter agieren. Nun dürfen Siegmund und Sieglinde Schicksal spielen - aber die Inszenierung zerbricht dem Regisseur, Herrn Wotan, unter den Gesetzen, die er doch gerade szenisch aushebeln wollte.

Die Frage, ob sich Willy Decker in seiner Dresdner „Walküre“ mit dem Bild vom Theater, auf dem der „Ring“ nun einmal für alle Zeiten spielt, nicht übernommen hat, sie kann der Zuschauer ganz im Sinn der zerbrechenden Göttermacht beantworten. Die inszenierte Inszenierung nämlich muß sich verselbständigen, denn jeder kann schließlich nur das spielen, was er spielen muß, weil er doch mehr als eine Marionette von göttlichen Gnaden ist. Aus die Träume des Modellbauers, dessen Gipsfiguren und Architekturmodelle (natürlich) im Wutsturm von der Bühne gefegt werden. Kein Wunder, daß Siegmund durchaus nicht „heldenhaft“ die Szene betritt, sondern sonderbar unentschlossen, sichtlich überfordert durch die Stuhlreihen tappt, wenn es gilt, die hysterische Geliebte zu beruhigen. Kein Wunder auch, daß der Kampf zwischen Siegmund und Hunding auch deshalb jenseits der Szene stattfinden kann, weil Sieglindes stummer, schockierter Kommentar beredter ist als ein fauler Bühnenzauber. Tiefsinnig, daß die Bühne bald zur blutig ernsten Welt wird - und schließlich, wenn alles zu spät ist, gänzlich verschwindet, was zwar sehr schön aussieht, aber die Frage aufwirft: Wie soll das alles enden?

Noch ruht Brünnhilde auf der Weltkugel, die unversehens wieder aus der Tiefe sich erhob. Willy Deckers Vorliebe für dramatische Symbole bleibt in diesem Fall unter dem Niveau, das die avancierte Schlichtheit des Raums beeindruckend hält - aber anders als im „Rheingold“ besitzt diese „Walküre“ mit Peteris Eglitis einen Wotan von schönem Format, das steigerunfähig ist. Ihm zur Seite die herrlich dunkel timbrierte Iris Vermillion als arrogante Göttergattin. Kurt Rydls Hundig ist verläßlich wie immer - kein Wunder, daß sich Sieglinde vor ihm fürchtet und sich in die Arme eines anderen Mannes flüchtet, der zum Supermann nicht geboren ist, aber anrührende Töne des Leidens produziert: Evelyn Herlitzius und Robert Gambill verleihen dem Wälsungenpaar ihren Stimmschmelz und die nötige schauspielerische Itensität. Deborah Polaskis Brünnhilde hat nichts von ihrer Kraft und ihrer Leidenschaftlichkeit eingebüßt: auch hier herrscht die vokale Schönheit, die elegante und vitale Ausdruckskraft, die über manch gestische Konvention hinwegtröstet. Schließlich das Corps der Walküren: beste Dresdner Qualität, die von der phänomenalen Staatskapelle grundiert wird, denn Semyon Bychkov leitet das Orchester, mitunter durch extrem langsame, doch nie spannungsarme Tempi. Bedeutend leiser als noch im „Rheingold“, realisiert die Kapelle unter seiner bayreuthreifen Leitung ein subtiles, ohrenschmeichelndes Kammerspiel. Mag sein, daß der Feuerzauber am Ende - wie so oft und naturgemäß - szenisch nur zum faulen Bühnenzauber geriet. Die Spannung, wie das Dresdner „Ring“-Spiel musikalisch und theaterisch weitergeht, ist dadurch nicht geringer geworden. Endgültiges kann man - und auch das ist natürlich - noch nicht sagen, nur soviel (eine alte Wotan- Weisheit): Es bleibt schwierig.


 
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