© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Neue bulgarische Kehrtwende
Carl Gustaf Ströhm

Der Sieg des Ex-Kommunisten Georgi Parwanow bei den Präsidentenwahlen in Bulgarien bedeutet für den Balkan nichts Gutes. Auch der sozialistische Parteichef, der den konservativen Amtsinhaber Petar Stojanow überraschenderweise schon beim ersten Wahlgang ins Abseits stellte, will Bulgarien in die Nato und die EU führen. Wie könnte es anders sein? Darin unterscheidet sich Parwanow nicht von den anderen Ex-Kommunisten, die heute in Ostmitteleuropa an der Macht sind.

Das Problem liegt nicht so sehr beim 44jährigen KP-Historiker. Erstaunlich ist das Verhalten der bulgarischen Wähler, die erst vor einem Vierteljahr bei Parlamentswahlen ihren aus dem Exil heimgekehrten Ex-König Simeon II. zum Premier machten, die ferner Parwanows Sozialisten (vergleichbar der PDS) mit 18 Prozent abstraften - und die jetzt eine Kehrtwendung vollzogen. Es ist nicht auszuschließen, daß sie so zwischen „Sakskoburgotski“ ( d.h. Sachsen-Coburg-Gotha) und dem künftigen „roten“ Staatsoberhaupt eine Pattsituation herbeiführten, die es Simeon schwer machen wird, seine Reformen durchzusetzen: Der Präsident hat ein Vetorecht im Gesetzgebungsverfahren.

Die Schnellebigkeit und der Illusionismus des Wählerverhaltens in einem ehemals kommunistischen Land wird hier auf drastische Weise deutlich - damit aber auch die potentielle Instabilität. Die Bulgaren waren es gewohnt, daß jemand anderes - sei es ein KP-Führer oder auch ein König für sie die Entscheidungen traf. Nach der Wende richtete sich die Wut zunächst gegen die Kommunisten und alle Hoffnungen konzentrierten sich auf die antikommunistische, nationale „Union Demokratischer Kräfte“. Nach kurzer Zeit wendeten sich die Bulgaren aber wieder den Sozialisten zu, dann den neuformierten Konservativen.

Am Ende gab es unter den Wählern eine Erdrutschbewegung zugunsten des Ex-Königs aus deutschstämmiger Dynastie. Jedesmal erwarteten die Bulgaren Wunder - und jedesmal wurden sie enttäuscht. Jetzt droht ihnen mit Simeon II. das gleiche Schicksal. In Verkennung der Realitäten hatten sie den König zum Premier gemacht - in der Hoffnung, er sei ein Zauberer, der die Bulgaren über Nacht aus dem Tal der Tränen in den Wohlstand führen werde. Man füllt den Stimmzettel aus, geht nach Hause, legt sich ins Bett - und beim Erwachen am anderen Morgen ist alles anders und besser.

Jetzt, da sich herausstellt, daß auch der „reiche“ König nicht zaubern kann, kommt - kennzeichnend für eine innerlich nicht gefestigte und im Grunde orientierungslose Wählerschaft - der Gegenschlag des Pendels: Die Hälfte ging zwar nicht zur Wahl, doch das Drittel, das die „realsozialistische“ Vergangenheit gern verklärt, verhalf Parwanow zum Sieg. Vor 1990 wurde man zwar unterdrückt, dafür hatte man einen sicheren, wenn auch schlechtbezahlten Arbeitsplatz, an dem man nicht viel tun mußte. Konkurrenz, Streß, Pleiten und Eigenverantwortung gab es nicht. Wenn nun auch der bisher hochgelobte König nichts zu ändern vermag, dann soll wenigstens der Sozialist die alten Zustände - als man noch zu wissen glaubte, woran man war - wiederherstellen.

Daß auch dies eine grausame Täuschung ist, steht auf einem anderen Blatt. Bulgarien, dieses ausgeplünderte, von Korruption und Mißwirtschaft heimgesuchte Land wird lange brauchen, bis es festen Boden unter den Füßen hat. Die EU und auch Deutschland haben trotz schöner Worte nichts für den einstigen Bündnispartner getan. Das Erschreckende: Auch freie Wahlen können, wie Bulgarien zeigt, in die Sackgasse führen.


 
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