© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Kolumne
Buß- und Bettag
Klaus Motschmann

Nach dem 11. September sollte alles anders werden und nichts mehr so sein, wie es vorher war. Mit dem „Abschied von der Spaßgesellschaft“ sei ein Prozeß radikalen Umdenkens eingeleitet worden. Da und dort ist von der Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf die religiöse Dimension in Gesellschaft und Politik die Rede, so Jürgen Habermas in seiner Paulskirchen-Rede Mitte Oktober anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. Und dies, obwohl der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zu den Terroranschlägen in den USA davon ausgeht, „daß sie nichts, aber auch gar nichts mit Religion zu tun haben“. Eine überaus fragwürdige Aussage, die beunruhigende Rückschlüsse auf die Maßstäbe der politischen Richtlinienkompetenz des Kanzlers gestattet. Alles politische Handeln hat mit Religion zu tun. Man denke nur an die entsprechenden Reaktionen führender Politiker in den USA.

Bis vor wenigen Jahren hat uns der Buß- und Bettag in der nächsten Woche an diesen Zusammenhang erinnert, und zwar nicht nur das Volk, sondern vor allem auch alle Verantwortlichen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Die Anzeichen verdichten sich, daß der Bußtag nicht allein zur Finanzierung der Pflegeversicherung als staatlicher Feiertag (außer in Sachsen!) abgeschafft worden ist, sonder auch wegen dieser ursprünglichen Bedeutung für die Öffentlichkeit. Der Begriff „Buße“ im Sinne des Bußtages zielt entgegen manchem Mißverständnis nicht allein auf das Bekenntnis von Schuld (confessio) und Bekundung von Reue (contritio) ab, sondern immer auch auf die Vergebung von Schuld (satisfactio) auf dem Wege der Umkehr zu Gott durch „Sinneswandel“ (so das neutestamentliche griechische Wort für Buße). Durch menschliche Schuld gestörte Ordnungen lassen sich demnach nicht allein durch materielle Leistungen (Geldbußen) wiederherstellen, sondern vor allem durch Schuldvergebung als Ausdruck eines Sinneswandels.

An Bekenntnissen von Schuld und Bekundungen von Reue fehlt es in unserem Volke wahrlich nicht. Insofern ist jeder Tag in Deutschland ein Bußtag. Wenigstens an einem Tage sollten wir uns aber an das Wesen echter Buße erinnern lassen - und damit an eine Grundvoraussetzung verantwortlicher Politik: „Anstatt sich um das zu kümmern, was den Politiker angeht: die Zukunft und die Verantwortung vor ihr, befaßt sie sich (eine bestimmte „Ethik“) mit politisch sterilen, weil unaustragbaren Fragen der Schuld in der Vergangenheit. Dies zu tun, ist politische Schuld, wenn es irgendeine gibt“ - so jedenfalls der Senior der klassischen deutschen Soziologie Max Weber (1920).

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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