© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Das Ende eines Experimentes
Parteien: Wie bei Bündnis 90/Die Grünen der Faktor Macht die Ideale korrumpiert
Matthias Bäkermann

Der Traum ist aus“, heißt es in einem Titel des neu aufgelegten Albums „Keine Macht für Niemand“, welches die verbliebenen Mitglieder der linksgerichteten Agit-Rock-Band „Ton-Steine- Scherben“ neu aufgelegt haben. Dieser Titel wirkt wie zugeschnitten auf ihre ehemalige Managerin Claudia Roth, die seit März dieses Jahres als Bundesvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen längst auf den harten Boden der Realität zurückgeworfen wurde. Diese Realität besteht darin, immer mehr seiner früheren Prinzipien der Machterhaltung zu opfern und sich immer mehr von den Wünschen und Zielen seiner eigenen politischen Basis zu entfernen.

Am 12. November hat der Parteirat der Bündnisgrünen die Empfehlung beschlossen, dem Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zuzustimmen. Daß die Zustimmung auch noch „mit großer Mehrheit“, nämlich zwölf gegen zwei Stimmen, beschlossen wurde, muß einem Basisgrünen mit dem Selbstverständnis, einer „jeher als Anti-Kriegs-Partei“ definierten Gruppierung anzugehören, die Zornesröte ins Gesicht steigen lassen. Dabei wird die Zustimmung, mit der man, laut Aussage der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, „das grüne Element“ in die Regierungsarbeit transportieren will, auch noch als Sieg der eigenen Position gefeiert. Denn man habe das Bekenntnis der „uneingeschränkten Solidarität“ in eine „kritische Solidarität“ umgewandelt, was Bundeskanzler Schröder schwer beeindrucken dürfte. Der erkannten Erwartung und Forderung der Wählerschaft, „Nein zu militärischer Eskalation und zur bedingungslosen Loyalität gegenüber der USA zu sagen“, wird ganz offen die Gestaltungsmöglichkeit in der Bundesregierung und auf internationalem Parkett durch den grünen Außenminister und Vizekanzler Joseph Fischer gegenübergestellt.

Lediglich der kleine Rest der grünen Bundestagsabgeordneten, die ihre Ablehnung der Entsendung deutscher Truppen in einem Positionspapier zusammengefaßt haben, ist noch bemüht, auf die Meinung der Basis Rücksicht zu nehmen. Prominentester Vertreter dieser acht Abgeordneten ist Hans-Christian Ströbele, der grundsätzliche Erwägungen gegen die Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung zur Bereitstellung von Bundeswehreinheiten hat. Zum einen entmündige der Antrag das Parlament, da der Bundestag militärische Einsätze ermächtigen will, deren Charakter und Einsatzort nicht bekannt seien und damit der Verantwortung des Parlamentes nicht gerecht würden. Ein weiterer Grund für die Ablehnung der Bereitstellung deutscher Truppen sei die „Enttabuisierung“ des Militärischen als Mittel der deutschen Außenpolitik, die durch den Einsatz „einen entscheidenden Schritt weiter“ vorangetrieben werde.

Gestaltungsmöglichkeit gegen Basisforderung

Die Landesverbände der Grünen, ohnehin durch die verlorenen Wahlen der letzten Jahre nur noch in den alten Bundesländern (außer im Saarland) in den Landesparlamenten vertreten, rücken von der Linie der Parteiführung ab. In Baden-Württemberg, einem Stammland der Grünen und Heimat der Grünenvorstände Fritz Kuhn und Reinhard Bütikofer und des Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch , ist man zwar grundsätzlich dafür, „militärische Maßnahmen in ein politisches und humanitäres Konzept einzubetten“, lehnt jedoch „Vorratsbeschlüsse, die über ein ganzes Jahr gehen, ab“ und steht somit im Ländle dem Antrag der Bundesregierung kritisch gegenüber.

Die Bremer Grünen, einer der ältesten Landesverbände, sehen einem Einsatz noch kritischer entgegen. Ihr Sprecher Klaus Dieter Möhle äußerte in der Bild am Sonntag, daß sich sein Landesverband auch durch Drohungen nicht von Kanzler und Außenminister unter Druck setzen lasse. Ebenso äußerte sich Björn Pistol, Landesvorstandssprecher der schleswig-holsteinischen Grünen. „Die Kröte können wir nicht schlucken, auch wenn die Koalition zu zerbrechen droht.“ Diesem Landesverbandkommt besonderes Gewicht zu, denn neben Nordrhein-Westfalen und Berlin sind die Grünen nur noch in diesem Bundesland an der Regierung beteiligt. Die Grün-Alternative-Jugend (GAJ) in Kiel fordert bei der kommenden Abstimmung die Aufhebung des Fraktionszwanges, denn „die Koalitionsfrage darf hier nicht entscheidend sein, es geht um die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden“, wie Landesgeschäftsführer Lars Schmidt begründet.

Die Berliner Grünen haben sich bislang nicht eindeutig zur Abstimmung geäußert, da die bevorstehende Koalitionsbildung zur taktischen Rücksichtnahme zwingt. Ebenso kommentarlos gibt sich die Hamburger GAL, deren Vorstand am 3. November wegen des enttäuschenden Wahlergebnisses das Vertrauen entzogen wurde und der darauf zurücktrat.

Dagegen hat der Landesverband Niedersachsen die Bundestagsfraktion und den Bundesvorstand sogar in einem Offenen Brief aufgefordert, ihren auf der Landesdelegiertenkonferenz gefaßten Beschluß zu berücksichtigen, der „eine Abkehr von der Priorität militärischer Mittel zugunsten politischer und humanitärer Konzepte einfordert.“

Die bayerischen Grünen haben mit dem Beschluß eines Bundeswehreinsatzes ein internes Problem, da das Für und Wider sehr energisch diskutiert wurde. Die Androhung, daß „ fast alle Kreisverbände einen Austritt aus dem Bundesverband beabsichtigen würden, falls für den Bundeswehreinsatz gestimmt werden sollte“, wurde von den Landesvorsitzenden Margarete Bause und Jerzy Montag insoweit dementiert, daß die Formulierungen „fast alle“ und „viele“ Kreisverbände nicht der Realität entsprächen.

Die Landesverbände in den neuen Ländern treten fast einmütig gegen eine Befürwortung eines Bundeswehreinsatzes ein. Der brandenburgische Landesvorsitzende Roland Vogt erklärte sogar, „mit der gleichenTrauer, mit der wir der Opfer der Anschläge in New York gedenken, gedenken wir nun der Opfer, die in fast allen größeren Städten Afghanistans durch grobschlächtige Waffen wie Cruise Missiles schon zu Tode gekommen oder verletzt worden sind.“

„Diese Kröte können wir nicht schlucken“

Einzig der hessische Landesverband unterstützt den Bundesvorstand in seiner Empfehlung zur Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Aktionen. Die Landesvorsitzenden Hubert Kleinert und Evelin Schönhut-Keil sehen in dem Beschluß des Parteirates weite Deckungsgleichheit zu den Ergebnissen, die in Gesprächen des Landesvorstandes mit den hessischen Bundestagsabgeordneten gewonnen wurden.

Da die Landesverbände zum großen Teil die Meinung der Parteibasis wiedergeben, muß sich die Parteiführung nun entscheiden, ob sie dem Machterhalt auf Bundesebene die Eintracht oder sogar die Einheit der Partei opfert. Die andere Perspektive dürfte dazu führen, daß sich die „grüne Politik“ aus den entscheidenden Positionen abmeldet. In beiden Fällen würde die Partei langfristig einen schmerzlichen Weg in die Bedeutungslosigkeit ansteuern - denn der ursprüngliche Idealismus ihrer Anfangsjahre, von dem die Grünen noch lange Jahre profitieren konnten, wurde allein - und das nicht nur auf Bundesebene - durch die bisherige Politik der unbedingten Machterhaltung korrumpiert und ist unglaubwürdig geworden.


 
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