© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Er hat die Welt verändert
Theater: Rolf Hochhuths neues Stück „Hitlers Dr. Faust“ handelt von dem Raketenforscher Hermann Oberth
Hans-Jörg von Jena

Sein Schüler Wernher von Braun hat Hermann Oberths „einsame Genialität“ gerühmt. Achtzehnjährig war der spätere Vater der Mondlandung Zeuge und Mittäter, wie Oberth 1930 in Berlin-Tegel erstmals Raketen ausprobierte, von deren Weiterentwicklung zur Weltraum-Tauglichkeit er fest überzeugt war. Das Adjektiv „einsam“ mag man doppeldeutig verstehen. Es bezeichnete nicht bloß eine absolute Spitze visionären wissenschaftlichen Talents, sondern auch ein menschliches Schicksal.

Allerdings, Oberth hatte Familie, und seine anfangs als vollkommen utopisch erscheinenden Ziele wurden im Laufe einiger Jahrzehnte verwirklicht. Er hat es noch erlebt. Erst 1989, volle 95 Jahre alt, ist Oberth gestorben. Damals waren Neil Armstrongs erste Schritte auf dem Mond schon zwanzig Jahre her und das ganze erfolgreiche Mondflug-Unternehmen in Gefahr, zur neugierig-kostenspieligen Fußnote der Menschheitsgeschichte zu schrumpfen. Inzwischen jedoch peilt man den Marsflug an. Ohne Oberths Raketen wäre all dies undenkbar.

Wer war Hermann Oberth? Ein Auslandsdeutscher aus dem siebenbürgischen Hermannstadt - und ein deutscher Träumer. Erfinder, Bastler und Experimentator, in seiner Vielseitigkeit am ehesten vergleichbar einem Manfred von Ardenne, konzentriert aber von jung an auf das Phantasma der Raumfahrt. Mit sieben legt er ein „Erfinderbüchlein“ an, mit zwölf liest er Jules Vernes „Von der Erde zum Mond“ und „Die Reise um den Mond“, mit dreizehn widerlegt er dessen Utopie mathematisch, mit vierzehn weiß er: die Rakete macht sie dennoch möglich. Und er arbeitet daran: 1912 mit der Ableitung der Grundgleichung des Raketenflugs, 1916 durch Erforschung der Schwerelosigkeit, 1917 mit dem Entwurf einer ersten Festrakete. Er unterrichtet Physik und Mathematik im heimatlichen Schäßburg, seine Dissertation „Die Rakete zu den Planetenräumen“ indes wird als „zu phantastisch“ abgelehnt (er läßt sie daraufhin auf eigene Kosten als Buch drucken). Soweit man ihn wahrnimmt, gilt er als begabter Sonderling. Auch Fritz Lang, der ihn 1928 als Berater für den Film „Die Frau im Mond“ verpflichtet, wird ihn als solchen angesehen haben.

Und er wäre es womöglich geblieben bis ans Ende seiner Tage, wäre da nicht - die Politik. Dreimal greift diese Sphäre in die seine hinüber - oder ist er selber es, der den Anstoß gibt? 1917 reicht er - er dient als Soldat an der Ostfront - seine für den Krieg brauchbaren Erfindungen beim kaiserlichen großen Generalstab ein; dort schüttelt man nur befremdet den Kopf. Nach 1933 aber bietet Hitler neue Chancen. Wernher von Braun wird zum Leiter der neuen Raketenversuchsanstalt in Peenemünde ernannt. Oberth arbeitet dort ab 1941 mit, Hitler genehmigt, anders als bei der Atomforschung, die Serienproduktion, KZ-Häftlinge werden als Arbeitssklaven herangezogen, die V1 und V2 richtet in London und Paris Zerstörungen an. Die USA schließlich ermöglichen die neuerliche Karriere und den endgültigen Erfolg.

Ein Leben wie ein Filmstoff, sei es als „Hollywood-Märchen oder nach dem deutschen Muster des Per aspera ad astra, aus herben Niederungen empor, wahrhaftig, zu den Sternen. Hier setzt Rolf Hochhuth an. Dem Dramatiker geht es um die unselige Verstrickung des Gelehrten in die Zwänge der Politik oder jedenfalls einer bestimmten Politik. „Hitlers Dr. Faust“ lautet der knallige Titel des im Berliner Schloßpark-Theaters kürzlich uraufgeführten Stücks. Daß Oberth auch Kennedys und Johnsons Dr. Faust und ein Möchtegern-Faust Wilhelms II. war, dient eher als mildernder Umstand.

Das Verstrickungsdrama ist selber recht simpel gestrickt. Im Rahmen eines Besuchs Oberths in einem seine Lebensleistung dokumentierenden Washingtoner Museum träumt sich Oberth an wichtige Stationen seines Lebens zurück. Brechts „Leben des Galilei“ mag als Muster der biographischen Szenfolge gedient haben, von den Komödienqualitäten dieses packenden Problemstücks allerdings findet sich bei Hochhuth nichts.

Man sieht den jungen Erfinder als Kapitän seiner siebenbürgischen Badewanne, die nationalsozialistische Herrschaft über das besetzte Dänemark wird durch eine melodramatisch beschworene Flucht über den Sund zur sentimentalen Farce, immerfort wird geredet und erörtert, und das leider in poetischer Ohnmacht. Die sachliche Einrichtung und Inszenierung des Textes durch Marcello de Nardo ist nicht geeignet, über die Schwächen des Stücks hinwegzuhelfen.

Aber ist das entscheidend? Man kennt Rolf Hochhuth. Er hat auch diesmal, wie noch jedesmal seit dem Papstdrama „Der Stellvertreter“ vor 38 Jahren, ein schwaches, ja mißratenes Stück geschrieben, aber er präsentiert ein aufregendes, beschäftigendes Thema. Die Handlanger- und Narrenrolle des Künstlers oder des Gelehrten im totalitären, überhaupt im politischen System (das stets ein System kurzfristiger Zwecke ist), ist zwar schon öfter behandelt worden, im Schloßpark-Theater zuletzt eindrucksvoll durch den „Fall Furtwängler“. Aber Oberth ist als Beispielfall unverbraucht und wegen seiner gewinnenden Naivität als Person besonders lehrreich. Vielleicht fände das dokumentarische Stück auf dem Bildschirm adäquater Platz als auf der Bühne. Sollte es zu einer Verfilmung kommen, könnten sicherlich der ausgezeichnete Hermann Treusch sowie Christine Wodetzky (deren Reaktion auf die Nachricht vom Tod der Tochter der menschlichste Augenblick des Theaterabends zu danken ist) erneut die Hauprollen des Ehepaars Oberth spielen.

Mathilde Oberth übernimmt den Part der instinktsicheren Vernunft. Sie warnt den geliebten Gatten vor seiner Anpassungswilligkeit an die jeweils Mächtigen, um seine verwegenen Projekte voranzubringen. Oberth, wird dabei klar, handelt nicht aus Leichtsinn, sondern aus Überzeugung. Nur wenn sie für den Krieg, er sei heiß oder kalt, nützlich und verwendbar seien, würden wissenschaftliche Projekte vom Staat gefördert. Dem kann Mathilde nicht widersprechen, ihr bleibt nur, Oberth den Verzicht auf seine Forschung anzuraten.

Daß der Krieg der „Vater aller Dinge“ sei, hat schon Herodot konstatiert. Hochhuth kann nicht umhin, sich diese bedrückende These zu eigen zu machen. Sie traf bisher immer zu. Aber war der Mensch bisher je in der Rolle des Zauberlehrlings? Vielleicht lernt er doch noch, ehe es zu spät ist, nicht alles zu machen, was zu machen ihm möglich ist, und die Früchte seines Geistes und seiner Phantasie den Egoismen der Mächtigen vorzuenthalten. Hochhuth stößt mit der Nase darauf. Dies ist das Verdienst seines neuen Stücks.


 
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