© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Zeitschriftenkritik: Baltische Studien
Pommernhistorie nach EU-Regeln
Jessica Rohrer

Heiße und kalte Weltkriege, der Wechsel politischer Systeme, Geldentwertungen und eine vierzigjährige Teilung des Landes haben die 1824 in Stettin gegründete Gesellschaft für Pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst allenfalls kurzzeitig daran gehindert, ihren Mitgliedern alljährlich die Zeitschrift Baltische Studien zukommen zu lassen.

In mittlerweile 123 Bänden haben die pommerschen Landeshistoriker die Geschichte ihrer Provinz, die 1945 zu einem großen, auch die Landeshauptstadt Stettin umfassenden Teil von Polen annektiert wurde, erforscht. Ausgerechnet der Jubiläumsband, der den zum 175jährigen Bestehen der Gesellschaft im Alten Rathaus zu Stralsund gehaltenen Festvortrag des Marburger Historikers Roderich Schmidt über „Landesgeschichte im Ostseeraum“ sowie weitere wissenschaftshistorische Aufsätze der Greifswalder Archivare Joachim Wächter und Dirk Alvermann zur Entwicklung der pommerschen Regionalhistoriographie im 19. Jahrhundert enthält, kam mit einjähriger Verspätung heraus, da der Göttinger Mediävist Klaus Conrad, der verdiente langjährige Schriftleiter der Studien, schwer erkrankt war.

Wie die letzten zehn Jahrgänge, scheint auch dieser Band widerzuspiegeln, wie sich Historiker, die bis 1989 vom Westen aus pommersche Landesgeschichte trieben, mit vorpommerschen Kollegen aus der ehemaligen DDR zusammengefunden haben. Doch diesmal transportiert der umfangreiche Besprechungsteil wissenschaftspolitischen Sprengstoff.

Wieder einmal läuft dabei viel auf Werner Buchholz zu, den Inhaber des Greifswalder Lehrstuhls für pommersche Landesgeschichte. Buchholz, ein „Westimport“, eckt an mit seinen polonophilen, „politisch korrekten“ Deutungen (JF 41/01). Seine 1999 bei Siedler publizierte Geschichte Pommerns erfährt darum hier ihre wohlverdiente vernichtende Beurteilung durch Ludwig Biewer, den derzeitigen Vorsitzenden der Gesellschaft. Ebenso das erste polnische, von Buchholz und Gleichgesinnten beschickte Kompendium zur pommerschen Geschichte. Darin gönne ein deutscher Beiträger dem Schicksal der von der Roten Armee überrollten Bevölkerung Hinterpommerns ganze vier Zeilen, während, immer noch ohne das geringste Unrechtsbewußtsein, seine polnische Kollegin die Vertreibung als „Abfluß“ in der „Pionierphase von Aus- und Ansiedlung“ beschönige. Den Skandal mache perfekt, daß diese PC-konforme Landesgeschichte aus EU-Mitteln finanziert worden sei. Vor dem Hintergrund der Brüsseler Reglementierungswut löse das Bedenken aus: „Sollten dereinst auch geschichtliche Tatsachen durch EU-Richtlinien festgestellt werden?“

Baltische Studien. Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte, Neue Folge Band 86, N. G. Elwert Verlag, Marburg 2000, 281 S., Abb., 27 Mark (Subsk.-Preis).


 
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