© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Schönheit, die nicht ungefährdet ist
Oper: Franz Schrekers „Der ferne Klang“ ermuntert zur Neuentdeckung des österreichischen Komponisten
Hans-Jörg von Jena

An Franz Schreker ist einiges gutzumachen, namentlich in Berlin. Er gehört zu den Opfern. Zwölf Jahre stand der österreichische Musiker als Direktor an der Spitze der Berliner Hochschule für Musik, eines seinerzeit in der Welt führenden Instituts. Er hat Schönberg, Hindemith, den Pianisten Artur Schnabel als Lehrer berufen und selber nachmals bedeutende Schüler herangebildet. Er erlag nationalsozialistischem Mobbing, erst beruflich, dann auch körperlich. Im März 1934 raffte den erst 56jährigen ein Schlaganfall dahin.

Berühmt war Schreker als Opernkomponist. Zeitweilig überstrahlte der Glanz seines Namens den von Richard Strauss. Man nannte ihn den „deutschen Puccini“. Natürlich kommt er als Erfinder weitgespannter Melodien dem großen Italiener nicht gleich; es ist ein Unterschied, ob man die Tradition der Verdischen Gesangs- oder der Wagnerschen Orchesteroper am Beginn seines Weges vorfindet. Gleichwohl verschmelzen bei Schreker orchestrale Dichte und impressionistische Farbigkeit mit erstaunlich süßer Kantilene. Vorwürfe wie die, er sei eigentlich weniger ein Puccini als nur ein Franz Lehár der Opernbühne und bediene Erwartungen der Sentimentalität, konnten da nicht ausbleiben.

Das breite Publikum hat ihn wohl auch so gehört und verstanden. Denn wir wäre sonst zu erklären, daß Schreker nach 1945 nicht „wiederkam“? Er galt als zu gefühlvoll, und Gefühl war in der zeitgenössischen Musik jahrzehntelang verpönt. Erich Wolfgang Korngold oder, in der Literatur, Jakob Wassermann sind parallele Fälle. Wegen ihres „Irrationalismus“ gerieten sie nach 1945 ins Abseits oder in Vergessenheit, ihrem Status als ins Exil getriebene Opfer der Nationalsozialisten zum Trotz.

Neuerlicher Geschmackswandel schert sich jedoch nicht mehr um solche Einseitigkeit. So bekam jetzt auch Schreker wieder eine Chance. Wenn man vom späten, nicht unbedingt typischen „Schmied von Gent“ (kurzfristig in den achtziger Jahren an der Berliner Staatsoper) absieht, war es der erste Versuch seit 1945 überhaupt, einem Werk Schrekers Heimatrecht auf einer Berliner Opernbühne zu verschaffen.

Gewählt hatte man Schrekers Durchbruch zum Ruhm, die 1912 uraufgeführte Oper „Der ferne Klang“. Schreker schrieb, in der Tradition Wagners, seine Texte selber, in diesem Fall das Künstlerdrama von Fritz und Grete. Fritz ist ein junger Komponist, der die Vision eines fernen, leise und zart Ohr und Seele bedrängenden Klangs (Celesta, Harfe) zu bannen hofft; dafür stellt er die Liebe zu Grete hintan. Eine hexenartige Alte lockt das verzweifelte Mädchen nach Venedig, wo Fritz ihr als umschwärmter Kurtisane wiederbegegnet („Hoffmanns Erzählungen“ lassen grüßen); wieder verfehlt man sich.

Im letzten der drei Akte erst findet man, wenn auch tristanisch im Tod, zueinander. Fritz hat Erfolg mit einer Oper, nur ihr dritter Akt wird ausgepfiffen; vor allem aber ist er todkrank, aufgezehrt von seinem Künstlerehrgeiz. Sterbend bekennt er Grete, dank ihrer Liebe sei er jetzt, zu spät, fähig, auch den fernen Klang des Schlußaktes zu komponieren.

Die Künstlerproblematik der Entstehungszeit, die heute vor allem durch Thomas Manns Lebenswerk gegenwärtig ist, ist in diesem Werk ebenso offenkundig wie die herkömmliche Opernwirksamkeit von Liebesduett, venezianischem Maskenfest oder finaler Tragik. Schreker verdichtet den durchkomponierten Verlauf dabei mehrmals zu Arien oder Balladen. Vieles klingt „süffig“. Aber Michael Gielen versteht es als Dirigent, Schrekers Partitur über solche Erwartbarkeiten hinaus interessant zu machen.

Gielen ist bekannt als strenger Sachwalter der Moderne. Deshalb ist von besonderem Reiz, wie er Schrekers Musik durchsichtig und durchhörbar macht. Man entdeckt sie dabei in ihrer Originalität: einer Originalität im Schulterschluß mit den Zeitgenossen. Wie bei Debussy oder Busoni ist der Schönklang nicht mehr ungefährdet, sondern zersetzt sich und läßt den Zerfall ahnen. Der melancholische Duktus badet sich nicht in Üppigkeit, die farbenfrohe Instrumentation läßt eher an den Kubismus denken als an den Impressionismus. Man lernt: weder der Erfolg noch der Mißerfolg bei den Altvorderen sollte die eigene Wahrnehmung beeinflussen. Es scheint, Schreker sei neu zu entdecken. Gielen mit der grandios aufspielenden Staatskapelle wäre der rechte Mann, sich auch weiterer Schreker-Opern anzunehmen (wie er es in Frankfurt a. M. schon mit dem „Schatzgräber“ oder den „Gezeichneten“ getan hat).

Ähnlich Positives läßt sich über die Inszenierung Peter Mussbachs nicht sagen. Der Regisseur, der in der nächsten Spielzeit Georg Quander im Amt des Staatsopern-Intendanten ablösen wird, zeigt sich allzu verliebt in die Erfahrungen seines früheren Berufs als Neurologe. Nicht Fritz ist ihm die Hauptsache, sondern Grete. Die zittert und wankt im Schlußakt über die Bühne, als leide sie an Parkinson. Das verschiebt die Gewichte und den Sinn der Oper. Ein Glück, daß die junge Anne Schwanewilms dies Seelenporträt einer tief Verstörten mit so viel Ausdruckskraft herzustellen und zudem mit Sopranschmelz auszugestalten weiß. Sie umbrandete nach der Premiere ein Jubelsturm, für den sie mit einem Luftsprung dankte.


 
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