© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Zeitschriftenkritik: Neue Ordnung
Historisch vertraute Regionen
Werner Olles

Die vierteljährlich in Graz erscheinende Neue Ordnung, die sich überwiegend der Publikation von politischen, zeitgeschichtlichen und historischen Themen widmet, diskutiert in ihrer jüngsten Ausgabe die sogenannte „Osterweiterung“. In seinem Editorial schreibt der Herausgeber Wolfgang Dvorak-Stocker dazu, daß die Länder Ostmitteleuropas, „die einst zur Donaumonarchie gehörten und mit uns einen Gesamtstaat bildeten, jene Ländereien, in denen viele unserer Vorfahren lebten, arbeiteten und aus denen sie oft auch stammten“, uns seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten des Warschauer Paktes kaum nähergerückt seien. Die Ursachen dafür sieht er jedoch nicht bei unseren Freunden in Kroatien, Ungarn oder der Slowakei, sondern in einem sträflichen Desinteresse der österreichischen und noch weitaus stärker der deutschen Regierung an „zukunftweisenden Aktivitäten, Projekten politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit, einem regen Kulturaustausch“, der den „Blick auf die historisch vertrauten Regionen des europäischen Ostens leitet“.

Mit den Benes-Dekreten beschäftigt sich einmal mehr eine Polemik des Hauptschriftleiters Achim Lang mit dem provokanten Titel „Freunde und Feinde“. Der Autor entlarvt hier die Behauptung des tschechischen Parlamentspräsidenten Vaclav Klaus, diese Dekrete seien für sein Land kein Thema mehr, als „glatte Lüge“, da Tschechiens Gerichte eben mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Dekrete regelmäßig Restitutionsforderungen volksdeutscher Heimatvertriebener ablehnten. Daß deren Schicksal auch hierzulande so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, resultiere aus der berechtigten Angst, dann könnte „das fast schon erloschene Geschichtsbewußtsein der Deutschen wiedererweckt“ werden und das Augenmerk sich wieder auf Provinzen und Länder richten, „die durch jahrhundertelange deutsche Arbeit geprägt und geschaffen wurden und heute heruntergekommen sind“.

In drei hochinteressanten Interviews beantworten drei führende Repräsentanten jüdischen Lebens in Österreich - ein orthodoxer Oberrabiner, ein Mitglied der Paneuropabewegung und der Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in Graz - zehn brisante Fragen zu Themenkomplexen wie Norman Finkelsteins Vorwürfen an die „Holocaust-Industrie“, zur Politik der FPÖ, zur politischen Rolle Michel Friedmans und zur wissenschaftlichen Diskussion der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Dabei sprengen die Antworten häufig gepflegte Klischees über „die Juden“ als einen „monolithischen Block“ und zeigen, „daß ihr Selbstverständnis und religiöser/gesellschaftlicher/politischer Standort sehr unterschiedlich sein kann“.

Über die Zukunft der Heimatvetriebenen wird der Leser in den Aufsätzen „Slowenische Minderheitenpolitik“, „Menschenrechte für Sudetendeutsche“ und „Die Macht der Visionen“ informiert. Ein Aufsatz über Ernst Dombrowski, den genialen Holzschneider, Zeichner und Erzähler beschließt das lesenswerte Heft.

Anschrift: Leopold Stocker Verlag, Hofgasse 5, A-8010 Graz. Das Jahresabo kostet 198 öS.


 
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