© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Vollkommen zugewachsen
Bart oder kein Bart, das ist hier die Frage: Warum Männer mit Haaren im Gesicht verdächtig sind
Andreas Wild

Man spricht wieder über Bärte. Dergleichen hat es zum letzten Mal vor über dreißig Jahren gegeben, zur Zeit der 68er-„Revolte“, als plötzlich alle möglichen „jungen Kämpfer“ sich nicht mehr rasierten und früher oder später mit unwahrscheinlichen Bärten aufwarteten, Ho-Chi-Minh-Bärten, Karl-Marx-Bärten, Che-Guevara-Bärten, notorischen Vier-Tage-Bärten à la Rudi Dutschke. Bart oder nicht Bart - diese Frage spaltete damals so manches soeben noch intakte Familienleben. Barttragen war eine Frage der Weltanschauung und der Politik, war Ausweis revolutionärer Gesinnung und abgrundtiefer Systemverachtung. 

Heute steht Bart eher für Rückständigkeit und Vormoderne, gehört zum Pflichthabitus muslimischer Fundamentalisten und potentieller Terroristen. Wer mit Bart auf den Plan tritt, macht sich verdächtig. Alle Bärte weisen irgendwie nach Mekka. Dabei kann niemand genau angeben, wieso der moderne Islam so vehement auf dem Bartgebot beharrt, wo das herkommt und wer es verordnet hat.

Aus dem Koran stammt es nicht. Viele Orientalisten neigen dazu, die Bartbegeisterung auf vorislamische Stammesüberzeugungen zurückzuführen. Denn in allen Rassen mit starkem Bartwuchs (also den „kaukasischen“ Rassen, zu denen sowohl die Europäer als auch die Araber gehören) lebt originär der Glaube, daß Bärte Ausweis körperlicher und geistiger Überlegenheit sind, Überlegenheit über Frauen, über Jünglinge, über fremde, mit weniger Barthaar gesegnete Randvölker.

Die Geschichte der Bartologie fängt mit dem alten Ägypten und den frühen mesopotamischen Hochkulturen an. Assyrer, Babylonier und Perser trugen kunstvoll geflochtene und gewickelte Bärte. Bei den Ägyptern war die Länge des Bartes Erkennungszeichen für den sozialen Rang seines Trägers. Sklaven und einfache Bauern wurden jeden Morgen von extra dazu abgestellten Friseuren totalrasiert. Beamte und Adlige trugen kantig gestutzte Kinnbärte. Vollbart war dem Pharao vorbehalten.

Da aber die meisten Pharaonen schon in ganz jugendlichem Alter an die Macht kamen und auch jung starben, also noch kaum einen eigenen Bart hatten, wurden ihnen gewaltige Kunstbärte verpaßt, wie man in den Pharaonengräbern sehen kann. Hochgestellte und mächtige Frauen, zum Beispiel die berühmte Königin Hatschepsut, erhielten einen „Ehrenbart“.

Heikel und widersprüchlich, wie zu erwarten, verlief die Entwicklung bei den Griechen. Es gab einerseits das Ideal des „Weisen“, des Rhetors und Philosophen, der gewöhnlich mit Bart vorgestellt wurde. Andererseits gab es aber ganz früh schon das Ideal des agilen, zu vielen Künsten begabten Jünglings, und der trug keinen Bart. Von den Göttern trugen Zeus, Hephaistos und Poseidon Bart, Apollon, Eros und Hermes keinen Bart. In Platons „Symposion“ gibt es einen drolligen Streit darüber, was „mehr sexy“ sei, mit Bart oder ohne Bart.

Römer, Kelten und Germanen zeigten sich zur Zeit des Imperium Romanum ganz überwiegend bartlos. Auch Jesus Christus erscheint in der frühen Ikonographie in apollinischer Weise ohne Bart; erst ab dem siebten Jahrhundert wird ihm ein solcher appliziert. Die deutschen Könige und Kaiser des Mittelalters waren zunächst durch die Bank glatt; erst seit den Kreuzzügen änderte sich das, und man kann durchaus darüber nachsinnen, ob hier nicht ein Einfluß des Islams zu registrieren wäre.

Die Begegnung mit dem Orient wurde damals ja ganz allgemein als Begegnung mit einer höheren Zivilisation empfunden, und so wie man von den Muselmanen Gewürze, feine Seidenstoffe und Aristoteles übernahm, so übernahm man von ihnen möglicherweise eben auch den Bart.

Für diese Deutung spräche unter anderem, daß der (gepflegte) Bart in Deutschland seit den Kreuzzügen vielerorts als Zeichen des Wohllebens und des Luxus, ja des Hochmuts und der kulturellen Überlegenheit galt. Makabre Legenden sprossen auf wie die von der heiligen Wilgefortis (auch als Liborada oder Kümmernis bekannt), einer Königstochter, die sich extra einen Bart wünschte, um damit ihre Jungfräulichkeit schützen zu können.

Die Säkularisierung im Abendland der frühen Neuzeit beraubte dann auch den Bart seiner religiösen, ideologischen Dimensionen. Er wurde zum Accessoire und der Mode des Tages unterworfen. Meistens waren es Fürsten, die die Akzente setzten. Es gab die Kombination aus schmalem Spitzbart und langem Schnurrbart (Henri-Quatre- Bart), Ludwig XIV. kreierte die „Fliege“ unterhalb der Unterlippe, Napoleon III. den Knebelbart, Wilhelm II. den an den Ecken keck hochgedrehten „Es-ist-erreicht“-Schnurrbart.

Immer wieder freilich kam es auch zu Rückfällen in die Ideologie, wollte man mit Bärten Politik machen und Weltanschauung ausdrücken. Peter der Große von Rußland ließ allen Bojaren seines Reiches die langen Bärte abschneiden, um Modernität und „Öffnung nach Westen“ zu demonstrieren. Deutsche Studenten im Vormärz um 1840 trugen lange Bärte und rauchten aus langen Meerschaumpfeifen, um ihren Haß auf die Restauration zu bezeugen. Einmal galt Bart als reaktionär, ein andermal als progressiv.

Über die besseren Argumente verfügen wohl diejenigen, die den Bärten mißtrauen, besonders den langen, ungepflegten „Fußmatten“ im Stil der muslimischen „Gotteskrieger“. Man will im Gesicht von Männern lesen können, und man kann das besser in offenen, anständig rasierten Gesichtern. Je üppiger ein Bartwuchs, um so naheliegender die Sorge, die Sache nicht zu übertreiben und nicht definitiv undurchsichtig zu werden. Als der romantische Vormärzmaler Moritz von Schwind seinerzeit seinen Vollbart allzu wild wuchern ließ, wurden sogar seine engsten Kumpane nervös und gaben die besorgte Parole aus: „Wer Moritz noch mal sehen will, soll sich beeilen, denn bald wird er vollkommen zugewachsen sein.“

Erklärten „Gotteskriegern“ mag das Zuwachsen zupaß kommen, sie mögen darin ein prächtiges Symbol sehen für die Fähigkeit, die Ungläubigen so lange wie möglich über ihre wahren Absichten im Unklaren zu halten, um dann aus dem „Off“ doppelt wirkungsvoll zuschlagen zu können. Gemäßigten Großbartträgern, die noch ansprechbar sind, sei aber gesagt, daß das Ganze einen sehr schlechten Eindruck macht. Worin man nicht lesen kann, das erwirbt auch keine Achtung, weckt blinde Aggressionen. Bald könnte schon die kleinste „Fliege“ den clash of civilisations auslösen, und wer dann gezaust wird, das sind naturgemäß die Bärtigen.


 
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